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IN SÜDMÄHRISCHER LANDSCHAFT

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Nicht tomer bedarf es einer ungewöhnlich schönen Landschaft, um den Menschen den Zauber der Erdnatur fühlen zu lassen. Das habe ich oft in meiner väterlichen Heimatstadt in Südmähren empfunden, die sonst wohl wenig Reize aufzuweisen hat. Aber es gibt dort einen Weg, an den schönsten Weingärten vorbei, den ich öfter als Kind gegangen bin und der mich später so sehr fessölte, daß ich ihn Tag für Tag, ja oft morgens und abends ging.

Ein schmaler Feldsteig führt von den — wer weiß, weshalb so genannten — „Turhandeln“, einem Kellenberg, der hinter den Scheunen der Grundbesitzer beginnt und mit unzähligen Preßhäusern und Kellervorbauten bestanden ist, erst einförmig und reizlos hinauf zu einem höheren Feld. Von dort zurückblickend, sehe ich zunächst die welligen Wiesen, die reihenweise mit seltsam foehauenen und seitlich gelochten Steinen besät sind. Diese schützen die Luftkanäle der sich unten erstreckenden Weinkeller vor allem, was senkrecht hineinfallen könnte. Doch wie oft haben wir als Kinder uns damit vergnügt, Sand und Erde seitlich hineinzuwerfen! Und was die kleineren KeUersteine betraf — wenn nur einer nicht ganz fest saß, so erprobten wir unsere Kraft daran, ihn, meist mit keuchendem Atem, herauszuheben und weiterzurollen. — Hinter diesen Heu- und Weidehängen liegt die sonst schmucklose Stadt; schön alber erscheint sie fast immer von hier gesehen, zumal im September, wenn der silberne Nebel sie morgens halb verhüllt. Ihr Kirchturm hatte, wie ich von alten Bildern weiß, schon zwei verschiedene Formen, die beide seine jetzige übertrafen. In seinem vorletzten Stadium trug er eine Zwiebelkuppei; seine letzte Metamorphose war nicht glücklich. Hinter dem Stadtbild steigen spärlich bewaldete Hügel an. — Ich wende mich weiter und lasse auch die grüngewölfoten Nußbäume, meinen vormittägigen Leseplatz am Feldrain, hinter mir.

Quer führt mein Weg jetzt über ein Rübenfeld, das — wenn mein Gedächtnis nicht trügt — einst einem reichen, geizigen Bauern gehört hat, von dessen bösen Spekulationen man noch viel erzählt. Endlich komme ich au einem Hohlweg, steige alber nicht den mit Schlehdorn und Hagebutten so dicht bewachsenen Hang hinab, sondern gehe rechts weiter, wo mir eine kleine Kapelle winkt. Daneben stand einst — das weiß ich aus meiner frühesten Kinderzeit — eine „Schießhütte“: ein etwa zwei Meter langes und einen Meter breites, schwarzgeteertes Bretterhaus mit konischem Rauchfang, dem Sehußloch, an einem Ende. Hier soll man früher bei großen Gewittern gegen die Wolken geschossen haben,

um sie gewaltsam au trennen und die Weinhänge zu sichern. Da die etwas längliche Hütte mit „Rauchfang“ meiner kindlichen Phantasie eine Lokomotive vortäuschte, stellte ich mich dicht daneben und besorgte mündlich das mir fehlende rhythmische Dampfgeräusch. — Wohin aber weiche ich vom Wage ab? Schon zwei Jahrzehnte wächst das Gras über dem Grund der gewesenen Hütte und die heutige Welt liegt in noch somimenseharfem Licht.

Nun geht es links, dn gleicher Höhe weiter, den nach seinen zahllosen Hecken so benannten „Rosenberg“ hinein, an vielen ^chönen Weingärten vorbei, vor denen große Nußbäume wie Wächter stehen. Die einst durch die Reblaus verseuchte Erde des Rosenbergs hat längere Zeit hindurch Klee und andere Frucht getragen: die Hänge mußten ihrer edleren Bestimmung für Jahre entsagen. Jetzt sind es wieder Weingärten. Der meines Großvaters, ein schöner, breiter Hang mit Nußbäumen davor und vielen Ribiselstauden und Pfirsichbäumen zwischen den Stöcken, ist uns nun, da er meinem ängstlichen, übergenauen Orakel gehört, nicht mehr so zugänglich wie zu den Tagen des weinherben, gleich den Flinten im alten Schießhaus nur harmlos brummenden Großvaters. — Auch an diesem Traubengelände geht mein Weg vorbei. Links, am wilden Hange, stehen Stauden, an deren Gerten viele schwere Weinbergschnecken kleben und im Lutfthauch leise schaukeln.

Noch einmal biege ich links ein und sehe unter mir einen schöngebildeten! Talkessel mit Feldern, Obst- und Nußbäumen, kleinein Weingärten und wieder Feldern — bis ich zwischen Pfafferahut, Schlehdorn und anderem Gesträuch allmählich dn jenen Hohlweg komme, den ich bei meinem Gang zur Kapelle links unten habe liegen lassen. Hinter dem nördlich gelegenen „Winterberg“ ragen die zwei Schlote der roten Ziegelei auf, und ein satter, tief-dröhnender Ton verkündet, über die sinkenden Felder heraufwehend, die Atoend-rast der Fabniksleute.

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