7172611-1982_51_16.jpg

Weihnachtsgeschenke: Über das Freudemachen

19451960198020002020

Über richtige Weihnachtsgeschenke und die Sache mit der Sparsamkeit.

19451960198020002020

Über richtige Weihnachtsgeschenke und die Sache mit der Sparsamkeit.

Werbung
Werbung
Werbung

Die Mutter war eigentlich nicht sehr dafürgewesen, aber weil fast all die Sachen von der Tante stammten, war sie dann doch auch dafür, und sie verräumte den Anzugstoff in das unterste Fach des Wäscheschrankes, und das blaue Schiff mit den drehbaren Geschütztürmen, mit einem schwenkbaren Steuer und der Maschine innen, die man aufziehen konnte wie eine Uhr, dieses Schiff, die Ausschneidebögen und den Fußball (kein richtiger Fußball, aber immerhin ein Ball, und zweifellos konnte man auch fußballspielen damit), das Schiff, die Ausschneidebögen und den Fußball verpackte die Tante in ihren dicken Koffer zurück, und die Mutter tat einige Handgriffe ohne Zweck und schaute am liebsten gar nicht recht hin, denn eigentlich war sie nicht sehr dafür.

Er würde sich leidsehn, dachte sie, denn die Schwestern waren brav und folgsam gewesen, wie Schwestern neben einem Bruder wohl immer sind, und sie kriegten all die Dinge, die sie sich wünschten, viele zauberhaft schöne Dinge, bunte Pullover und Schlittschuhe und ein Halskettlein und eine Puppenküche und Reifen zum Werfen und viele andere schöne Dinge. Für ihn war nun gar nichts da, außer den Süßigkeiten und dem Obst, denn das konnte ihm selbst die Tante nicht vorenthalten.

Eine Wintermütze, mit Klappen über die Ohren herab, kriegt er auch, einen Lederhelm mit Pelzbesatz, aber das war doch kein richtiges Weihnachtsgeschenk; das war eine Sache, die man genausogut an irgend einem anderen Wintertag hätte kaufen und ihm geben können; das war eine ganz und gar praktische Sache, ja eine notwendige Sache, vielleicht sogar eine Sache der Sparsamkeit, denn ohne Mütze im Winter hätte er sich verkühlen können, und dann wäre der Doktor doch um einiges teurer gekommen.

Er würde also das Obst und die Süßigkeiten und die Mütze kriegen, mehr nicht, „denn man darf ihm nicht alles durchgehn lassen und ihn obendrein noch belohnen", hatte die Tante gesagt. „Wenn er leer ausgeht diesmal, wird er sich's merken für alle Zeit. Das glaubst du doch auch, Anna?"

Die Mutter wußte nicht genau, ob auch sie es glaubte, oder ob sie es nicht glaubte, oder ob, selbst wenn sie es glaubte, es eine gute Sache war, ihm nichts zu geben; aber die Tante hatte eine Art zu fragen, die jede andre als die von ihr gewünschte Antwort ausschloß. Und die Mutter, ihre linke Hand an die Wange gelegt wie stets, wenn sie mit ihren Gedanken woanders war, antwortete: „Ja, wenn du meinst, Christine", und dann behängten sie die Fichte mit Süßigkeiten und mit Schmuck und mit Engelshaar, und sie steckten die weißen Kerzen auf die Zweige, und auf den Tischen breiteten sie die Geschenke aus: auf dem langen, niedrigen Kindertisch die Geschenke für die beiden Mädchen und die Mütze für ihn dazwischen, und auf dem runden Tisch die Geschenke der Tante an die Mutter^ und die der Mutter an die Tante, und was von den Freunden auswärts mit der Post gesandt worden war.

Sie verteilten das Obst und die Süßigkeiten auf die fünf flachen Teller, und dann mußte die Tante noch einiges in Ordnung bringen, das die Mutter in ihrer Zerstreutheit durcheinandergeworfen hatte. „Ach, Anna", sagte die Tante scherzend, „du bist ja wirklich mitunter ein bißchen zerstreut: das Buch von Onkel Louis liegt hier auf dem Kindertisch!" Und sie legte es herüber zu den Geschenken für die Mutter.

Die hatte inzwischen schon begonnen, die Kerzen vor der Krippe und auf dem Baume anzuzünden, und sie machte es so, daß sie nicht auf den Kindertisch hinzu-schaun brauchte, denn auf den Kindertisch schaute sie gar nicht gern hin: in der Mitte sah er so fürchterlich leer aus, und sie spürte sich eingeengt von etwas, ja ja, es war richtige Angst, was sie da verspürte, und da erinnerte sie sich des Päckchens, das Tante Beate geschickt hatte; immer zu Weihnachten schickte die Tante Beate, obwohl sie gar keine Tante, sondern zuerst nur eine gute Bekannte und später eine Freundin der Mutter war, ein Päckchen mit Sachen für die Kinder, mit lauter völlig unbrauchbaren, meist alten Sachen: Glaskugeln in vielen Farben, falsche Perlen, Muscheln, oder Zahnräder, bunte Schnüre, geflochtene Wollfäden, oder ein Stoffmuster-Heftchen, lauter Abfall vom Leben der Erwachsenen, und diesmal hatte sie wieder allerhand Krimskrams geschickt, und darunter waren auch einige Sächelchen, welche nicht nur der Tante, sondern dann auch der Mutter zu schäbig erschienen, zu nichtig, zu unbrauchbar, zu wenig interessant, „denn jetzt sind sie doch vielleicht schon über dieses Alter hinaus", meinte die Mutter, ein wenig beschämt für die Freundin; und die Tante sagte: „Die gute Beate meint, die Kinder blieben ewig vier oder fünf oder sechs Jahre alt."

Aber in ihrer Angst erinnerte sich die Mutter des Päckchens, und in diesem Päckchen war auch ein eisernes Männchen, kaum eine Spanne hoch: ein Ritter in voller Rüstung, mit Schild und Schwert in den Fäusten, auf einem Sockel mit der Inschrift „Gold gab ich für Eisen" oder so ähnlich, alles ganz schwarz, nur das erhobene, senkrecht vor die gepanzerte Brust erhobene Schwert war gelb, aber oben an der Spitze war es verbogen, ein bißchen eingerollt, als habe jemand damit versucht, eine Schuhcremedose zu öffnen, oder so etwas; und dieses Männchen war ihr zu armselig vorgekommen, um auf dem Gabentische seinen Platz zu finden, man könne es ihm vielleicht später einmal geben, hatte sie gemeint, doch auf dem Gabentisch, zwischen all den anderen Dingen, inmitten von Pullovern und Schlittschuhen und Kettchen und all den anderen schönen Dingen hätte es sich gar zu armselig ausgenommen; aber nun, als der Kindertisch in der Mitte so entsetzlich leer, so scheußlich kahl, geradezu bestoh-len aussah, holte sie rasch das Männchen und stellte es dorthin, in diese Leere hinein, und wiewohl die Tante meinte, es sei doch fast lächerlich, von einem Buben in diesem Alter irgendein Interesse an so einem komischen Männchen zu erwarten, ließ sie es stehen dort.

Und als dann die Kinder hereingeläutet waren, und nachdem die Mutter das Evangelium verlesen und nachdem sie die Weihnachtslieder gesungen hatten, und nach den Weihnachtswünschen und nach den Weihnachtsküssen, nach dem Blick auf die Geschenke, mit diesem ersten Blick schon gab es für ihn in dem ganzen Raum voll süßer Herrlichkeit, voll blinkender Wunder und voll Kerzenduft nichts anderes mehr von wahrer Bedeutung als dieses eiserne Männchen, und er schloß es, mit den beiden kleinen Fäusten unverlierbar umklammert, an sein pumperndes Herz, er hatte das prächtigste Ding auf Erden entdeckt, und seine Augen glänzten, er strahlte Freude und Dankbarkeit aus seinen Augen, und auch die Augen der Mutter glänzten ein bißchen, aber nur verstohlen, und die Tante schaute am liebsten gar nicht hin.

„Wer hätte das für möglich gehalten", sagte sie zwischendurch einmal. „Ach ja", meinte die Mutter, „Kinder sind nun einmal so", denn sie konnte nun doch nicht gut sagen, daß sie es ja für möglich gehalten hatte, wenn auch nur ganz leise, im Grund ihres Herzens. Noch viel weniger natürlich konnte sie sagen, daß sie sicher war, es werde mitsamt dieser Freude doch noch ein ganz anständiger Kerl aus ihm werden; und um sich nicht zu verraten, schaute auch sie nicht viel hin; schaute sie nicht so viel hin, wie sie es gerne getan hätte.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung