Weihnachtsspannung - © Illustration: Rainer Messerklinger

Weihnachtsspannung

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Das phantastische Umspannwerk elektrifizierte mich, es war mein tagtägliches Wunder. Das Zirpen, das die Luft erfüllte, beruhigte mich. Vielleicht würden der liebe Gott oder die Aliens meine Signale über die surrenden Strommasten empfangen.

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Das phantastische Umspannwerk elektrifizierte mich, es war mein tagtägliches Wunder. Das Zirpen, das die Luft erfüllte, beruhigte mich. Vielleicht würden der liebe Gott oder die Aliens meine Signale über die surrenden Strommasten empfangen.

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Mitte der 90er-Jahre übersiedelten meine Eltern nach Obersielach, einem gespenstischen Ort in Südkärnten. Die Fensterläden der Bauernhäuser blieben geschlossen, die Straßen waren menschenleer, die Beleuchtung spärlich. Ich fürchtete mich. Nur das große Umspannwerk am Rande der Siedlung leuchtete hell im dichten Nebel. Vor mir bäumten sich gigantische Strommasten auf und dazwischen reihten sich Metallpfeiler mit roten Köpfen wie riesige Stecknadeln aneinander. Wenn Mutter mich frühmorgens in die Schule fuhr, nickten mir die roten Köpfe der Trafos durch die eisige Autoscheibe zu.

Das phantastische Umspannwerk elektrifizierte mich, es war mein tagtägliches Wunder. „Vorsicht Lebensgefahr“ stand auf gelben Schildern neben einem roten Blitz, die das Wunder einzäunten. Wenn ich traurig war und Trost suchte, spazierte ich nach der Schule zum Werk. Das Zirpen, das die Luft erfüllte, beruhigte mich. Vielleicht würden der liebe Gott oder die Aliens meine Signale über die surrenden Strommasten empfangen. In einer kalten Nacht, es war Heiligabend, warteten wir auf Vater, der wochenlang mit seinem LKW unterwegs war und jede Minute nach Hause kommen sollte. Als wir den Wagen am Horizont erblickten, liefen wir auf die schneematschige Straße. Von weitem sah der LKW wie ein Spielzeugauto aus, dahinter warf das riesige Umspannwerk plötzlich hunderte kleine Lichtlein an. Sie flackerten magisch in die Nacht. Ich stellte mir vor, dass mein Vater mit einer roten Zipfelmütze aus dem LKW sprang, der bummvoll mit Geschenken war. Schließlich hatte ich einen hochgespannten Draht zum Christkind.

FURCHE-Redakteurin Manuela Tomic ist in Sarajevo geboren und in Kärnten aufgewachsen. In ihrer Kolumne schreibt sie über Kultur, Identitäten und die Frage, was uns verbindet.

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