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Schwelgen in Rot-Weiß-Rot

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Tu felix Austria nube — so hieß es doch einst? Felix Austria braucht heute nicht mehr zu heiraten, um glücklich zu sein — das glückliche Österreich darf feiern. Augenblicklich verharrt es zwischen den Feiern zum dreißigsten Jahrestag der Befreiung und dem zwanzigsten Jahrestag des Staatsvertragsabschlusses, der großen Teilen des Volkes ohnehin längst als der eigentliche Befreiungstag gilt.

In der Atempause zwischen diesem aufeinanderfolgenden Schwelgen in Röt-Weiß-Rot könnte Besinnung guttun. Was feiert Österreich eigentlich dreißig beziehungsweise zwanzig Jahre nachher? Keineswegs nur die dürren Daten eines militärischen Einmarsches und eines Vertrages zwischen Staaten. Beide Jubiläen sind vielmehr, wie sich zumindest alle zehn Jahre zeigt, und wie der Psychologe sagen würde, vielfältig emotionell besetzt.

Befreiung — allein der Klang dieses Wortes! Na, und dann erst die endgültige, die volle Befreiung, der (Wieder-)Eintritt in eine unabhängige eigenstaatliche Existenz. Aber das ist ja nur die Fassade. Österreich feiert ja so gerne bei jedem sich bietenden Anlaß dasselbe, nämlich sich selbst. In einem Trommelfeuer mehr oder weniger geistreicher Formulierungen sagen wir's uns selbst immer wieder hinein — wie gut wir sind. Wie reif wir sind. Wie traurig wir (wenn auch nur alle diesbezüglichen heiligen Zeiten) über gewisse dunkle Punkte unserer Vergangenheit sind, die wir im übrigen als abgetan und erledigt betrachten.

Eine ehrliche Bilanz wird bei solchen Gelegenheiten peinlichst vermieden, der gehen die Festredner mit allen Anzeichen des Entsetzens im großen Bogen aus dem Weg. Das gibt zu denken. Aber Ehrlichkeit steht ohnehin nicht auf der Liste jener österreichischen Tugenden, die wir an uns selbst so lieben und an allen rot-weiß-roten Festtagen beschwören.

Wären wir ehrlich, müßten wir uns einige sehr bittere Dinge eingestehen. Wie halten wir es beispielsweise mit jenen Kollektivtugenden der Toleranz und der Verbindlichkeit, die wir an uns selbst immer wieder so gerne diagnostizieren? Zwanzig Jahre nach dem Abschluß des Staatsvertrages haben wir diesen nicht nur in sehr wesentlichen Punkten nicht erfüllt, sondern wir geben auch gar nicht mehr vor, ihn so zu erfüllen, wie wir ihn unterschrieben haben. Was noch schlimmer ist: Mit der Nichterfüllung der staatsvertraglichen Zusicherungen gegenüber der Minderheit in Kärnten verraten wir genau jene ach so guten Eigenschaften, die wir nur dann haben, wenn sie zu nichts verpflichten.

Was sich in Kärnten seit Jahr und Tag abspielt, ist ein Triumph der Intoleranz, der nationalen Engstirnigkeit, der absoluten Unver-bindlichkeit. Und was sich in Wien (und in den Bundes- und Dandesparteileitungen beider Großparteien), abspielt, kann nur als die totale Kapitulation vor dem mißverstandenen nationalen Fühlen eines Bundeslandes bezeichnet werden, in dem nach wie vor viele Menschen leben, denen vor dreißig Jahren gar nicht so besonders feierlich zumute war, weil das, was ihnen heilig war, damals nicht aufstieg, sondern unterging.

Aber ihre Stimmen fallen mächtig

ins Gewicht, daher darf ihnen nicht wehgetan werden. Und das Odium, den Staatsvertrag nicht erfüllt zu haben, tragen jene, die von der Wählergunst abhängen, allemal lieber als das Risiko einer Wahlniederlage. So ist es in einer Demokratie — aber was feiern wir dann eigentlich in Österreich in diesem Jahr?

Ohnehin haben die Staatsvertragsfeiern dem Jubiläum der Befreiung 1945 längst die Show gestohlen, und offenbar feiert in diesem Lande so mancher das Jahr 1955 um so lieber, als er sich auf diese Weise über die Erinnerung an das seit jeher weniger populäre Jahr 1945 hinwegstehlen kann.

Nie ist Österreich so tolerant, verbindlich und pluralistisch wie anläßlich seiner mit der Befreiung von den Nationalsozialisten, seinen mit Judenausrottung, Konzentrationslagern und allen jenen Dingen, von denen er ,damals“ angeblich nichts wußte und nachher jedenfalls nichts wissen wollte, zusammenhängenden Jubiläen. Da sind wir vor allem pluralistisch. Die einen rekapitulieren rein militärisches, andere gedenken im kleinsten Kreise ihrer 1945 leider weggeworfenen Parteiuniform, die heute so viel wert wäre, und die paar, die noch an Mauthausen denken, werden an solchen Tagen dort sogar den Bundespräsidenten treffen; jene Pflichtbesucher, werdende Lehrer und so fort, die an gewöhnlichen Tagen durch diese Gedenkstätten geschleust werden und von denen so mancher eine zynische Bemerkung nicht unterdrücken kann, bleiben an so feierlichen Tagen daheim (oder halten den Mund). Denn wie gesagt: Wir sind ja Pluralisten. Unseres Vaters Haus hat eben nicht nur viele Zimmer, sondern auch ausgedehnte Katakomben.

So weit ist Österreich niemals gegangen, daß es auch nur den leisesten Versuch unternommen hätte, den Inhalt des Wortes Befreiung in sein Österreichbewußtsein zu integrieren. Zeitgeschichtlicher Unterricht ist nach wie vor Glückssache. Im Sicherverweigern gegenüber dem, was rot-weiß-roter Anstand wäre, hat dieses Land geradezu Charakter, wenn auch einen schlechten: Keine Regierung ließ sich herbei, zu dem Gesetz, das Auszeichnungen für verdiente Widerstandskämpfer vorsieht, auch Ausführungsbestimmungen zu erlassen.

Wir verdrängen alles, was mit dieser Vergangenheit zusammenhängt, wir verdrängen sogar die positiven Aspekte, das Heldentum, die Selbstverleugnung, den Einsatz derert die Wien faktisch vor sehr viel weitgehenderen Zerstörungen bewahrt haben.

Österreich hat durchaus das Recht, die Übprbrückung der Gegensätze zwischen den großen ideologischen Lagern, seine Staatswerdung, seine unangefochtene Demokratie, seine demokratische Reife zu feiern. Nichts davon soll hier bestritten werden. Doch dieses Land hat aus lauter Liebedienerei gegenüber seinen Ewiggestrigen auch ein bedeutendes Stück von sich selbst verraten.

Was feiert dieses Land dann in diesem Jahr? Das, was es immer schon am liebsten gefeiert und am feierlichsten geliebt hat — sich selbst, so wie es ist. Mit seinen Vorzügen und Schwächen. Vor allem seinen Schwächen.

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