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Saga von abgelebter Zeit
Ich bin befangen. Dort habe ich, vor runid 50 Jahren, meine ersten Schritte getan, dort habe ich, vor rund 25 Jahren, mein erstes Buch gesehrieben, dort habe ich gelebt, mit Unterbrechungen, in den vierziger Jahren: im Krieg, in der Nachkriegszeit — dort: nicht grad in dem Schloß und nioht grad in Hagenberg, aber in Pregarten, dem „Bluimental“ Franz Turniers in seinem Roman „Ein Schloß in Österreich“. Und ich weiß nun nicht: habe ich lesend mitgelebt, weil ich die Gegend kenne: die Dörfer und Märkte, den Fluß, die Wälder, das Viadukt, sogar an den Kohlenhaufen vorm Bahnhof glaube ich mich zu erinnern, oder habe ich mitgelebt, weil Turnier mit meinen Figuren mich in seinen Bann geschlagen hat? Ich meine wohl: dies zweite ist der Fall, die Vertrautheit mit der Landschaft allein genügte wohl nicht.
Und faszinierend ist dieser Roman in mehrerer Hinsicht: Schon einmal als ein Roman, der tatsächlich einer ist, nicht bloß gedehnte Novelle, sondern Geflecht, dicker Teppich des Lebens über Familien hin und über Generationen hinweg. Faszinierend auch, wie Turnier zu schildern vermag: in scheinbar recht konventioneller Sprache, doch voll von Büd-kraft, mit Überraschungen im Detail .— etwa wenn „Gedanken dumpf sich regen wie Tiere unter einem Tuch“. Und faszinierend — vielleicht erst heute so recht, aus dem Abstand neuer Geschlechter —, faszinierend also, wie jene Zeit da eingefangen ist in Gedanken, Reden, Handlungen, in der Stliimimiung, der Geistesund Seelenlage, die Zeit des „Tausendjährigen Reichs“ und das Ende, die Folgen, die Jähre danach. Vermutlich an 1950 hat der damals noch nicht vierzigjährige Autor das Buch geschrieben, erstmals erschienen ist es 1953, aber wie gesagt: vielleicht verstehen wiir's erst heute ganz richtig, da der Abstand die Dimensionen wieder zurechtgerückt hat. Die viel zitierte Bewäitigiung der Vergangenheit: hier ward sie geleistet, indem gezeigt ist, wie Menschen damals die Gegenwart bewältigt — oder auch nicht bewältigt — haben.
Ein politisch Lied also? Pfui, ein garstig Lied? Mitnichten! Es ist ein menschliches Buch, eines der menschlichsten dieser Jahrzehnte, weil es von den Interna menschlichen Daseins handelt, diese Interna darstellend.in den Aktionen des Alltags. Man denkt -an Fontane — man darf ea...
Und dabei vergißt man, seltsamerweise, stets wieder, daß es diesen Franz Turnier gibt in Österreichs Literatur. Weil er fern in Berlin lebt und überhaupt abseits vom Literaturbetrieb? Weil die diversen Hand-kes und Bernhards ihn mit ihrem Aktualitäten-Lärm auf den Ätherwellen, im Blätterwald übertönen? Weil wir das Lesen verlernt haben etwa? Jedenfalls: was erzählende Prosa zu leisten vermag, hier ist es geleistet von einem, der seinen Weg mitsamt seinen Umwegen tapfer gegangen ist.
EIN SCHLOSS IN ÖSTERREICH. Roman von Franz Turnier, Piper Verlag, München, 541 Seiten, öS 292.60.
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