6707896-1964_08_10.jpg
Digital In Arbeit

ZU DEN DÜNEN DEUTSCHLANDS

Werbung
Werbung
Werbung

Dorthin wanderten unsere Gedanken zurück; trippelten auf und nieder zwischen den Höfen, den offenen Mittagsplätzen, den Steingängen, den moosweichen Treppen, den waldfeuchten Logen im Luftzirkus in der grabtiefen Kühle des freien Theaters; tranken in der Pferdeschwemme; lasen bekannte Namen; tänzelten rechts und links neben metall-äugigen Pferden vorbei, die in ihren Geschirren gähnten und sich räusperten, rasselnd und klingelnd; verwechselten wir nun schon die Gasteiner Ache mit den Wasserspielen? Versteckten wir uns hinter den Salzburger Zwergen, weil es regnet? Gab es keine Verheißungen mehr, die das Zickzackgewitter unserer vollends verstrickten Gedanken aufzuheben vermochten?

Nun saßen wir da und rechneten uns aus, wann wir wieder zurückfahren würden; wie oft waren wir nun schon hier gewesen, und war nicht eine Stadt wie die andere? Wenn man den Kopf neigte, ging man nicht immerfort über große gequaderte Straßen? Läuteten die Glocken der Theatiner-Kirche nicht ebenso hell wie die unsichtbaren Glocken von Helgoland? (Während wir an Distelblumen und Dornenkehren vorüberstreiften, die Felsen vom Schaummeer hochtasteten und umkreisten wie die herrlichen Möwen, die so schrien, daß die schöne Invasion der Fremden wie das Summen eines fernen Bienenvolks klang, tief drinnen im Heidekraut, verirrt in den kahlen Stellen der braunen Gräser; während wir auf und nieder wirbelten mit diesen seeblauen neuen Tieren; während wir uns neigten vor der Kirche der Insel: o angehaltener Atem des ängstlichen Betonherzens, unvergessen die schrecklichen Bombenregen! — Während wir auf gewellte Wasser hinausblickten und auf einmal den kreischenden Gesang der Möwen verstanden; während wir plötzlich aufgehört hatten, die kleinen mühseligen Brosamen des Lebens aufzupicken, fest entschlossen, uns fortan von den Lüften zu nähren; während Albert und ich die Salzkrusten des sommerlichen Windes auf unserer Haut entdeckten, bis wir endlich wie Muschelmenschen aussahen, perlmutterschimmernd und bräunlich, nach stundenlangem Wandern an der oberen Wildfläche der Insel, durch Sonnenstrahlen und Windböen und Himmelsschreie hindurch); — standen die Spiegelbilder nicht ebenso fraglich in den Pensionen von West-Berlin (Albert und ich mit ostdeutschen Pfennigen in unseren Fäusten; fraglich die ganze glänzende und bewegliche Zeit dieses Sommers) wie hinter der rosenbekränzten Abendtafel in Westfalen?: Wie zärtliche Blumenbinder umschlangen wir die wunderbaren Windmühlen, unsere Augen irrten abseits der Straße, wir bliesen sie an, und plötzlich bewegten sie sich, diese reglosen, die lauen, vielverstaubten, die Windmühlen aus blauen Augustblumen, fingen an sich zu drehen, und der westfälische Wind rührte sich, und der ganze blumenschwere August begann sich wie ein riesiges, langsames, blumenmahlendes Rad zu drehen.

Wir würden wieder zurückkommen; auf eine bestimmte Zeit kam es uns eigentlich nicht an; schon rostete etwas an unserem Windhimmel; wir eilten zum Schiff; es schaukelte

im Hafen; es war das erste richtige Schiff,,das. wir sahen. Es kam uns vor, als entferne es sich auf eine unbegreifliche Weise, obwohl wir es eben erreicht hatten; Wimpel, Wimpel, Fahrtwind, los! War es das letzte Schiff des heutigen Abends?

Die Straßen waren verwachsen mit Fliederbüschen und Jahrmarktballonen, und wir kamen nur ruckweise vorwärts; man rastete auf offener Landstraße, dort, wo sie ausgeweidet war; Grashalme, ein Stück braune Erde und viele Huflat-tichblumen; später ein Heinrich-Heine-Garten, mitten in Deutschland (der wilde Wein grünte über den Holztischen); zu einer Riesenschleife banden wir die Wege, auf denen wir spazierten, zu Mittag nach spärlichen Sardinen und Weißbrotschnitten; ein Regen, wenn wir Orangen einkaufen gingen für unsere Reisegefährten, ein gelber Regen auf die leeren Rücksitze des Wagens; ein rheinisches Gärtchen: Wir trachteten in einer Anwandlung von Erhabenheit darnach, Lore-leis Haarspitzen in den brausenden Strom zu tauchen, in die Rheinschlinge (gemarkt mit vielen kleinen sektgelben Flaschenhälsen; schwappend, niedertauchend; der Rhein sprach nicht direkt zu uns, aber etwas wie eine Ahnung hatte sich in den wilden Apfelbäumen, die eins der Ufer säumten, schaumig frei und ein wenig grünlich, verfangen und in den holzwarmen freundlichen Kneipen Heidelbergs, in den mor-gengrauen Gäßchen Heidelbergs, wo wir langsam über die buckeligen, hohen, schwarzfeuchten Pflastersteine wanderten, seltsam ausgesöhnt mit den Hauszeichen, die sich während der vergangenen Nacht schellend und baumelnd, ächzend und splitternd in unser bewegtes Bewußtsein gedrängt hatten).

Wir würden wiederkommen, hatten wir versprochen; wir kamen wieder; immer wieder haben wir die Empfindung, wiedergekommen zu sein, zu den auf dem Stein sichtbar gewordenen Stürmen; zu den steinernen Auffahrten des Olympiastadions (berauscht von der zärtlichen Kälte seiner Dimensionen); zu den dunklen Bogengängen der Veste Coburg (wo ich mich mit Wappentieren und einer lebensgroßen Dogge aus Papiermache anfreunde: glasäugig und geschmückt steht sie in der sanften Staubluft des Saals; ich streiche ihr über die Ohren; sie blickt mich wunderbar an und fordert weitere Liebkosungen; ich flüstere Albert ins Ohr, daß ich die Dogge mitnehmen wolle, doch Albert zerschlägt dieses Ansinnen); zu den Ost-Berliner Plakatwänden mit Trauerflor zu Häup-ten und Füßen der nationalen Helden; zu den Ost-Berliner Spruchbändern, poetischen Staubsäulen, endlosen Girlanden aus Schuttbergen, Höhlen und Spitzhacken; zu den verwischten monströsen Bombenruinen; den gespenstischen Prunkbauten der Stalinallee; zu den Seitenwegen, zu den irregulären Besuchen von Stadtteilen und Kirchen; zu den mannigfaltigen Gedenkstätten; nach Bayreuth (wo wir in den melodischen Hecken von Buchs zurückbleiben, in den grünen Einfriedungen und am Grab Wagners: mit Fanfaren eingesargt und zwischen den ungeheuren Musikfahnen der Götterdämmerung und den buntröckigen Auffahrten der Meistersinger gebettet); — wir kehrten zurück; wir kehren immer wieder an jenen Punkt zurück, den wir einmal berührt

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung