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FUnfzehn und fUnf

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“lVTan jähren sie sich wieder: Tage, angefüllt mit erlebter und erlittener Geschichte steigen aus dem Dunkel der Vergangenheit und des allmählichen Vergessens empor. Sie fordern von uns allen Erinnerung und Besinnung. Fünfzehn Jahre sind es bereits, seit die letzten Flammen eines Weltbrandes auch über diese Stadt und ihre Menschen hinwegschlugen. Und mitten zwischen Ruinen und Trümmern, zwischen Not und Verzweiflung stieg in die noch von Geschossen zerfurchte Luft eine Fahne empor. Die Fahne des wiedergewonnenen Vaterlandes. Sie verkündete den geängstigten Menschen zu ihren Füßen und aller Welt, daß es wieder ein Österreich geben wird. Und es gab wieder ein Österreich. Freilich mußten die rot-weißroten Farben mehr als ein Jahrzehnt im Schatten des Sternenbanners und der roten Fahne, des Union Jack und der Trikolore wehen. Erst dann war der lange Weg von der Befreiung zur Freiheit ganz zu Ende gegangen. Aber auch das ist in wenigen Wochen schon wieder fünf Jahre her.

Fünfzehn und fünf.

Nüchterne Zahlen, und doch liegt in ihnen das' Schicksal einer Generation und eines Landes eingeschlossen — unserer Generation und unseres Landes. Mit gutem Grund hat deshalb die österreichische Bundesregierung zu einem Gedenken dieser beiden Jahre aufgerufen. Des April 1945 und des Mai 1955. Gemeinden und Körperschaften werden folgen. Viele Organisationen und' Verbände dürften sich anschließen.

Und doch ... Und doch' erscheint es uns entscheidend, in welchem Geiste alle diese Feste und Feierstunden begangen werden. Wird das. was in den kommenden Wochen an Sondersitzungen und Festreden laut wird, nur ein Werk der Routine sein? Werden wir alle Augen- und Ohrenzeugen von mehr oder weniger geglückten „Pflichtübungen“ in österreichischem Patriotismus werden — rasch, rasch zwischen dieser Sitzung und jenem lukrativen Geschäftsabschluß? Wenn das die Mentalität ist, in der an das Gedächtnis des April 1945 und des Mai 1955 herangegangen wird, dann wäre es besser, die Reden ungesprochen und die Manuskripte in den diversen Schreibtischen verwahrt zu lassen. Worte, hinter denen keine Kraft, keine flammende Überzeugung, kurz: kein staatspolitisches Wollen steht, sind schon genug gesprochen worden in Österreich I

Wer die Zeichen der Zeit zu lesen versteht, muß wissen, daß ganz etwas anderes das Gebot der Stunde ist. Was sagen diese Zeichen, die morgen vielleicht schon als Flammenschrift an der Wand stehen können? Heute können wir sie an Hand einzelner Wirtschaftsberichte, aber auch aus den ersten Meldungen vom Rückzug dieser oder jener Persönlichkeit aus der Verantwortung am Regierungstisch unschwer dechiffrieren. Die Zeit, in der Wirtschaftspolitik mit Staatspolitik schlechthin gleichgesetzt wurde, geht mehr oder weniger langsam ihrem Ende entgegen. Kein Wort gegen eine gesunde Wirtschaft, einen geordneten Staatshaushalt und eine Politik, die den Massen nicht nur Brot, sondern auch das Kleinauto und das Benzin dazu gibt. Aber haben wir die Versicherungspolizze in der Tasche, daß dies so bleiben muß bis aller Tage Abend wird? Was aber dann, wenn eines Tages sich wieder rauhere Winde erheben? Ist unser Volk heute widerstandsfähig für den Durchzug auch nur temporärer wirtschaftlicher Schlechtwetterfronten? Wenn wir ehrlich sind,muß diese Frage mit „Nein“ beantwortet werden Ein nüchterner Beobachter hat unlängst festgestellt, daß ein Abschied von ihrem Motorfahrzeug heute bei vielen einen stärkeren Schock auslösen würde als der Verzicht auf die Butter beim Abendbrot Anno 1930.

Wollen wir, daß der zweiten österreichischen Republik ein besseres Schicksal als der ersten beschieden ist, so heißt es in der Zukunft, neben der selbstverständlichen Obsorge für das tägliche Leben die Wurzeln t i e-ferindenBoden, aufdemwirleben, senken. Österreich ist eben mehr als eine große Konsumgenossenschaft von bald sieben Millionen Menschen, ein landschaftlich schön gelegener Flecken Land, Tummelplatz des internationalen Tourismus und einer harmlos-freundlichen „autochthonen“ Bevölkerung.

Die Zukunft ist für Österreich nur im Bündnis mit seiner Vergangenheit zu gewinnen. Mit einer weder falsch glorifizierten noch, weil geistig anstrengend und politisch ein Bekenntnis fordernd, „ausgeklammerten“ Vergangenheit. Zu ihr heißt es mutig und bekennend stehen. Von ihr heißt es der nachrückenden Generation Kunde geben. Es wäre Unwahrheit, zu sagen, daß auf diesem Gebiet schon hinreichend getan wäre, was zu tun ist.

In diesem Zusammenhang ist es für den nicht unmittelbar an dem politischen Tageskampf beteiligten und in ihm verstrickten Beobachter interessant, zu verfolgen, welches Österreichbild sich die beiden großen Parteien in den nun zu Ende gehenden fünfzehn Jahren seitdem April 194-5 erarbeitet haben. Die Österreichische Volkspartei trat als die unbestrittene Sachwalterin eines reichen Erbes und Fürsprecherin eines aufrechten österreichischen Patriotismus an. Sie konnte stolz auf Männer hinweisen, die vor und nach dem März 1938 für dieses Land und seine Unabhängigkeit eingetreten waren und, während, der Nebel der Ideologie noch andere Häupter umlagerte, allein diesem Leitstern folgten. Man kann sagen, daß diese kompromißlose Haltung ihren Eindruck nicht zuletzt auf die Jugend, die sich anschickte, ins öffentliche Leben einzuziehen, nicht verfehlt hat. Seitdem sind fünfzehn Jahre ins Land gegangen. Was damals flammendes Bekenntnis war, wurde im Alltag abgekühlt oder geriet vielfach in die Zone pragmatischer Tagespolitik. Auf der anderen Seite müssen wir beobachten, daß der österreichische Sozialismus, nicht zuletzt unter dem Eindruck einer fünfzehn Jahre währenden Mitverantwortung für den Staat, sich allmählich, und auch nicht frei von Rückschlägen, ein positives Österreichbild erarbeitet. Er hält heute dort, wo selbst ein Wortführer seines altmarxistischen Flügels, wie Josef Hindels, öffentlich bekennt: „Sozialistischer Internationalismus und österreichischer Patriotismus werden nicht mehr als Gegensätze empfunden“ („Die Zukunft“, Jänner 1960).

So begrüßenswert an sich diese Entwicklung ist, so haben wir daran nur Freude, wenn in den Reihen der Volkspartei in allen staatspolitischen Fragen in Zukunft wieder weniger leise als in den letzten Jahren getreten wird. Das Motto, unter das vor einiger Zeit die Katholische Jugend ihre Jahresarbeit setzte, gelte wieder für die Volkspartei: „In unserer Liebe zu Österreich soll uns niemand übertreffen.“

Daran zu erinnern, ist Freundespflicht.

Gerade in diesen Tagen, wo Erinnerungen aufsteigen. Erinnerungen an die fünfzehn und an die fünf Jahre.

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