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Audienz in SJiöntrunn

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Der Bezirkshauptmann Franz Freiherr von Trotta im mährischen Städtchen W., der Sohn des berühmten „Helden von Sol-ferino“, welcher in dieser Schlacht dem Kaiser das Leben gerettet hatte und dafür mit dem Maria-Theresien-Orden ausgezeichnet worden war, hatte eine schlechte Nachricht von seinem Sohn Carl Joseph, seines Zeichens k. u. k. Leutnant bei irgendeinem Regiment in Galizien, erhalten. Die trostlose Einsamkeit dieses Landes hatte den jungen Mann halb verrückt gemacht. Schulden über Schulden hatten sich in kürzester Zeit angehäuft, die sein Sohn und auch er, der alte Bezirkshauptmann, niemals hätten bezahlen können. Die Gefahr, daß sein Sohn die Armee verlassen mußte, hing drohend in der Luft. Das war es gewesen, was in dem letzten Brief Carl Josephs gestanden hatte.

In diesem Augenblick erinnerte sich der alte Bezirkshauptmann an ein Versprechen, daß der Kaiser seinem Vater gegeben hatte: immer zu ihm zu kommen, wenn er irgendeine Sorge habe.

Und also packte der Herr Bezirkshäuptmann seine Galauniform ein und fuhr nach Wien. Er kam spät am Abend an. Aber er wußte, wo die Männer zu finden waren, . die er brauchte. Er kannte die Häuser, in denen sie wohnten, und die Lokale, in denen sie aßen. Und der Regierungsrat Smekal und der Hofrat Pollak und der Oberrechnungsrat Pollitzer und der Obermagistratsrat Busch und der Statthaltereirat Leschnigg und der Polizeirat Fuchs: sie alle und noch manche andere sahen an diesem Abend den sonderbaren Herrn von Trotta eintreten, und obwohl er genau so alt war wie sie, dachte doch jeder von ihnen bekümmert, wie alt der Bezirkshauptmann geworden sei. Denn er war viel älter als sie alle. Ja, ehrwürdig erschien er ihnen, und sie scheuten sich fast, ihm „Du“ zu sagen. Man sah ihn an diesem Abend an vielen Orten und beinahe gleichzeitig an allen auftauchen, und er erinnerte sie an einen Geist, an einen Geist der alten Zeit und der alten habs-burgischen Monarchie; der Sdiatten der Geschichte begleitete ihn, ja, er war selbst ein silberner Schatten der Geschichte. Und so merkwürdig das auch klang, was er ihnen anvertraute, nämlich sein Unterfangen, innerhalb von zwei Tagen eine Privataudienz beim Kaiser zu erwirken, viel merkwürdiger erschien er ihnen selbst, der Herr von Trotta, der früh Gealterte und gleichsam von Anbeginn Alte, und allmählich fanden sie sein Unternehmen gerecht und selbstverständlich.

In Montenuovos Obersthofmeisteramt saß der Glückspilz, der Gustl, den sie alle beneideten, obwohl man wußte, daß seine. Herrlichkeit mit dem Tode des alten Kaisers und der Thronbesteigung Franz Ferdinands ein schmähliches Ende finden würde. Sie warteten schon darauf. Sein Dienst war einfach, ein Kinderspiel, während sie alle, die anderen, unerträgliche und äußerst verwickelte Angelegenheiten zu erledigen hatten. Der Hasselbrunnerl Er allein konnte da was machen. Am nächsten Morgen, um neun Uhr schon, ßtand der Bezirkshauptmann vor der Tür Hasselbrunners im Obersthofmeisteramt. Er erfuhr, daß Hasselbrunner verreist war und vielleicht heute nachmittag zurückkommen würde. Zufällig kam der Smetana vorbei, den er gestern nicht hatte finden können. Und Smetana, schnellstens eingeweiht und flink wie immer, wußte vieles. Wenn Hasselbrunner auch verreist war, so saß doch nebenan der Lang. Und Lang war ein netter Kerl. Und also begann des unermüdlichen Bezirkshauptmanns Irrgang von einer Kanzlei zur anderen. Er kannte die geheimen Gesetze keineswegs, die in den kaiserlich-königlichen Wiener Behörden gültig waren. Jetzt lernte er sie kennen. Diesen Gesetzen zufolge waren die Amtsdiener mürrisch, bevor er seine Visitenkarte herauszog; .hierauf, sobald sie seinen Rang kannten, untertänig. Die höheren Beamten begrüßten ihn samt und sonders mit herzlichem Respekt. Jeder von ihnen, ohne Ausnahme, schien in den ersten Viertelstunde bereit, seine Karriere und sogar sein Leben für den Bezirkshauptmann wagen zu wollen. Und erst in der nächsten Viertelstunde trübten sich ihre Augen, erschlafften ihre Gesichter; der große Kummer zog in ihre Herzen und lähmte ihre Bereitschaft, und jeder von ihnen sagte: „Ja, wenn's was anderes wärl Mit Freuden! So aber, lieber, lieber Baron Trotta, selbst für unsereinen, na, Ihnen brauch ich ja eh nix zu sagen.“ Und so und ähnlich redeten sie an dem unerschütterlichen Herrn von Trotta vorbei. Er ging durch Kreuzgang und Lichthof, in den dritten Stock, in den vierten, zurück in den ersten, dann ins Parterre. Und dann beschloß er, auf Hasselbrunner zu warten. Er wartete bis zum Nachmittag, und er erfuhr, daß Hasselbrunner gar nicht in Wirklichkeit verreist, sondern zu Hause geblieben war. Und der unerschrockene Kämpfer für die Ehre der Trottas drang in Hasselbrunners Wohnung vor. Hier endlich zeigte sich eine schwache Aussicht. Sie fuhren zusammen zu dem und jenem, Hasselbrunner und der alte Herr von Trotta. Es galt, bis zu Montenuovo selbst vorzudringen. Und es gelang schließlich um die sechste Abendstunde, einen Freund Montenuovos in jener berühmten Konditorei aufzustöbern, in der sich die genäschigen und heiteren Würdenträger des Reiches gelegentlich am Nachmittag einfanden. Daß sein Vorhaben unausführbar sei, hörte der Bezirkshauptmann heute schon zum fünfzehnten Mal. Aber er blieb unerschütterlich. Und die silberne Würde seines Alters und die leicht sonderbare und etwas wahnwitzige Festigkeit, mit der er von seinem Sohne sprach und von der Gefahr, die seinem Namen drohte, die Feierlichkeit, mit der er seinen verstorbenen Vater den Helden von Solferino nannte und nicht anders, den Kaiser Seine Majestät und nicht anders, bewirkten in den Zuhörern, daß ihnen selbst das Vorhaben des Herrn von Trottas allmählich gerecht und fast selbstverständlich vorkam.

Es war schwer, das Zeremoniell zu durchbrechen. Man sagte es ihm fünfzehnmal. Er antwortete, daß sein Vater, der Held von Solferino, das Zeremoniell ebenfalls durchbrochen hatte. Schließlich sagte man ihm, er solle ein Gesuch um eine Audienz einreichen. ,

Er ging in einen Papierladen, kaufte einen Bogen vorschriftsmäßiges Kanzleipapier, ein Fläschchen Tinte und eine Stahlfeder, Marke Adler, die einzige, mit der er schreiben konnte. Und mit fliegender Hand, aber mit seiner gewöhnlichen Schrift, die noch die Gesetze von „Haar und Schatten“ streng einhielt, setzte er das vorschriftsmäßige Gesuch an Seine K. und K. Apostolische Majestät auf und zweifelte nicht einen Augenblick, das heißt er gestattete sich nicht, einen Augenblick daran zu zweifeln, daß es „im günstigen Sinne“ erledigt würde.

Drei Tage im ganzen hatte Herr von Trotta noch Zeit. Und es gelang ihm, innerhalb einer einzigen Nacht, in der er nicht schlief, nicht aß und nicht trank, das eiserne und das goldene Gesetz des Zeremoniells zu durchbrechen. So wie der Name des Helden von Solferino in den Geschichtsbüchern oder In den Lesebüchern für österreichische Voks- un Bürgerschulen nicht mehr gefunden werden konnte, ebenso fehlte der Name des Sohnes des Helden von Solferino in den Protokollen Montenuovos. Außer Monte-nuovo selbst und dem jüngst verstorbenen Diener Franz Josephs weiß kein Mensch in der Welt mehr, daß der Bezirkshauptmann Franz Freiherr von Trotta eines Morgens vom Kaiser empfangen worden ist, und zwar knapp vor der Abfahrt nach Ischl.

