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II. Die Suche nach einem Rechtstitel des Anschlusses

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Die zahlreichen Stimmen aus dem Deutschen Reich, nach denen das österreichische Volk in seiner Mehrheit in den Jahren nach dem Zerfall des Kaiserstaates sein staatliches Schicksal mit dem des deutschen Volkes zu teilen entschlossen war, sind unbestreitbar. Der Beschluß der provisorischen Nationalversammlung vm 12. November 1918 und die in drei österreichischen Bundesländern veranstalteten Volksabstimmungen haben diesen Willen beträchtlicher Volksteile unzweideutig zum Ausdruck gebracht. Es ist jedoch ein Mißverständnis der deutschen Beurteiler der Ereignisse, wenn sie glauben, daß die Machtergreifung des Nationalsozialismus im Deutschen Reich die Bereitschaft weiter Kreise des österreichischen Volkes zu einer staatlichen Vereinigung nicht wesentlich beeinträchtigt habe, wenngleich der wahre nihilistische Charakter der nationalsozialistischen Staatsführung und der Staatspartei im Nachbarstaat erst durch die persönliche Erfahrung mit den in 0sterreich entfalteten Regierungsmethoden bekannt geworden ist.

Ungeachtet der von den objektiv gestimmten deutschen Beurteilern verurteilten Mittel der nationalsozialistischen Machtergreifung und Herrschaft in Oesterreich herrscht in der öffentlichen Meinung und insbesondere auch bei den Rechtslehrern der Deutschen Bundesrepublik die Meinung, daß der Anschluß Oesterreichs an das Deutsche Reich rechtswirksam vor sich gegangen sei'. Wenn auch die Forderung der Reichsregierung, daß der österreichische Bundespräsident die Regierung Schuschnigg entlasse und eine Hitler genehme Regierung berufe, als rechtswidrige Intervention des Reiches beurteilt wird, so gilt denselben Beurteilern doch die Ernennung der Regierung Seyß-Inquart, zu der sich der österreichische Bundespräsident nach beharrlicher Weigerung' aus patriotischen Beweggründen — um nämlich Oesterreich eine gewaltsame Besetzung durch das Deutsche Reich zu ersparen — bereitgefunden hat, als rechtswirksam und in weiterer Folge diese Regierung als legale Inhaberin der verfassunggebenden Gewalt in Oesterreich. Unter dieser Voraus-

• Selbst der in der führenden deutschen Fachzeitschrift „Archiv des öffentlichen Rechts“, Tübingen 1957, Heft 4, S. 4S0 ff., unternommenen Völker- und staatsrechtlichen Deutung des Anschlußverfahrens als einer Reihe nichtiger Staatsakte; und der abschließenden Fettstellung des Mißlingens der Annexionsabsicht des Hitler-Reiche setzen jüngste briefliche Stimmen die allerdings unbewiesene Behauptung entgegen, daß der Anschluß rechtswirksam geworden seit

* Heinz Holldack spricht in seinem Buch: Was wirklich geschah. Die diplomatischen Hintergründe der deutschen Kriegspolitik, München 1948, SS. 75, 77, 79, von dem „langen, verzweifelten Widerstand“ des Bundespräsidenten Miklas gegen die von reichs-dutschen Stellen ausgeübten „Pressionen“.Setzung war sie in der Lage gewesen, durch ein verfassungsänderndes Regierungsgesetz den „Anschluß“ zu vollziehen.

Erst die aus meinem in den „Juristischen Blättern“ 1955 veröffentlichten Aufsatz „Der Anschluß Oesterreichs an das Deutsche Reich — eine Geschichtslegende“ allmählich durchsik-kernde Tatsache der mangelnden Gesetzeskraft des im Oesterreichischen Bundesgesetzblatt ver-lautbarten, aber von der Bundesregierung nicht beschlossenen österreichischen Gesetzes über die „Wiedervereinigung Oesterreichs mit dem Deutschen Reich“ nötigt die Vertreter der Annexionstheorie, nach anderen Erkenntnisgründen des staatlichen Zusammenschlusses Umschau zu halten.

