Claire Keegan - © Foto: Imago / TT

Claire Keegan: "Kleine Dinge wie diese" - eine irische Weihnachtsgeschichte

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Mit kleinen Dingen das große Gute tun: Die irische Autorin Claire Keegan thematisiert dies in ihrer dichten Erzählung „Kleine Dinge wie diese“, in der sie ein grauenhaftes Kapitel irischer Geschichte anspricht. Sie wurde damit für den Booker Prize 2022 nominiert.

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Mit kleinen Dingen das große Gute tun: Die irische Autorin Claire Keegan thematisiert dies in ihrer dichten Erzählung „Kleine Dinge wie diese“, in der sie ein grauenhaftes Kapitel irischer Geschichte anspricht. Sie wurde damit für den Booker Prize 2022 nominiert.

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„Es war ein Dezember der Krähen“, und das tiefschwarze Wasser des dunklen Flusses folgt unbeirrbar seinem Weg. Weihnachten steht vor der Tür, und Bill Furlong hat alle Hände voll zu tun, um die Kohlen an jene auszuliefern, die sie dringend benötigen. Die Arbeitslosigkeit hat ihre Spuren in der Kleinstadt hinterlassen, die Stromrechnungen können nicht mehr beglichen werden, und Furlong wird von so manchem Kunden gebeten, die Rechnung erst später bezahlen zu dürfen. Mehr noch, „eines Morgens hatte Furlong gesehen, wie ein kleiner Schuljunge hinter dem Haus des Priesters Milch aus dem Katzennapf trank“.

Was sich wie eine Szene aus einem Charles-Dickens-Roman liest, beschreibt aber nicht die soziale und ökonomische Situation des 19. Jahrhunderts, sondern spielt im Irland des Jahres 1985, „die jungen Leute wanderten aus, gingen nach London, nach Boston und New York“.

Claire Keegan, 1968 im County Wicklow geboren, stellt in ihrer schmalen, aber äußerst dichten Erzählung „Kleine Dinge wie diese“ eine solche Atmosphäre nicht zufällig her. Auf Charles Dickens verweist zudem der Umstand, dass Furlong dessen „A Christmas Carol“ als Kind gelesen hat. Auch Keegans Erzählung ist eine Weihnachtsgeschichte über soziale und menschliche Kälte der besonderen Art, auch sie liefert einen Schimmer Hoffnung.

Furlong, Vater von fünf Töchtern, wuchs als Kind einer ledigen Mutter – Vater: „unbekannt“ – bei Mrs Wilson auf, die seine Mutter und ihn bei sich aufgenommen hatte. An sie erinnert er sich gerne, „an ihre täglichen Freundlichkeiten, daran, wie sie ihn korrigiert und ermutigt hatte, an die kleinen Dinge, die sie gesagt und getan oder die zu tun und zu sagen sie sich geweigert hatte – was sie alles gewusst haben musste, die Dinge, die zusammengenommen ein Leben ausmachten“.

Diese kleinen Dinge werden noch große Bedeutung bekommen. Und jener Mann, der sein Leben gerade noch als Abfolge jeweils neuer Versionen des Immergleichen erlebt und sich fragt, „Konnte es wirklich sein, dass sich die Dinge niemals änderten, dass sie sich niemals zu etwas anderem oder etwas Neuem entwickelten?“, wird bald erfahren, wie rasch sich etwas verändern kann. Als Furlong nämlich im Kohlenschuppen der Nonnen vom Guten Hirten ein eingesperrtes Mädchen entdeckt, das darin offensichtlich schon mehr als eine Nacht verbracht hat und das ihm zudem erzählt, man habe ihr das Baby weggenommen.

Die Mutter Oberin lässt das Mädchen als Verwirrte aussehen – „Manchmal kann das arme Mädchen nicht zwischen Tag und Nacht unterscheiden“ – und vor Furlong aussagen, es hätte nur gespielt. Der knapp erzählte Dialog lässt bei aller inszenierten Freundlichkeit der Oberin unschwer Machtausübung und Manipulation erkennen. Nebenbei bemerkt sie, Furlong wolle ja, dass alle seine Töchter die Schule nebenan besuchen. Die Drohung ist unausgesprochen, aber unüberhörbar. Zudem wird ihm noch ein Kuvert zugeschoben, die Voranzahlung für die Kohlenlieferung samt Weihnachtskarte.

Dinge ändern sich

Furlong geht damit nach Hause, doch eine Beunruhigung bleibt. „Was ihn quälte, war nicht so sehr, dass sie im Kohlenschuppen eingesperrt worden war, auch nicht die Haltung der Mutter Oberin; schlimmer war, wie das Mädchen in seiner Gegenwart behandelt worden war, dass er es zugelassen und sich nicht nach ihrem Baby erkundigt hatte – das Einzige, worum sie ihn gebeten hatte –, dass er das Geld genommen und sie dort am Tisch zurückgelassen hatte, ohne dass ihr etwas Essbares vorgesetzt worden wäre, dass unter der kleinen Strickjacke die Muttermilch ausgelaufen war und ihre Bluse befleckt hatte und dass er danach wie ein Heuchler zur Messe gegangen war.“

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