6552954-1948_05_11.jpg
Digital In Arbeit

Richezza und die österreichischen Babenberger

Werbung
Werbung
Werbung

Die Ausführungen Hansmartin Decker- Hauffs in der „Furche” (Nr. 49) verdienen aus zwei Gründen Beachtung. Sie zeigen an einem Beispiel den hohen Wert, ja die Unentbehrlichkeit einer genauen Kenntnis genealogischer Zusammenhänge, um die Geschichte des Mittelalters zu verstehen, sodann die schon früh der Ostmark und ihrem ersten Herrschergeschlecht, den Babenbergern, zugefallene völkerverbindende Mission, mit dem Ausblick nach Osten.

Unsere Ausführungen wollten zunächst die Grund ideen Decker-Hauffs bestätigen, ehe wir gegen seine These im Konkreten Widerspruch erheben. Ich kenne noch nicht das Beweismaterial, das der Verfasser in seinem angekündigten Buch vorzubringen denkt. Vielleicht ist es aber geboten, ihm schon jetzt mehrere Bedenken anzumelden, die er nodi rechtzeitig wird berücksichtigen können. Sie wenden sich erstens gegen die Identifizierung der Vornamen Richezza und Reginlint, zweitens gegen die Annahme, Richezza (oder, wie es gewöhnlich heißt: Ridisa), die Ahnfrau der Babenberger, sei mit einer zweiten Ridisa oder Ridilind(is), der Gattin Kunos von Öningen, eine und dieselbe Person, drittens gegen die Vermutung, jene aus zwei Personen kombinierte Frau sei die Tochter Ludolfs, des unglücklichen ältesten Sohnes Kaiser Ottos I. gewesen.

Beginnen wir mit einem kurzen Kapitel aus der mittelalterlichen Namenkunde. Die Vornamengleichheit bestätigt nicht etwa die Zugehörigkeit zu ein und demselben agnatischen Stamm, wohl aber eine Blutsverwandtschaft, der wir auch dann nachgehen müssen, wenn sie zunächst nicht festzustellen ist. Die mittelalterlichen Menschen hatten ein außerordentlich gutes Gedächtnis für Versippungen. Sie gedachten oft weit entfernter ‘Vorfahren, indem sie deren Namen den eigenen Kindern beilegten. Nach diesen einleitenden Bemerkungen wenden wir uns dem uns hier vordringlich interessierenden Vornamen Richsa zu. Er hat mit dem Vornamen Reginlind nichts zu schaffen. In Richsa, beziehungsweise in der volleren Form Richlind steckt der Stamm „rieh” als Wunsch des Reichtums. Das männliche Gegenstück zu diesem weiblichen Namen sind Namen wie Rik- bert, Richwin, Rikdag, die im gesamten sächsischen Stammesgebiet des früheren Mittelalters auftreten. Was die europäische Fürstenfamilie anlangt, dürften fast alle diese Vornamen auf das Geschlecht des Sadisenherzogs Widukind zurückgehen, in dessen männlicher und weiblicher Nachkommenschaft sie sich unablässig wiederholen. Davon rühren auch sämtliche uns bekannte Ridisa her, die in der Geschichte eine Rolle spielten. Reginlind dagegen hat den Kern „Regin” (Regen). Ist Rieh mit seinen Kompositen ein leicht zu deutender Wunsdiname, so gehört die Gruppe Regin in die Reihe der „albischen” Zaubernamen. Sie sind genealogisch aus den Niederlanden und aus Friesland herzuholen. Dort saß ein uraltes Geschlecht, das in verklungenen Urzeiten priesterüche Funktionen ausübte und dem wohl Abkunft von den Alben, den Elementargeistern, nachgerühmt wurde. Die Nachfahren dieser Sippe haben Namen, bei denen es einem sofort wagnerisch zumute wird. Nibelung, Alberad und allerlei, was mit dem Regenzauber zusammenhängt. Da sind di Reginare, das mächtigste belgische Geschlecht. (Aus dem Namen wird später das Rilkescbe Rainer.) Da gibt es neben einer Regintrude — der Wiener erinnert sich an die „Trud”, die ihn nächtens peinigt; Regintrud ist wiiklich, dem Zauberwort nach, ein Regengeist — und eine Reginlind. Diese aber ist fein säuberlich von der Richsa, der Reichen, zu scheiden.

