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Aus dem Alltag des Literaten

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Der deutsche Schriftsteller Ernst Erich Noth war 24 Jahre jung, als er, politisch verfolgt, im Jahr 1933 Deutschland verließ. Der Krieg verschlug ihn nach den USA, wo er nicht nur zum Universitätsprofessor avancierte, sondern auch verdienstvoll wirkte mit seiner internationalen Literaturzeitschrift „Books Abroad”. Zuvor aber hatte er in Frankreich eine neue Heimat gefunden, und zwar nicht bloß durch ein Dach über dem Kopf, sondern wesentlich durch den Übertritt in die fremde Sprache, worüber er in seinen ,.Erinnerungen eines Deutschen” zwar nur kurz, aber nachdenkenswert berichtet: Er ist nunmehr „im umfassendsten Sinn des Wortes neu .engagiert”, kann aber nie voll und ganz in den inneren Bereich der neuen Sprache gelangen: eine Sprache zu gebrauchen ist noch längst nicht das selbe wie sie zu gestalten. Die Sprache ist letztlich nie wirklich Dienerin des Autors, sie ist und bleibt seine Herrin.” Anderseits aber: „Die innere Bereicherung des Adoptivautors ist ungleich größer als die Tortur, der er sich unterwerfen muß. Welch einzigartiges Erlebnis schon, vor einer Sprache wieder jung zu werden, ganz Lernender und Erlebender, hingerissen und bemühter Novize zu sein, mit einer neuen Sprache zu ringen, jedes Wort zuerst zu erwerben, um es zu besitzen, und jedes Wort eine Neuent-

deokung!” Und: „Angesichts der zahlreichen gesellschaftlichen, geistigen, psychologischen wie überhaupt aller Aspekte, die in diesem Prozeß einer sprachlichen Transmutation mitgegeben sind, kann ein solcher Autor immerhin zum besonders verläßlichen Interpreten und Mittler innerhalb der Sprachen, Literaturen, Nationen und Zivilisationen werden.”

Als ein solcher Interpret und Mittler hat Noth sich auch schon damals in Frankreich bewegt, in der Begegnung mit Intellektuellen des Gastlandes, mit ausländischen Besuchern und mit anderen Emigranten, zu deren Bild er viele Strichlein und auch etliche kräftige Farbtrup- fem beizusteuem vermag. Besonders dankenswert die Erinnerung an Renė Schickele, diesen Dichter, der zwei nationalen Kulturen zugehörte und, weil er über beide hinauswuchs, von beiden vergessen wurde.

Wie der zweite von den französischen, so handelt der erste Teil des Buches von den deutschen Jahren seines Verfassers. Da erzählt dieser zuerst einmal von dem Berliner Proletariat, dem er entstammt; erzählt davon kunstvoll und gerade dadurch glaubwürdig, erzählt ohne Klage und Anklage und gerade dadurch ergreifend. Als Gymnasiast war Noth in eine Affäre verstrickt, die durch den damals weithin erregenden „Steglitzer Schülermordprozeß” in die Kriminalgeschichte eingegangen ist; just dieser Prozeß aber wendete das Schicksal das tragischen Helden ins Positive, da namhafte Psychologen und Pädagogen dem Angeklagten halfen, weit über den Freispruch hinaus, und damit indirekt seine Berufswahl mitbestimmten.

Von der Odenwaldschule aus betrat er dann in Frankfurt am Main den akademischen Boden; und ebendort verdiente der linksradikale Aktivist sich erste Anerkennung und erste Honorare in der bürgerlich- liberalen „Frankfurter Zeitung”, zu deren Geschichte und Untergang er - zwar keine sensationellen, aber höchst faszinierenden Mitteilungen macht. Und dort, an dem glückhaften Beginn einer Karriere, schlug die braune Machtergreifung ihm jenen Bruch, den so viele seiner etwa gleichaltrigen Kollegen niemals verwunden haben. Emst Erich Noth aber hat, bei aller Konsequenz seiner antifaschistischen Gesinnung, das Fazit der Dankbarkeit gezogen, der Dankbarkeit für alles, was sein Leben bereichert hat. Sein Buch versucht, das weiterzugeben. Und insofern ist es wichtig.

Denn was da insgesamt erinnert wird, ist, und zwar in ihrem intellektuellen Alltag, eine „Welt von gestern”, die sehr viel stärker noch naohwirkt, als wir gemeinhin vermuten, und die zu kennen — und zwar zu kennen grad auch in ihrer Vergänglichkeit — von Nutzen ist: zu viele Lücken sind noch zu schließen. Also hat Emst Erich Noth seinen redlichen Beitrag geliefert zur Überwindung des deutschen Erbübels: der Diskontinuität.

ERINNERUNG EINES DEUTSCHEN. Von Ernst Erich Noth. Claasen- Verlag, Hamburg/Düsseldorf. 435 Seiten.

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