Es war ein wunderbarer Morgen. Der Bezirkshauptmann hatte die ganze Nacht hindurch die Paradeuniform probiert. Er ließ das Fenster offen. Es war eine helle Sommernacht. Von Zeit zu Zeit trat er ans Fenster. Die Geräusche der schlummernden Stadt hörte er dann und den Ruf eines Hahnes.aus entfernten Gehöften. Er roch den Atem des Sommers,- er sah die Sterne am Ausschnitt des nächtlichen Himmels, er hörte den gleichmäßigen Schritt des patrouillierenden Polizisten. Er erwartete den Morgen. Er trat, zum zehnten Mal, vor .den Spiegel,richtete die Ecken des Stehkragens, fuhr noch einmal über die goldenen Knöpfe seines Uniformrockes mit dem weißen, batistenen Taschentuch, putzte den Griff des Säbels, bürstete seine Schuhe, kämmte seinen Backenbart, bezwang mit dem Kamm die spärlichen Härchen seiner Glatze, die sich immer wieder aufzustellen und zu ringeln schienen, und bürstete noch einmal die Schöße des Rockes. Er nahm den Zweispitz in die Hand. Er stellte sich vor den Spiegel und wiederholte: .Majestät, ich bitte um Gnade für meinen Sohn!“ Er sah im Spiegel, wie sich die Flügel seines Backenbartes bewegten, und er hielt es für ungehörig, und er begann, den Satz so zu sprechen, daß der. Bart sich nicht rührte und daß die Worte trotzdem deutlich hörbar waren. Er verspürte keinerlei Müdigkeit. Er trat noch einmal ans Fenster, wie man an ein Ufer tritt. Und er erwartete sehnsüchtig den Morgen, wie man ein heimatliches Schiff erwartet. Ja, er hatte Heimweh nach dem Kaiser. Er stand am Fenster, bis der graue Schimmer des Morgens den Himmel erhellte, der Morgenstern erstarb und die verworrenen Stimmen der Vögel den Aufgang der Sonne verkündeten. Dann löschte er die Lichter im Zimmer. Er drückte die Klingel an der Tür. Er befahl den Friseur. Er zog den Rock aus. Er setzte sidi. Er ließ sich rasieren. „Zweimal!“ sagte er zu dem schlaftrunkenen jungen Mann. „Und gegen den Strich!“ — Nun schimmerte bläulich sein Kinn zwischen den silbernen Fittichen seines Bartes. Der Alaunstein brannte, der Puder kühlte seinen Hals. Für acht Uhr dreißig war er bestellt. Noch einmal bürstete er seinen schwarzgrünen Uniformrock. Dann wiederholte er vor dem Spiegel: „Majestät, ich bitte um Gnade für meinen Sohn!“ — Dann schloß er das Zimmer. Er stieg die Treppe hinunter. Der Portier verbeugte sich tief. Der Zweispänner hielt vor der Drehtür. Der Bezirkshauptmann fegte mit dem Taschentuch über den Polstersitz des Fiakers und setzte sich. „Schönbrunn!* befahl er. Und er saß während der ganzen Fahrt starr im Fiaker.

Er ließ den Wagen in einer Entfernung halten, die ihm angemessen erschien. Und er ging, mit seinen blendenden Handschuhen an beiden Seiten des schwarzgrünen Uniformrockes eines k. k. Bezirkshauptmannes, sorgfältig einen Fuß vor den anderen setzend, um die glänzenden Zugstiefel vor dem Staub der Allee zu bewahren, den geraden Weg zum Schönbrunner Schloß empor. Der Posten salutierte, der Bezirkshauptmann von Trotta betrat das Schloß.