Reginlinden erscheinen gar oft in der Fürstengenealogie vom 9. bis ins 13. Jahrhundert. Eine dieses Namens ist Gattin des Widukind-Urenkels Grafen Dedo (Dietrich) und aus dieser Ehe Mutter der Mathilde, die den ersten deutschen König aus dem Sachsenhaus, Heinrich I. (gestorben 936), heiratete. Eine ihrer, der Reginlind, gleichnamigen Urenkelinnen vermählte sich mit Markgraf Rikdag von Meißen und sie brachte durch eine Tochter, Oda, den sonderbaren Namen ins polnische Piasten- geschlecht. Eine andere Reginlind scheint Schwester des Grafen Reginar Langhals im Maasgau und durch ihre Mutter Enkelin Kaiser Lothars gewesen zu sein. Sie dürfte den Grafen Eberhard im Zürichgau ge- ehelicht haben und auf diese Weise erklärt sich das Auftauchen des Vornamens bei dessen Tochter, die aus ihrer Verbindung mit Herzog Burkhard von Schwaben Großmutter der Kaiserin Adelheid wurde, aus ihrer zweiten Ehe aber mit Herzog Hermann von Schwaben Mutter der Ida, Gattin des vorerwähnten schwergeprüften Kaisersohnes Ludolf. Doch alle diese Reginlinden haben weder mit der Richsa etwas zu tun, die als Gattin Leopolds von Babenberg-Ostmark urkundet, noch mit der Reginlind, die den Kuno von Öningen heiratete.

Mit diesen beiden Frauen aber verhält es sich folgendermaßen. Kuno von Öningen hat, wie Decker-Hauff sehr richtig feststellt, acht Kinder aus seinem relativ kurzen Eheglück mit Richlinde hinterlassen, neben den Töchtern, die in die Geschlechter der bur- gundischen Welfen, der Rheinfelder, der Andechs-Meraner und der Rjurykiden heirateten, den Grafen Ekbert von Mittelfriesland, einen Liutpold, einen Ludolf, Grafen vom Mömpelgard (Montbeliard), und Kuno, Grafen im Ufgau. Ekbert erbte seine norddeutschen und nordwestdeutschen Güter von einem andern Ekbert, seinem mütterlichen Großvater. Über eben diesen Großvater haben sich die Gelehrten schon viel den Kopf zerbrochen, an seiner Vaterschaft zu Richlind aber besteht kein Zweifel; die Erbgüter sind da, um sie zu bezeugen. Wie Decker-Hauff deren Übergang an den jüngern Ekbert mit der angeblichen Identität der Richlind und der babenbergischen Ahnfrau, ferner mit deren ebenso angeblichen Toditerschaft zu Herzog Ludolf vereinbaren will, ist mir nicht recht klar. Es bleibt zu erörtern, wieso Ridilind als eine „neptis” Kaiser Ottos I. erscheinen kann. Mittelalterliche Verwandschaftsbezeichnungen sind nie in unserem heutigen Wortsinn aufzulösen. Ein nepos, eine neptis sind einfach jüngere nahe Blutsverwandte. Ekbert, der Vater Richlinds, war durch seinen Vater Reginbert ein Geschwisterkind der Mathilde, Mutter Kaiser Ottos I. Das genügt, um die Gattin Kunos von Rhein- felden eine „neptis” des gedachten Monarchen zu nennen … Wenn nämlich, woran ich einigermaßen zweifle, Ekbert, der Vater Richlinds, wirklich ein Sohn Reginberts war und nicht etwa jener andere Ekbert, monoculus beigenannt, der 994 starb, in welchem Fall das „neptis” noch mehr gerechtfertigt wäre; denn Richlind entpuppte sich dann als Enkelin der Frederun, einer Schwester der Königin Mathilde, und sie würde damit zur „niece ä la mode de Bretagne” Kaiser Ottosl.

