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Vom Umgang mit Leiden

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Uber alles und jedes einzelne sich beklagen — das Zahnweh, den lärmenden Nachbarn, die Schwäche des Willens vor süßen Törtchen, den Stau auf der Autobahn, und so weiter — ist das Kriterium des Optimisten; der nämlich insgeheim, wider sein besseres Wissen, doch hofft, daß alles und jedes ihm günstig verlaufe; und völlig natürlicherweise ständig enttäuscht wird, ständig ums Recht auf sein Glück sich geprellt sieht, und deshalb ständig beleidigt ist; und, als ständiger Nörgler und Raunzer, der oberflächlichen Anschauung für einen Pessimisten gilt. Wo hingegen der Pessimist, im genauem Verstand, zwar das Dasein als solches beklagt, sich nichts Gutes von diesem erwartet, aber eben deswegen die einzelnen Übel gelassen hinnimmt und, weil nichts Einzelnes ihn verstört oder bloß auch verwundert, stets fröhlich und freundlich ist, ja sogar dankbar, wenn es nicht schlimmer gekommen, als füglich zu fürchten gewesen. Der Pessimist, das ist sozusagen der Optimist, der nicht erst widerlegt werden muß.

Ob Diabetes, Amputation eines Armes, Blindheit, multiple Sklerose: mit einer schweren Beschädigung seines Körpers, mit einer lebensbedrohenden Schadhaftigkeit desselben arrangiert man sich leichter und schneller als mit der gemeinen, bloß lästigen Bresthaftig-keit; denn man nimmt sie, die ernsten Erkrankungen mit ihren ernsten Folgen, als das, was sie sind, eben: ernst.

Das Hühnerauge im weitesten Wortsinn: Hypotonie mit Müdigkeit bis zur Ohnmacht; das versteifte Gelenk nach einer Verletzung; Schwerhörigkeit; Migräne und so weiter: das lassen wir zwar behandeln (oder auch nicht), doch wir nehmen's nicht eigentlich ernst, und zwar durchaus richtigerweise: gleichsam dankend, daß diese Zittrigkeit nicht schon ein Parkinson, dieses Wimmerl nicht schon ein Tumor ist. Aber gerade indem wir das Hühnerauge als Bagatelle deklarieren, nehmen wir ihm, was uns nützen könnte: daß es, auch es, uns herausfordert: zur Geduld; und daß es, auch es, uns belehrt: das Leben zu meistern, indem man es akzeptiert, wie es nun einmal ist. Es weckt keine Kräfte in uns. Und so stöhnen wir unter den Irritationen und Kalamitäten, zumal sie sich läppern, oft mehr als unter dem einen Leiden, das diesen Namen verdient — und das wir, eben deswegen, unter Kontrolle zu halten gelernt.

Sich von außen kurieren, zum Beispiel so: Die Schmerzen verziehen uns das Gesicht zur Grimasse. Daraufhin verziehen wir justament das Gesicht zum Lächeln. Dadurch nun lächeln wir, no-lens volens, tatsächlich, und lachen alsbald, wenn auch rein physiognomisch, und siehe: die Schmerzen sind immer noch da, aber tun nicht mehr weh; und man lebt, obwohl krank, wie gesund.

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