Er wartete. Er wurde, wie es Vorschrift war, von einem Beamten des Obersthofmeisteramtes gemustert Seine Uniform, seine Handschuhe, seine Stiefel waren tadellos. Es wäre unmöglich gewesen, einen Fehler an Herrn von Trotta zu entdecken. Er wartete. Er wartete in dem großen Raum vor dem Arbeitszimmer der Majestät, durch dessen sechs große, gewölbte und noch morgendlich verhangene, aber berat* geöffnete Fenster der ganM Reichtum des Frühsommers drang, alle süßen Gerüche und alle tollen Stimmen der Vögel von Schönbrunn.

Er schien nichts zu hören, der Bezirkshauptmann. Er schien auch den Herrn nicht zu beachten, dessen diskrete Pflicht es war, die Besucher des Kaisers zu mustern und ihnen Verhaltungsmaßregeln zu geben. Vor der silbernen, unnahbaren Würde des Bezirkshauptmannes verstummte er und unterließ seine Pflicht. An beiden Flügeln der hohen, weißen, goldgesäumten Tür standen zwei übergroße Wächter wie tote Standbilder. Der braungelbe Parkettboden, den der rötliche Teppich nur in der Mitte bedeckte, spiegelte den unteren Teil Herrn von Trottas undeutlich wider, die Hose mit den goldenen Lampassen, die Spitze der Säbelscheide und auch die wallenden Schatten der Uniformschöße. Herr von Trotta erhob sich. Er ging mit zagen, lautlosen Schritten über den Teppich. Sein Herz klopfte. Aber seine Seele war ruhig. In dieser Stunde, fünf Minuten vor der Begegnung mit seinem Kaiser, war es Herrn von Trotta, als verkehrte er hier seit Jahren und als wäre er gewohnt, jeden Morgen Seiner Majestät Kaiser Franz Joseph dem Ersten persönlich Bericht zu erstatten über die Vorfälle des vergangenen Tages im mährischen Bezirk W. Ganz heimisch fühlte sich der Herr Bezirkshauptmann im Schlosse seines Kaisers. Höchstens störte ihn der Gedanke, daß er es vielleicht nötig hätte, noch einmal mit kämmenden Fingern durch seinen Backenbart zu fahren und daß jetzt keine Gelegenheit mehr war, die weißen Handschuhe abzustreifen. Kein Minister des Kaisers und nicht einmal der Obersthofmeister selbst hätte sich hier heimischer fühlen können als der Herr von Trotta. Von Zeit zu Zeit blähte der Wind die sonnengelben Vorhänge vor den hohen gewölbten Fenstern, und ein Stück sommerliches Grün stahl sich in das Gesichtsfeld des Bezirkshauptmannes. Immer lauter lärmten die Vögel. Schon begannen ein paar schwere Fliegen zu summen, im törichten, verfrühten Glauben, der Mittag sei gekommen, und allmählich fing auch die sommerliche Hitze an, fühlbar zu werden. Der Bezirkshauptmann blieb in der Mitte des Raumes stehen, den Zweispitz an der rechten Hüfte, die linke, weißblendende Hand am Säbelgriff, das Angesicht gegen die Tür des Zimmers starr gerichtet, in dem der Kaiser saß. So stand er wohl zwei Minuten. Durch die offenen Fenster wehten die goldenen Glockenschläge entfernter Turmuhren herein. Da gingen auf einmal die zwei Flügel der Tür auf. Und mit gerecktem Kopf, vorsichtigen, lautlosen und dennoch festen Schritten trat der Bezirkshauptmann vor. Er machte eine tiefe Verbeugung und verharrte ein paar Sekunden so, das Angesicht gegen das Parkett und ohne einen Gedanken. Als er sich erhob, war die Tür hinter seinem Rücken geschlossen. Vor ihm, hinter dem Schreibtisch, stand Kaiser Franz Joseph, und es war dem Bezirkshauptmann, als stünde hinter dem Schreibtisch sein älterer Bruder. Ja, der Backenbart Franz Josephs war etwas gelblich, um den Mund besonders, aber im übrigen genau so weiß wie der Backenbart Herrn von Trottas. Der Kaiser trug die Uniform eines Generals, und der Herr von Trotta die Uniform eines Bezirkshauptmannes. Und sie glichen zwei Brüdern, von denen der eine ein Kaiser, der andere ein Bezirkshauptmann geworden war. .Nun, mein lieber Trotta?“ fragte Franz Joseph. Denn es war seine kaiserliche Pflicht, seine Besucher verblüffenderweise beim Namen zu kennen. „Majestät!“ sagte der Bezirkshauptmann und verbeugte sich noch einmal tief. „Ich bitte um Gnade für meinen Sohn!“ — .Was für einen Sohn hat Er?“ fragte der Kaiser, um Zeit zu gewinnen und nicht sofort zu verraten, daß er in der Familiengeschichte der Trottas nicht bewandert war. .Mein Sohn ist Leutnant bei den Jägern in B.“, sagte Herr von Trotta. .Ah so, ah so!“ sagte der Kaiser. .Das ist der junge Mann, den ich bei den letzten Manövern gesehen hab!“ Franz Joseph der Erste verließ jetzt den Platz hinter dem Schreibtisch, ging seinem Besucher ein paar Schritte entgegen und sagte: .Kommen S' doch nähert“ Der Kaiser streckte seine magere zitternde Hand aus, eine Greisenhand mit blauen Äderchen und kleinen Knoten an den Fingergelenken, und wies auf den Platz vor sich. Der Bezirkshauptmann trat näher. Gern hätte er die Hand des Kaisers ergriffen, um sie zu küssen. Er wußte nicht, ob er es wagen dürfte, und so unterließ er es. ,Majett*\ wiederholie der Bezirkshauptmann zum drittenmal, .ich bitte um Gnade für meinen Sohn!“