Nun aber zur Hauptgestalt, der rätselhaften Richsa, Gemahlin des ersten ostmärkischen Babenbergers. Decker-Hauff sucht drei quellenmäßige Bezeichnungen an dieser Heldin seines Forschens wiederzufinden. Sie heißt nach der besten Überlieferung „filia cuiusdam ducis Germaniae Franciae”, ferner habe ihr „Bruder” seinem „Schwager” Leopold von Babenberg die

Ostmark verliehen und endlich wird Richsa eine „Tochter” des Herzogs „Otto von Sachsen” geheißen. Dem fügt der Verfasser bei, daß Richsa in den Gründern von Aschaffenburg ihre Eltern verehrt. Da nun Herzog Ludolf und dessen Gemahlin Ida von Schwaben eben diese Stifter von Aschaffenburg waren, ist, laut unserem Autor, die Abkunftsfrage gelöst. Die drei Kriterien hält er für anwendbar. Denn Richsa als Tochter Ludolfs sei zwar keine Tochter eines Herzogs von Germanien und Francien, dafür eines von Schwaben aus sächsischem und einer andern schwäbischen Herzogstochter aus fränkischem Geschlecht. Sie sei zwar nicht eine Tochter Kaiser Ottos I., doch dessen Adoptivtochter und Enkelin. Zuletzt: als Otto II. die Ostmark an Leopold, den Babenberger, vergab, konnte er diesen, als den Mann seiner Nichte und Adoptivschwester, seinen Schwager betiteln.

Wir wenden ein: erstens operierte das Mittelalter nicht mit Begriffen wie Adoptivkinder. Zweitens wird nirgends etwas von einer verheirateten Tochter Ludolfs in den Quellen berichtet, und das nähme wunder, angesichts der großen Rolle, die der ungebärdige Sohn in der Geschichte des kaiserlichen Vaters spielte. Es stimmt auch mit den Daten nicht ganz. Die Heirat Leopolds ist, aus Gründen, die hier anzuführen kein Platz ist, weit früher, etwa um 968, anzusetzen, also noch zu Lebzeiten Kunos von Öningen (gestorben 974). Nach mittelalterlichen Gepflogenheiten war nicht zu vermuten, daß eine Mutter von acht Kindern nochmals heirate.

Doch wir wollen auf weitere Argumente verzichten und statt dessen die sehr einfache Lösung der Schwierigkeiten bieten.

