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Ortlein fur mein Ruhebettlein

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BITTE, SICH NICHT AUF DIE SÄRGE ZU SETZEN!“ Diese Bitte ist heute in der Kaisergruft leider durchaus nicht überflüssig. Lange Kolonnen von Autobussen schleudern Tag für Tag ihren abgezählten Inhalt durch die enge Pforte auf dem Neuen Markt hinunter in die Grabstätte, wo in den engen Gängen zwischen 138 mehr oder weniger großen Särgen oft ein gefährliches Gedränge entsteht. Ehrfürchtiges Staunen. „Bitte nicht drängen, in diesem Sarg ruht Gräfin Fuchs-Mollardt, auf Wunsch Maria Theresias als einzige Nicht-Habsburgerin hier bestattet, bitte weitergehen, nein, in diese Richtung, der Sarkophag mit den vier gekrönten Totenköpfen enthält die Gebeine Karls VI., wohliges Gruseln, wir kommen jetzt in die Maria-Theresien-Gruft, alles stehenbleiben, no, Mylady, das ist die deutsche Führung, Sie gehören dorthin, mein Kollege erklärt Englisch.“ Dutzende von Augenpaaren wenden sich gehorsam nach rechts, wenden sich gehorsam nach links, Dutzende Paar Füße scharren um drei Särge weiter. Wie viele von diesen Menschen lassen sich auf das fast abenteuerliche Unternehmen ein, im geschäftigen Getriebe der Führung einen Hauch vom Geist europäischer, weltweiter Geschichte erhaschen zu wollen? Wie vielen bedeutet der Besuch in der Kapuzinergruft mehr als die seltsam erregende Fahrt auf einer Art Kulturgeisterbahn? Wer könnte es wagen, dies abzuschätzen?

DAS VERHÄLTNIS ZUM TOD, das sich hier ausdrückt, ist so bezeichnend für österreichisches Wesen! Wobei man verfolgen kann, wie es sich von Jahrzehnt zu Jahrzehnt wandelt. Geradlinig-einfache Metalltruhen von klassisch-schönen Proportionen, auf Greifenfüßen, mit Löwenköpfen — das sind die Särge der Klosterstifterin Kaiserin Anna und des Kaisers Matthias. Schon die nächste Generation glaubt, mit so wenig Schwung und einem solchen Minimum an Schmuck und Symbolen nicht auskommen zu können, die Särge werden größer, formenreicher, überladener mit Zierat, die unterkieferlosen Totenköpfe mit den gekreuzten Schenkelknochen, die noch ganz im mittelalterlichen Sinn die Vergänglichkeit demonstrieren, wandeln sich zu gekrönten Totenhäuptern, immer mehr wird der Tod selber zur habsburgischen Majestät.

Der gewaltige Doppelsarkophag der Kaiserin Maria Theresia und ihres Gemahls, in der Mitte eines eigenen Kuppelraums, ist der Höhepunkt dieser Entwicklung. Balthasar Moll hat das Herrscherpaar dargestellt, wie es sich unter dem Klang der himmlischen Posaunen von seinen Ruhebetten auf dem Deckel des gewaltigen Sarkophags erhebt.

Und dann wird diese Entwicklung urplötzlich abgebrochen. Joseph II. läßt die Gruft, in der sich seine Mutter so gern aufgehalten hat, verschließen, die Fenster des Kuppelraumes vermauern und sich in einer einfachen Kupfertruhe zu Füßen seiner Mutter bestatten. Gewiß — der Zierat wird nachher wieder reichlicher, die Formen werden schwungvoller, aber desto offensichtliche“- bleibt alles im Repräsentativen stecken. Kunst kann nur mehr in Einfachheit bestehen.

DER WIENER, der die Kapuzinergruft zumeist schon in der Schulzeit kennengelernt hat, läßt es meistens bei diesem einen Besuch bewenden. Wie sehr sie ihm trotzdem ans Herz gewachsen ist, mag er gespürt haben, als vor wenigen Jahren plötzlich bekannt wurde, in welchem Maß sie von der „Zinnpest“ bedroht ist. Über die näheren Umstände, unter denen dieser Zerfall eintritt, war damals noch wenig bekannt. Unter der Leitung von Professor Lihl wurden lange Untersuchungen angestellt, die endlich die Ursache dieser Erscheinungen klärten. Sämtliche an den Zinnsärgen in der Gruft festgestellten Schäden sind auf die Feuchtigkeit in den Räumen zurückzuführen. Sie beginnt ihr Zerstörungswerk überall dort, wo ihr fehlerhafte Güsse, im Innern der Figur belassene Gußkerne oder Fugen, den Angriff ermöglichen.

