ErzherzogJohann

Wenn Prinzen aus der Rolle fallen

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Die „Trennung“ von Prinz Harry und seiner Frau Meghan vom englischen Königshaus sorgt für Aufregung. Doch der Schritt ist kein Unikum: Eine historisch-therapeutische Erkundung.

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Die „Trennung“ von Prinz Harry und seiner Frau Meghan vom englischen Königshaus sorgt für Aufregung. Doch der Schritt ist kein Unikum: Eine historisch-therapeutische Erkundung.

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Von Kaiser Franz Joseph ist der Stoßseufzer überliefert: „Mir bleibt doch gar nichts erspart auf dieser Welt!“ Ob Queen Elizabeth Ähnliches sagte, als sie angeblich erst aus den Fernsehnachrichten von der Rückzugsankündigung ihres Enkels Prinz Harry und seiner Frau Meghan erfuhr, ist nicht bekannt. Berichtet wurde jedoch, dass sie „verletzt“ und ihr Mann Prinz Philip „wütend“ über diese Quasi-Kündigung gewesen sei. Verständlich, haben die beiden Monarchen-Legenden doch die royale Pflichterfüllung zum Lebensprinzip gemacht. Erst vor drei Jahren ist der 98-jährige Philip in Altersteilzeit gegangen, und die 93-jährige Queen erfüllt nach wie vor jeden Tag ihr am 2. Juni 1953 gegebenes Versprechen, ihrem Volk in Treue zu dienen. Insofern muss man der Queen große Flexibilität attestieren, dass sie Montag dieser Woche beim familiären Krisentreffen einem Kompromiss zustimmte, der ihrem Arbeitsethos absolut widerspricht: „Meine Familie und ich unterstützen Harry und Meghans Wunsch, ein neues Leben als junge Familie zu schaffen, vollkommen. Obwohl wir es vorgezogen hätten, sie als Vollzeit arbeitende Mitglieder der Königlichen Familie zu behalten, respektieren und verstehen wir den Wunsch nach einem unabhängigeren Leben als Familie, während sie ein wertvoller Teil meiner Familie bleiben.“

Die Psychotherapeutin Rotraud Perner sieht in diesem Familiengipfel einen guten Ansatz. Sie plädiert für eine „besonnene Reaktion von allen Seiten, denn ein Rückzug in ein normales Leben geht bei so einem exponierten Paar nicht“. Doch warum sorgt diese „Sussex-Situation“ weltweit für so große Aufmerksamkeit? „Die Ablösung von der Herkunftsfamilie ist ein archetypischer Vorgang, solche Konflikte gibt es in vielen Familien“, meint Perner im FURCHE-Gespräch. Gleichzeitig hätten die Medien und vorneweg die Yellow Press ein großes Interesse daran, diese Familienkrise „noch künstlich anzuheizen und zu skandalisieren“.

Aussteiger und enfant terrible

Auch den „Pflichterfüller“ der Donaumonarchie, Kaiser Franz Joseph, beschäftigten regelmäßig royale Skandale. Was der Queen ihre Prinzen, waren dem Kaiser seine Erzherzöge. Johann Salvator von Österreich-Toskana zum Beispiel. Seine progressiven und liberalen Positionen machten ihn zum enfant terrible. 1889 bat er um Entlassung aus dem Kaiserhaus, verzichtete auf seine Titel und nannte sich Johann Orth – nach seinem Besitz Schloss Orth bei Gmunden. In London heiratete er eine Tänzerin der Wiener Hofoper. Sein weiteres Schicksal ist ungeklärt: Vermutet wird, dass er auf einer Schiffsreise nach Südamerika nahe Kap Hoorn umgekommen ist. Sein älterer Bruder, Erzherzog Ludwig Salvator, schätzte ebenfalls die Freiheit des Meeres mehr als die Enge bei Hof. Mit seiner Jacht „Nixe“ unternahm er als Kapitän einer 20-köpfigen Entourage inklusive einiger Aussteiger-Damen plus Katzen, Affen, Vögeln und anderem Getier Mittelmeer-Forschungsreisen. Kaiserin Elisabeth schätzte den Cousin des Kaisers sehr und besuchte ihn auf Mallorca. „Ich hoffe, dass der dicke Luigi für dein Wohlergehen sorgt“, telegrafierte daraufhin der Kaiser indigniert.

Frustriert war das kaiserliche Familienoberhaupt auch von seinem anderen Cousin, Erzherzog Leopold Ferdinand Salvator, einem anderen Spross der Habsburger Toskana-Linie, der sich nach Ablehnung einer Liebesheirat durch den Hof mit Prostituierten tröstete. Der Kaiser ließ ihn in eine Nervenklinik einweisen und seine Geliebte mit 100.000 Kronen abfertigen – ohne Erfolg. Schließlich bat Leopold, „Stellung und Rang als Erzherzog ablegen und den Namen Wölfling annehmen zu dürfen“. Der Kaiser akzeptierte. Aus Leopold Wölfling wurde nach weiteren schrillen Lebens- und Liebesjahren ein Kabarettist, der zum großen Gaudium einen Erzherzog spielte. Erzherzog Johann, eine Dynastie-Generation davor, war da die bravere und seriösere Version erzherzoglicher Aussteiger, erzählt der Journalist und frühere Bundespräsidenten-Pressesprecher Hans Magenschab, der eine Biografie über den „grünen Rebellen gegen das autokratische und absolutistische Regime“ verfasste. Die Revolution von 1848 hat aber auch er als erster frei gewählter Repräsentant der Frankfurter Reichsversammlung mit „vermurkst“, antwortet Magenschab der FURCHE auf die Frage nach Johanns Lebensbilanz: „So ist auch Erzherzog Johann nur eine Episode in der deutschen Geschichte geblieben.“ Mit seinem Rückzug in die Steiermark und seinem dortigen Wirken habe er sich aber abseits der großen Politik als moderner Politiker erwiesen, sagt Magenschab. Johanns Ehe mit der Postmeisterstochter Anna Plochl zeigt auch bei ihm den enormen Einfluss von „Liebesgʼschichten und Heiratssachen“ auf Karriere- und Lebenswege der Söhne aus hochadeligem Haus.

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