Sie waren wie zwei Brüder. Ein Fremder, der sie in diesem Augenblick erblickt hätte, wäre imstande gewesen, sie für zwei Brüder zu halten. Ihre weißen Backenbärte, ihre abfallenden schmalen Schultern, ihr gleiches körperliches Maß erweckten in beiden den Eindruck, daß sie ihren eigenen Spiegelbildern gegenüberständen. Und der eine glaubte, er hätte sich in einen Bezirkshauptmann verwandelt. Und der andere glaubte, er hätte sich in den Kaiser verwandelt. Zur linken Hand des Kaisers und zur rechten Herrn von Trottas standen die zwei großen Fenster des Zimmers offen, auch sie noch verhüllt von sonnengelben Vorhängen. „Schönes Wetter heut!“ sagte plötzlich Franz Joseph. .Wunderschönes Wetter heut!“ sagte der Bezirkshauptmann. Und während der Kaiser mit der Linken nach dem Fenster deutete, streckte der Bezirkshauptmann seine Rechte in die gleiche Richtung aus. Und es war dem Kaiser, als stünde er vor seinem eigenen Spiegelbild.

Auf einmal fiel es dem Kaiser ein, daß er vor seiner Abreise nach Ischl noch viel zu erledigen hatte. Und er sagte: „Es ist gutl Es wird alles erledigt! Was hat er denn angestellt? Schulden? Es wird erledigt! Grüßen Sie Ihren Papa!“

„Mein Vater ist tot, Majestät!“ sagte der Bezirkshauptmann.

.So, tot!“ sagte der Kaiser. „Schade, schade!“ Einen Augenblick verloren sich seine Erinnerungen an die Schlacht bei Solferino. Dann kehrte er rasch an seinen Schreibtisch zurück, setzte sich, drückte an den Knopf der Glocke und sah nicht mehr, wie der Bezirkshauptmann hinausging, den Kopf gesenkt, den Säbelgriff an der linken, den Zweispitz an der rechten Hüfte.

Der morgendliche Lärm der Vögel erfüllte das ganze Zimmer. Bei aller Wertschätzung, die der Kaiser für die Vögel empfand, als eine Art bevorzugter Gottesgeschöpfe, hegte er doch auch gegen sie ein gewisses Mißtrauen auf dem Grunde ■eines Herzens, ähnlich jenem gegen die Künstler. Und nach seinen Erfahrungen in den letzten Jahren waren die zwitschernden Vögel immer der Anlaß seiner kleinen Vergeßlichkeiten gewesen. Deshalb notierte er schnell auf den Akt Affäre Trotta: .Günstig erledigen.“

Dann wartete er auf den täglichen Besuch des Obersthofmeisters. Schon schlug es neun. Jetzt kam er.

Aus „Radetzkymarsch“, Verlag Kiepenheuer, Köln. Vertretung in Österreich: Willy Verkauf, Wien.

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