ALSO TROCKENLEGEN! Aber unaufhaltsam sickert das Wasser durch das Mauerwerk der Wände und jeder Wetterumschwung befördert Wannluft herunter, die sich beim Abkühlen ihrer Feuchtigkeit entledigt. Der Gruftmeister der Kapuziner, Bruder Urban, hat getan, was er konnte. Entfeuchtungsapparate genügen nicht. Vor allem die Enge macht jeden wirkungsvollen Kampf gegen die Nässe unmöglich. Jahrelang konnte man an viele der eng aneinandergerückten und teilweise übereinandergetürmten Särge kaum heran — jede Pflege, jede „luftige“ Aufstellung wird da illusorisch. Die Geschichte der Kapuzinergruft ist nicht zuletzt eine Geschichte ihrer Erweiterungen, eines ununterbrochenen Kampfe gegen die Raumnot. Als Ferdinand III. neben den beiden Söhnen, die er innerhalb einer Woche verloren hatte und die in der „Engelsgruft“ beigesetzt worden waren, „Ain Oertlein für sein Ruhebettlein“ haben wollte, mußte Leopold I., am Tag nach dem Tod des Vaters, mit der ersten Vergrößerung der Gruft beginnen. Der Raum, in dem Franz Joseph, seine Frau und sein Sohn bestattet sind, war bereits der achte Zubau.

DIE NEUNTE ERWEITERUNG DER KAPUZINERGRUFT war fällig und wurde mit. der „Gartengruft“, die nunmehr im Rohbau fertig ist, geschaffen. Sie wurde zur Gänze unter dem Klostergarten errichtet und soll es endlich ermöglichen, Särge und Sarkophage in den übrigen Gruftteilen etwas lockerer aufzustellen. Überdies wird sie als „Ausweichquartier“ dienen, wenn in den anderen Grufträumen großzügige Trocken-legungsarbeiten beginnen, die Mauern isoliert, einzelne Särge mit Schutzschichten überzogen werden, wenn man darangeht, etwa den Doppelsarkophag Maria Theresias auseinanderzunehmen, zu renovieren und die in seinem Inneren vermutete, wahrscheinlich längst verrostete Stützkonstruktion aus Eisen zu erneuern. Solche Arbeiten brauchen Platz!

Aber auch die Menschen, die täglich zu Hunderten durch die Kapuzinergruft geschleust werden, brauchen Platz, viel Platz. Gleichzeitig mit der „Gartengruft“ soll ein neuer Gruftausgang seiner Bestimmung übergeben werden — eine Art „Fließverkehr“ soll einen reibungslosen Fühlungsbetrieb ermöglichen.

PLATZ FÜR SÄRGE und nicht für/ schaulustige Besucher — das war bisher in der Kapuzinergruft das große Problem. Heute hat sie auch eine museale Aufgabe zu erfüllen, denn im 20. Jahrhundert ist auch die Totentruhe ein Ausstellungsobjekt, auch die Gruft e,in Museum, auch die Begräbnisstätte ein Ort für historische und politische Erziehung. Abgesehen davon: Wären nicht die Besucher, die sich in endlosem Strom in die Kapuzinergruft ergießen — woher käme dann das Geld zur Rettung der unersetzlichen Werte, die sie birgt? Zur Restaurierung einer Stätte, die, so wie einst, nur am Allerseelentag betreten werden darf, noch dazu einer habsburgischen Begräbnisstätte?; wäre in unserem Staat wahrscheinlich kein Geld aufzutreiben.

Aber wenn man in der Kapuzinergruft nicht ausschließlich ein Museum sehen will, dann hat dieser Besucherzustrom auch seine Gefahren. Die neue, 280 Quadratmeter große „Gartengruft“, ein grauer, hallenartiger Raum mit der Decke aus Faltbetonwerk und dem sparsamen, geschmiedeten Schmuck, an dem Rudolf Hoflehner arbeitet, wird eines Tages möglicherweise einen kräftigen „Sog“ auf die übrigen Grufträume entwickeln. Steht man zum erstenmal in der „Gartengruft“, dann bekommt man ein wenig Angst, in der Kapuzinergruft könnte eines Tages das „ausstellungsmäßige“ Aufstellen der Särge beginnen. Wobei es unerheblich erscheint, ob man, um nur eine Möglichkeit von vielen zu erwähnen, einen kaiserlichen Sarg, der bisher zu ebener Erde seinen Platz hatte, aus ausstellungstechnischen Erwägungen oder aus Bedachtnahme auf die höhere Würde des Verstorbenen auf ein höheres Postament stellt, als die erzherzöglichen Totentruhen.

Denn es geht nicht nur darum, die Särge der Kapuzinergruft vor der Zerstörung zu retten, es geht auch darum, daß ihr historischer Charakter und ihre eigenartige Stimmung erhalten bleibt. Aber wir sind davon überzeugt, daß sie in guten Händen ist. Die Kapuziner stehen mit der einzigen Majestät, die in diesen Gewölben zu zählen hat, schließlich auf gutem Fuß.

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