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Protestanten, Katholiken und die „Furche“

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Wien, 16. November 1955

Sehr verehrter Herr Doktor Fuuder!

Der zehnjährige Bestand der „Oesterreichi sehen Furche“ ist wohl der geeignete Anlaß Ihnen einmal in aller Oeffentlichkeit zu sagen daß wir Evangelischen in Oesterreich Ihri „Furche“ nicht mehr missen möchten. Ihre Zeit Schrift ist ein katholisches Blatt und als solche kann sie nicht unser Organ sein. Aber vielleich ist es richtiger und wichtiger zu sagen, daß sii eine christliche Zeitschrift ist, und darun fühlen wir Evangelischen uns von ihr ange sprochen. Selbstverständlich eine christlicht Zeitschrift katholischer Prägung, denn es wärt eine Illusion, zu meinen, es gäbe ein überkon fessionelles Christentum; das wäre ein ungeschichtliches, unwirkliches und unwirksame. Gebilde. Aber die katholische Haltung da „Furche“ ist von einer Art, daß wir in de\ österreichischen Diasporasituation besonder: empfindlichen Evangelischen uns nicht sofor; zum protestantischen Widerspruch herausgefordert fühlen, sondern vielmehr trotz der uns bewußten Unterschiede und Grenzlinien zunächs: das Gemeinsame empfinden und auch dort, wc wir die Dinge und Geschehnisse anders sehev oder beurteilen zu müssen glauben, die gemeinsame Basis gerne und dankbar anerkennen.

An dieser gemeinsamen Basis will mir zweierlei besonders bedeutsam erscheinen, das g e-m eins am Christliche und das g e-meinsam Oesterreichische. Im Verhältnis zwischen Katholizismus und Protestantismus ist im ganzen deutschen Sprachraum eint tiefgreifende Wandlung eingetreten. Wir müsset die konfessionelle Spaltung als unser geschichtliches Schicksal anerkennen. Gott hat sie zugelassen. Aber es ist uns als Christen doch damit die Verantwortung dafür auferlegt, dal: wir trotz der uns trennenden Wahrheitsfrage angesichts der unchristlichen Umwelt christlich miteinander umgehen.

Es ist eine schmerzliche Tatsache, daß i* weiteren Kreisen das gemeinsam Christliche um die christliche Verantwortung füreinander erst erkannt wurde, als der Nationalsozialismus da: Christentum in allen Kirchen tödlich bedrohte Aber es ist eine der guten Früchte dieser bösen Zeit, daß der Wille, christlich miteinander zu leben, nicht mit dem Nationalsozialismus dahingegangen ist. Zu diesem friedlich Miteinander-leben gehört wohl in erster Linie, daß wir unbefangen miteinander sprechen können und dafs

wir in gutem Willen übereinander sprechen. Solche Worte bleiben dann nicht Schall und Rauch, sondern sie schaffen eine neue Gesinnung, aus der, will's Gott, hilfreiche Taten erwachsen'.

Ich erinnere mich hier in ehrfürchtiger Dankbarkeit des heimgegangenm Kardinals, der im kirchlichen Bereich das Unbefangen-miteinander-Sprecheti und das Zusammenwirken auf mancherlei Gebieten ermöglicht und verbürgt

hat. Aber soweit ich sehe, ist es in der übrigen österreichischen Oeffentlichkeit zuerst Ihre Wochenschrift gewesen,. die in einer für ein römisch-katholisches Organ in Oesterreich bisher unbekannten Weise das Gespräch mit uns und das Gespräch über uns. nicht nur eröffnet,

sondern in wahrhaft christlicher Weise dauernd gepflegt hat. Sie haben evangelische Verfasser zur Mitarbeit aufgefordert. Sie haben Berichte über evangelische Persönlichkeiten, Bücher, Werke und Geschehnisse im kirchlichen Leben gebracht. Sic haben der Polemik keinen Raum gegeben, obwohl, oder besser gesagt, weil die Grenzen jederzeit klar , waren. Darf ich Sie, hochverehrter Herr Staatsrat, daran erinnern, daß Sie einmal einen Artikel von mir erbaten, den ich Ihnen nicht zusagen konnte, wie aber daraus fruchtbare Gespräche und mehr als das erwuchsen.

Ich darf Ihrer Zustimmung gewiß sein, wenn ich aus einem Brief, den Sie mir einmal schrieben, einige Worte hersetze: „Man kann die

schwere Heimsuchung, die über die Menschheit gekommen ist und sie mit noch größeren Uebeln bedroht, in ihrem tiefsten Sinn erfassen, wenn man sie als den göttlichen Ruf begreift, mit der Erfüllung des Liebesgebotes Ernst zu machen. Und wir Christen müssen in einem menschlich-

brüderlichen Zusammenfinden das Beispiel geben.“ Ich selbst kann nicht schöner und zutreffender-dieBedeutung der „Furche“ und die persönliche Bedeutung ihres Herausgebers für das Verhältnis von Katholiken und Protestanten kennzeichnen. Aber ich bezeuge gerne, daß ich bei vielfachen Begegnungen mit Evangelischen und Katholiken in ganz Oesterreich erkenne, wie die „Furche“ mit ihrem großen Leserkreis und ihrer Ausstrahlungskraft gesinnungbildend und beispielgebend auch für das neue Verhältnis zwischen katholisch und evangelisch auf der Basis des gemeinsam Christlichen wirkt.

Das gern einsam Oesterreichische sollte eine Selbstverständlichkeit sein. In der Heimatliebe übertrifft keiner den anderen. Aber in dem Augenblick, da Katholiken und Evangelische österreichische Geschichtsphilosophie oder ideologische Politik zu treiben beginnen, trennen sich die Wege. Der bewußte Katholik wird die Linie des katholischen Oesterreichs stark ausziehen. Und genau dort wird den österreichischen Protestanten ihre bis in die jüngste Vergangenheit tragische Spannung von „Glaube und Heimat“ bewußt: kann er in einem „katholischen Oesterreich“ seines Bürgerrechtes froh werden, auch wenn er seine Bürgerpflicht erfüllt? Aber das Schwergewicht des gemeinsam Oesterrcichischen in der „Furche“ sehe ich nicht in Geschichtsdeutungen und politischen Ideologien, sondern in der verantwortungsvollen Sorge um ein gesundes Volk und ein gesundes Staatswesen. Wo Ihre Zeitschrift von den konkreten und eigentlich wichtigen Fragen schreibt, etwa von der sittlichen und gesundheitlichen Bedrohung des Volkslebens, der Krise in Ehe und Familie, Erziehung, Berufsethos, Landflucht, Bauerntum, Arbeiterstand, sozialer Verantwortlichkeit, Zusammenleben der Nationen, wo Ihr Blatt die letzten Maßstäbe an die Erscheinungen des Bildungs- und Kulturlebens anlegt, da horchen wir Evangelischen auf, weil hier gegenüber aller Zersetzung und Auflösung der unverrückbare Anspruch des christlichen Ethos geltend gemacht Wird. Unsere Entscheidungen mögen im konkreten Einzelfall anders fallen. Aber wir wissen uns Ihnen darin verbunden, daß wir letztlich vor Gott und nicht vor Menschen die Verantwortung tragen für das gemeinsame Vaterland.

Wir Evangelischen möchten die „Furche“ nicht missen, denn sie hilft uns, trotz aller Spannungen, des gemeinsam Christlichen und gemeinsam Oesterreichischen bewußt und damit zugleich froh zu werden. Darum grüße ich Sic, sehr verehrter Herr Doktor, und Ihre Mitarbeiter in dankbarer Verehrung.

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