6613113-1955_14_01.jpg
Digital In Arbeit

Zwischen Trauerfahnen und Girlanden...

Werbung
Werbung
Werbung

Nun kehren sie bereits zum zehnten Male wieder: die Tage, von denen ein.nal schaudernde Enkel in Büchern lesen werden und die wir doch alle selbst durchlebt haben. Die düsteren Stunden, in denen der Krieg mit allen seinen Schrecken durch die Straßen Wiens ging, werden aufgezeichnet sein. Aber auch jener Morgen, an dem durch die Rauchschwaden der brennenden Stadt sichtbar am rechten Seitenturm des Wiener Rathauses die erste rotweiß-rote Fahne hochging. Und dann der sonnige Vormittag in der letzten Aprilwoche: ein kleiner Trupp von Männern, denen man allen die Spuren der vergangenen Monate und Jahre nur zu deutlich ansieht, zieht vom Rathaus hinüber zu der Ruine des Parlaments. Nun verkündet es der provisorische Staatskanzler aller Welt: „Oesterreich ist wiedererstanden!“

Es ist verständlich, daß es der österreichischen B;mdesregierung — noch dazu im gegenwärtigen außenpolitisch höchst bedeutsamen Augenblick — einige Ueberlegungen gekostet hat, auf welche Weise man am besten und würdigsten den zehnten Geburtstag unserer Zweiten Republik begehen soll. Zehn Jahre sind eine lange Zeit, sie wird als noch länger empfunden, wenn in ihr ein vor aller Welt gegebenes Versprechen auf Freiheit und Unabhängigkeit nicht eingelöst wird. Die Situation ist bekannt, allzu bekannt: zehn Jahre nach dem April 1945 stehen noch immer fremde Soldaten auf österreichischem Boden, ist die österreichische Regierung in der Ausübung souveräner Rechte beschränkt, läuft der gewöhnliche Staatsbürger Gefahr, in die Netze des Besatzungsregimes zu geraten. So ist es auch menschlich verständlich, wenn das Wort Befreiung, das vor zehn Jahren ehrlichen Herzens und mit wirklicher Dankbarkeit von der überwiegenden Mehrheit aller Oesterreicher ausgesprochen wurde, immer seltener in den Mund genommen und dann selbst von Menschen, die gewiß keiner Sympathien für das vor zehn Jahren abgetretene Regime verdächtigt werden können, immer öfter unter Anführungszeichen gesetzt wurde. Von der Befreiung zur „Befreiung“: die Anführungszeichen verraten viel von Oesterreichs Weg 1945 bis 1955.

Wer jedoch den Mut hat, über die gängigen Parolen des Tages hinweg zur historischen Wahrheit sich zu bekennen, muß festhalten: ohne alliierten Sieg kein Wiedererstehen Oesterreichs. Das ist die eine Wahrheit. Die andere ist die, daß der Weg von der Befreiung zur wirklichen Freiheit und Souveränität sich schon unerträglich lang zieht.

Wie nun auf dieser Wanderschaft Rast halten und auf die richtige Art feiern, der Freude und dem Protest in einem Atemzug Aus-, druck geben? Das war die gewiß nicht einfache Frage, vor deren Beantwortung die Bundesregierung und das österreichische Volk gestellt war. Die „schwarzen Fahnen“, die eine Gruppe junger Menschen, deren Patriotismus außer Zweifel steht, einmal vorgeschlagen hat, wären bestimmt nicht der richtige Ausdruck der Gefühle des österreichischen Volkes — und selbst auch der Antragsteller — gewesen: Gar so ein trauriger Anlaß ist es wohl nicht, wenn der Tag sich zum zehnten Male jährt, seitdem es wieder ein Vaterland Oesterreich und mit ihm ein ungehemmtes politisches und geistiges Leben gibt . . . Auch die Parolen: „Totschweigen“, oder „keine besondere Notiz davon nehmen“, wären nicht nur unrichtig, sondern auch gefährlich gewesen. Zuviel wird schon über manche — und nicht die unrühmlichsten — Kapitel unserer jüngsten Vergangenheit geschwiegen. So überläßt man es gerne den

Kommunisten und ihrer Propaganda, von •Oesterreichs Widerstand gegen den Nationalsozialismus zu sprechen, der Toten zu gedenken.

Zwischen solchen Ratschlägen und der Pro-klamierung eines Staatsfeiertages gibt es aber noch einen dritten Weg. Und diesen hat die Bundesregierung beschritten. In dem vorgelegten Konzept finden wir außer einer Rede des Bundespräsidenten vor der festlich zusammengetretenen Bundesversammlung und Feierstunden in den Schulen auch die Grundsteinlegung für ein Renner-Denkmal und für eine den toten Oesterreichern gewidrrfete Gedenkstätte auf der dem Ehrenmal der Weltkriegssoldaten gegenüberliegenden Seite des Burgtores. In dem Programmentwurf vermissen wir ein Requiem im Stephansdom, das Volk und Staat wohl allen jenen Menschen schuldig ist, die für Oesterreichs Wiedergeburt in den Tod gegangen sind. Schlichter kann ein Bekenntnis wohl nicht sein, aber es kommt auf das Bekenntnis an. Die Gemeinde Wien aber ergreife die Gelegenheit, eine durch zehn Jahre nicht eingelöste Ehrenschuld gutzumachen. Bis beute gibt es in der österreichischen Bundeshauptstadt keine Straße und keinen Platz, die an Major Biedermann, Hauptmann Huth und Oberleutnant Raschke erinnern — jene Männer, die ihren Einsatz, der Wien vor der Zerstörung rettete, mit dem Leben bezahlt haben.

Zehn Jahre Zweite Republik Oesterreich! Dieser kommende Tag verlockt auch zu einem Vergleich. Wo stand die österreichische Innenpolitik zehn Jahre nach der Proklamation der Ersten Republik, wo hält sie heute? 1928 war bereits der Wurm im Holz. Die Schüsse vor dem brennenden Justizpalast waren gefallen, links und rechts rüsteten bewaffnete Formationen zum entscheidenden Gang.

Und heute? Verglichen mit 1928 ist 1955 beinahe ein Idyll zu nennen. Freilich, es kann trügen, wenn nicht der zehnte Geburtstag des wiedererstandenen Oesterreichs gleichzeitig zur Bewahrung des inneren Friedens mahnt.

So sei der Schritt vorwärts getan. Nicht unter schwarzen Fahnen und auch nicht unter Festgirlanden — das eine wäre so falsch wie das andere verlogen — wohl aber unter den rotweiß-roten Farben, die es, vor zehn Jahren wiedergewonnen, zu bewahren gilt.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung