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Das Herz des Kaisers

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Eine Odyssee ist zu Ende. Die Metallkapsel, die das Herz Kaiser und König Karls birgt, ruht seit dem November des Vorjahres in einer Nische der Abteikirche des schweizerischen Muri, Kanton Aargau. Erst jetzt teilten amtliche Schweizer Stellen auf einer Pressekonferenz mit, was dem österreichischen Freundeskreis der Familie schon des längeren bekannt war.

Wie dies seit Jahrhunderten bei den Herrschern aus dem habs-burgischen Hause nach deren Ableben geschehen war, hatte im April 1922 der obduzierende Arzt auch das Herz Kaiser Karls dem Leichnam vor der Bestattung entnommen und in einer Metallkapsel verwahrt. Dieser portugiesische Arzt, einer der beiden, die Kaiser Karl in seiner Todeskrankheit gepflegt hatten, lebte 1972 noch und war, neunzigjährig, Zeuge der Feierlichkeiten zum 50. Todestag des Kaisers und der Wiederbestattung seines im Verlauf des Seligsprechungsprozesses exhumierten Körpers in Nos-sa Senhora do Monte.

Die Kapsel mit dem Herzen hingegen begleitete die Witwe und die Kinder Karls auf ihren späteren Fluchtwegen durch Europa und bald auch von Kontinent zu Kontinent: nach Spanien, in das Fischerstädtchen Lequeitio,

das den Kindern zum zeitweiligen Heim wurde; nach Belgien, in das Schloß Harn bei Steenocker-zeel, dem Refugium der Studienjahre; auf der Flucht vor Hitlers Gestapo und unter dem Bombenhagel der deutschen Stukas von Nord nach Süd durch Frankreich, wo man in leeren Häusern und auf dem Erdboden nächtigte; Wieder über Spanien, Portugal, Kanada nach Tuxedo Park nahe von New York. Und nach dem Kriege wieder zurück nach Europa, ins schweizerische Graubünden.

Vor einigen Jahren nun fand sich für die Familie Kaiser Karls in Muri bei Zürich jene Grabstätte, die für alle Habsburger zugänglich ist, für die nach Österreich heimgekehrten und für jene, denen in einer Zeit der Uberschallflugzeuge und des Fernsehens anachronistisch gewordene Gesetze das Betreten des heimatlichen Bodens verwehren, während alle anderen Europäer Grenzübertritte immer mehr als lächerliche Formalität erleben...

Muri ist eine althabsburgische Gründung aus der Zeit, da die Vorfahren König Rudolfs Grafen im Aargau waren. Die in einem „reichischen“ Barock erneuerte Kirche mit ihren Doppeladlern, rot-weiß-roten Wappenschildern und allegorischen Glorien auf hei-

teren Fresken wirkt wie ein österreichischer Fremdkörper inmitten der nüchternen, wohlgeordneten freundlichen schweizerischen Umwelt. Hier, in der Urheimat, und nicht im „Herzgrüfterl“ unterhalb St. Augustins, wo die Herzen der Vorfahren verwahrt werden, ruht das Herz des Kaisers nach langer Wanderung aus. Und nahe dem Herzen dessen, den man „Karl den Letzten“ nannte und der in Wirklichkeit ein erster, ein neuer Anfang und Stammvater war, werden eines Tages auch die Seinen ruhen. Für Österreicher bedeutet dies im Zeitalter der Motorisierung nichts weiter als einen kleinen Abstecher von der Autobahn Sankt Gallen — Bern, oder eine Taxifahrt vom Flughafen Zürich ins nahe Muri.

Der Körper des Kaisers aber bleibt, wo er bisher War: in der portugiesisch-barocken Bauern-und Wallfahrtskirche Nossa Senhora do Monte auf Madeira, geborgen in dem dunklen Metallsarg, der frei auf weißen Steinstufen steht, überflutet vom frohen südlichen Licht, hoch' oben über seiner „allzeit getreuen Stadt Funchal“, im Angesicht der tropischen, nie welkenden Blütenherrlichkeit und des ungeheuren Atlantischen Ozeans.

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