III. Die Volksabstimmung — ein Staatsakt des nationalsozialistischen Reiches, nicht Oesterreichs

Aus dieser Situation kommt die am 10. April 1938 im ganzen damaligen Großdeutschen Reich veranstaltete Volksabstimmung zu der Bedeutung eines „Rechtstitels des Anschlusses“. Artikel 2 des Reichsgesetzes vom 13. März 1938 „Ueber die Wiedervereinigung Oesterreichs mit dem Deutschen Reich“ bestimmt: „Sonntag, den 10. April 1938, findet eine freie und geheime Volksabstimmung der mehr als 20 Jahre alten Männer und Frauen Oesterreichs über die Wiedervereinigung mit dem Deutschen Reich statt.“ Da das entsprechende gleichlautende österreichische Bundesgesetz nicht von der österreichischen Bundesregierung zum Beschluß erhoben, sondern als bloßer Entwurf im Bundesgesetzblatt verlautbart worden ist, fehlt die notwendige Willensäußerung Oesterreichs. Die Verordnung der Bundesregierung zur Durchführung der Volksabstimmung vom 10. April 1938 (Abstimmungsverordnung — AV) stützt sich in ihrem Eingang auf den Artikel 4 des nichtigen Bundesverfassungsgesetzes über die Wiedervereinigung Oesterreichs mit dem Deutschen Reich und ist daher ebenfalls nichtig. Eine Kundmachung des Reichsstatthalters in Oesterreich, wodurch die zweite Verordnung zur Volksabstimmung und zur Wahl zum Großdeutschen Reichstag vom 24. März 1938 bekanntgemacht wird, verlautbart eine Verordnung des Reichsministes des Inneren über die Ausstattung der in Oesterreich vorgeschriebenen Stimmzettel. Dieser Stimmzettel trug den Aufdruck: „Volksabstimmung im Großdeutschen Reich“ und wies folgenden Wortlaut auf: „Bist du mit der am 13. März 1938 vorgenommenen Wiedervereinigung Oesterreichs mit dem Deutschen Reich einverstanden, und stimmst du für die Liste unseres Führers Adolf Hitler? Ja — Nein.“

Für die Beurteilung der rechtlichen Bedeutung dieser Abstimmung ist entscheidend, daß sie auf Grund der Anordnungen des deutschen Reichsgesetzes und der Durchführungsverordnung eines deutschen Reichsministers stattgefunden hat. Ehrlich an diesem Abstimmungsmanöver ist nur die im Stimmzettel enthaltene Feststellung, daß die Wiedervereinigung Oesterreichs am 13. März 1938 vollzogen 'worden ist. Selbst die deutsche Reichsregierung bezeichnet somit die Volksabstimmung vom 10. April als einen rein deklaratorischen Akt, der an dem angeblich am ■ 13. März 1938 vollzogenen Anschluß nichts ändern konnte. i .

Ein Plebiszit über die Vereinigung zweier Staaten muß jedoch, um rechts wirksam zu sein, der Vereinigung vorausgehen, also von den Bürgern und den Behörden der beiden Vertragsstaaten veranstaltet werden. Die Umkehrung dieser wesensgemäßen Reihenfolge nimmt ihm jede rechtliche Kraft. Zumal im Fall des Anschlusses Oesterreichs an das Hitler-Reich, wo die Schockwirkungen des Anschlusses, nämlich der bereits erprobte Machtmißbrauch der neuen Machthaber, den freien Willen der Bewohner Oesterreichs lahmgelegt haben. Den sozusagen anonymen Plebisziten der österreichischen Bevölkerung für das neue Regime fehlt überhaupt jede rechtliche Bedeutung und daher Beweiskraft.

Wenn im heutigen Deutschland Politiker und Juristen, unbekümmert um die Rechtsbrüche des vom Hitler-Reich inszenierten Anschlußverfahrens, die allerdings beiderseits erst nach dem Zerfall des nationalsozialistischen Reiches, dankenswerterweise auch zufolge der Forschungen und Veröffentlichungen deutscher Schriftsteller,wi| HeinzgfidCjlj, a Erich pjät,und Ulrich Eichstädt, in ihrer ganzen Ungeheuerlichkeit bekannt und unbestreitbar geworden sind, die siebenjährige vollgültige Zugehörigkeit Oesterreichs zum Deutschen Reich geradezu als Dogma aufrechterhalten, so möge man sich den Fall vergegenwärtigen, daß die Deutsche Bundesrepublik durch einen anderen Staat in die Lage des von Hitler besetzten Oesterreichs gebracht werden würde. Kein deutscher Jurist und Politiker würde die Tat eines etwaigen westdeutschen Quisling, der nach den Methoden von Hitler und Seyß-Inquart die Deutsche Bundesrepublik unter die Herrschaft eines totalitären Systems brächte, als einen Rechtsakt und als Erfüllung des nationalen Wunsches nach Wiedervereinigung gelten lassen. Alle Versuche, der nationalsozialistischen Herrschaft in Oesterreich eine rechtliche Grundlage zu geben, haben den Wunsch zum Vater des Gedankens und entbehren jeder wissenschaftlichen Beweiskraft. Es fehlt ihnen aber auch die Kraft, die freundnachbarlichen Beziehungen zwischen den demokratischen Juristenkreisen des heutigen Deutschland und Oesterreich zu beeinflussen.

Aus kulturellen Vereinigungen

Bildungswerk der Katholischen Aktion. Vortrag: „Evolution oder Schöpfung“ von Doz. Dr. Walter Kornfeld am 14. IV., 19.3 Uhr, im Großen Saal des Ingenieur- und Architektenvereines, I, Eschenbachgasse 9/2,

Farbbildvortrag Prof. A. Becks: 16. IV., 19 Uhr, Volkshochschule, IX, Galileigasse 8: „Skandinavien.“

Wiener Katholische Akademie. 14. IV., 17 Uhr: DDr. Ginhart: „Die Kunst des 17. und 18. Jahrhunderts in Spanien.“ — Esplau de La Maästre: „Andr6 Gide.“ — 18 Uhr: Prof. Peter: „Charakterköpfe der katholischen Pädagogik.“ — Prof. Grill: „Otto von Preising — Leben und Wirken.“ — 19 Uhr: Dr. Selzer: „Erziehung und Evangelium.“ — Prof. Koch: „Fundamentaltheologie“ (IV.). — 15. IV., 17 Uhr: Dr, Görlioh: „Geschichte der Literatur der Donauvölker.“ — 18 Uhr! Friedrich Abendroth: „Konformismus und Nonkonformismus der katholischen Publizistik.“ — Dozent Klaar: „Oesterreichische Siedlungskunde.“ — Prof. Grill: „Okkulte Phänomene Im Urteil der Bibel.“ — 19 Uhr: Prof. Pichl: „Moderne Philosophie In den USA.“ — Prof. Kubischok: „Einführung in die dogmatische Theologie.“ — 16. IV., 17 Uhr: Prof. Bllllcslch: „Philosophie des Altertums“ (IV.). — Pfarrer Hesse: „Exegese. Neues Testament.“ — 18 Uhr: Dozent Schön-dorfer: „Religionsphilosophie.“ — 19 Uhr: Dr. Schrott: „Geschichte und Entwicklung des Sektenwesens.“

„Urlaub in Wien.“ 10. IV., 17 Uhr: Besichtigung der Nationalbibliothek. Zusammenkunft: Eingang zur Nationalbibliothek, I, Josefsplatz. — 11. IV., 18 Uhr: Besichtigung des unterirdischen Museums am Hohen Markt. Zusammenkunft vor dem Vermählungsdenkmal auf dem Hohen Markt. — 12. IV., 14.30 Uhr: Führung durch die Hofburg. Zusammenkunft am Michaelerplats vor der Kirche. — 13. IV., 10 Uhr: Besichtigung des Parlaments. Zusammenkunft vor der Parlamentsrampe, Ecke Rathausplatz (bei Schlechtwetter: Portierloge). — 15 Uhr: Besichtigung der Minoritenkirche. Treffpunkt: Arkaden der Minoritenkirche. — 14.15 Uhr: Besichtigung des Rennplatzes in der Freudenau. Zusammenkunft: Endstelle Straßenbahnlinie 181, Kassa 13.

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