Richsa war, nach unserer Überzeugung, eine Tochter der Luitgard, Schwester Ludolfs. Gleich ihrem Bruder, dem angeblichen Vater Richsas, stammte Luitgard aus Kaiser Ottos I. erster Ehe mit der englischen Prinzessin Eidith. Sie ist zwischen 931 und 933 geboren, heiratete 947 den Herzog Konrad von Franken und Lothringen, den Urgroßvater Konrads II. (gestorben 1039), der 955 auf dem Lechfeld fiel. Richsa war somit eine Schwester des Herzogs Otto von Kärnten und Franken (gestorben 1009). Ihre Geburt werden wir zwischen 949 und 953 ansetzen. Nun ist alles schnell erklärt. Der Name Ridisa findet sich in unmittelbarer Nähe. Es trägt ihn eine Tochter des Pfalzgrafen Ezzo (gestorben 1035) und der Mathilde, Schwester Ottos III. und Tochter Ottos II., also eine Nichte (wiederum „ä la mode de Bretagne”) der Babenbergerahnfrau. Der Name ist altes Erbgut, das zu den Sachsenkaisern aus dem Geschlecht Widu kinds kam. Ihn brachte Dietrich, der Vater der vorerwähnten Königin Mathilde, Gattin König Heinrichs I. und Urgroßmutter unserer Richsa. Es besteht alle Wahrscheinlichkeit, daß es eine ältere Ridisa als Tochter Heinrichs I. gegeben habe, die als Kind verstorben wäre. Und die drei Kriterien? Filia cuisdam Germaniae Franciae ducis… Paßt, wie auf Bestellung, nämlich auf den Herzog Konrad von Franken und Lothringen, den Vater unserer rätselhaften Frau. Tochter Herzog Ottos von Sachsen? Nicht Toditer, sondern Enkelin, doch „filia” heißt in mittelalterlichen Quellen sehr oft einfach Deszendentin in gerader Linie. Und Otto II. als Schwager Leopolds von Babenberg? Stimmt nochmals, denn „Schwager” bedeutete soviel wie Gatte einer nahen Blutsverwandten und Otto II. war der Muttersbruder der Gattin Leopolds von der Ostmark. Noch ein Letztes. Es wird von der ,,kaiserlichen Abstammung” der Babenberger berichtet. Natürlich handelt es sich da um eine Herleitung durch die Frauen. Dem Mittelalter lag die Bevorzugung des Mannesstammes ferne. Liest man etwa Balduin von Avesnes oder Alberith von Trois-Fontaines, dann wird man dessen gewahr, wie sich diese genealogischen Chronisten mit Eifer bemühen, Kaiserabkünfte in der weiblichen Linie darzutun. Die Babenberger gehören natürlich auch in den Kreis der Karolingersprossen. Wenn nicht durch Baba, ihre älteste Stammmutter, die vermutlich eine Tochter Ottos des Erlauchten und der Hedwig, einer Enkelin Ludwigs des Frommen, war, so doch durch den Vater unserer Heldin Richsa, den mehrerwähnten Herzog Konrad. Dieser, ein Sohn des Grafen Werner im Speiergau, war mütterlicherseits ein Enkel Graf Konrads im Hessenfrankengau und ein Urur- enkel Ludwigs des Deutschen.

Die Aschaffenburger Tradition aber wird ohne Zaudern in Zusammenhang mit der von mir aufgesteilten Filiation Richsas zu bringen sein. Luitgard, Richsas Mutter, war ja die vollbürtige Schwester Herzog Ludolfs des Stifters von Aschaffenburg. Ein Hauskloster, eine Eigenkirche, gehörte im Mittelalter stets dem gesamten Hause. Sollte nicht übrigens Konrad, der Herzog von Franken, bei der Gründung von Aschaffenburg ebensoviel mitgewirkt haben wie sein Schwager, der damals schwäbischer Fierzog war? Es erübrigt noch, auf eine andere wertvolle Bemerkung Decker- Hauffs einzugehen. Heinrich von Babenberg, der die Kaiserkrone nach Otto III. begehrte, war — eben gemäß den von uns umrissenen mittelalterlichen Anschauungen — als Urenkel Ottos I., und zwar als Enkel der ältesten Tödster, eher zur Nadafolge berufen denn Fleinrich II., der gar nicht vom Erneuerer des Kaisertums, sondern von Ottos I. Vater, Fleinrich I., stammte. Eben dieses Heinrich von Babenbergs Vetternsohn Konrad II. tritt ja auch später das Erbe der Ottonen an.

Es wäre sehr wertvoll, in größerem Zusammenhang den gesamten Komplex der Verwandtschaftsbeziehungen des ersten österreichischen Herrscherhauses zu überblicken. Das Endergebnis, die „Kosmopoliti- sierung” dieses fränkischen Geschlechts, ist von hohem Interesse. Sie leuchtet aus den Ahnentafeln eines Friedrich des Streitbaren oder schon der letzten Leopolde hervor. Darauf unsere Aufmerksamkeit gelenkt zu haben, ist Decker-Hauffs an- erkennenswürdiges Verdienst.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung