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„Tausche Baumkuchen“

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Just als die bundesdeutsche Außenpolitik bei der Motivation ihrer Ost-Geschäfte begann, sich in Menschlichkeit zu überkugeln, schrieb in Dresden eine offenbar ältere Dame an einen ihr persönlich unbekannten Schweizer Schriftsteller diesen Brief:

„Sehr geehrter Herr …,

ich komme mit einer herzlichen Bitte. Mit vielen Schioierig- keiten habe ich es geschafft, P. Celan, Aichinger, Bachmann mir zu verschaffen. Hier gibt es die alle nicht zu kaufen. Leider! Nun hätte ich so gern den von Ihnen gelesen. Können Sie mir zu diesen Gedichten verhelfen? Es kann ein gebrauchtes Exemplar sein. Egal! Ich würde Ihnen dafür Baumkuchen, oder was Sie haben möchten, schicken. Falls es geht, bitte ich Sie, es dann erst an meine Freundin zu schicken, die im Westen wohnt. Von dort würde es meine Mutter mitbringen, die ja alle Jahr einmal überfahren darf. Sie ist 81 Jahr. Ich muß ja erst 60 Jahr alt werden, bis ich endlich die Bücherläden alle wieder durchstöbern kann. Ach, man könnte verzweifeln…“

Ja, man könnte verzweifeln, und zwar auch dann, wenn man nicht dort drüben sitzt und die simple Freiheit, „die Bücherläden durchstöbern“ zu dürfen, schon vor dem Erreichen der Arbeitsunfähigkeit hat und man in diesen Bücherläden nun nicht nur die Schriften des Bischofs von Münster, sondern auch die von Marx, von Lenin, sogar von Stalin, und natürlich auch die von Mao sowie die von „Che“ und sämtlichen anderen Dutzend- Revoluzzern der westlichen Hemisphäre feilgeboten sieht. Man könnte verzweifeln darüber, daß dem so ist; und zwar nicht, weil man dagegen die Pressefreiheit, sondern weil man dafür ist, und zwar so unbedingt dafür ist, daß man nicht nur (zum Beispiel) Scholochow im Western, sondern (zum Beispiel) auch Friedrich Torberg im Ostern gedruckt oder je denfalls lieferbar sehen möchte. Tolstoi auch im Westen und Goethe auch im Osten: das ist, pardon, kein reelles Geschäft, so lange im Bahnhofskiosk von Düsseldorf zwar die „Prawda“, im Bahnhofskiosk von Swerd- lowsk aber nicht der „Bayern- Kurier“ aufliegt.

Und dies weiterdenkend, entdeckt man plötzlich, was man zwar weiß, aber längst schon vergessen hat, nämlich: daß ein solcher Tauschhandel selbst im Traum nicht bis in die letzte Konsequenz je perfekt werden könnte. Denn es kursieren, im Westen noch mehr als im Osten, zahllose Publikationen, die völlig unverblümt zur Zerstörung der parlamentarischen Demokratie, zur auch blutigen Liquidierung der bürgerlichen Gesellschaft, zur Beseitigung der individuellen Freiheit ermuntern und ermutigen, während nicht einmal im Westen, vom Osten natürlich ganz zu schweigen, der Sturz der totalitär sozialistischen Regimes programmiert werden darf und eine direkt antikommunistische Literatur und Publizistik deshalb hier überhaupt nicht existiert. Kalte Krieger gab und gibt es nur links von der Demokratie; doch in ihr fällt selbst das, was etwa ein Arthur Koestler geschrieben hat, unter den Notwehrparagraphen.

Doch drüben kriegt man ja nicht einmal jene politisch arglose Lyrik, für die die zitierte Dresdnerin bietet, was das Bauemund Arbeiterparadies ihr selber an Überfluß bietet. Und Bonn geniert sich noch immer nicht, seine Entspannungserfolge zu rühmen! Die Deutschen in Polen hätte man freikaufen können auch mit Traktoren oder mit zinsenlosen DM- Krediten, die Oststaaten fliegen ja auf die Devisen wie sonst nur die Huren. Jedoch: nach der stattgehabten Inflation der politischen Zahlungsmittel bleibt der deutschen Regierung nun nicht einmal mehr die Chance, auf Falschgeld zurückzugreifen, um für die Deutschen im Osten ein bißchen Kulturgut zu kaufen.

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