Karl Schwarzenberg - Karl Schwarzenberg (im April 2022 bei der Verleihung des "Concordia-Ehrenpreises" für sein Lebenswerk - gemeinsam mit Osteuropa-Experten Paul Lendvai). - © FOTO: APA/GEORG HOCHMUTH

Karl Schwarzenberg: „Russlands Delegation soll kommen“

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Die OSZE wurde geschaffen, um den Graben zwischen Russland und dem Westen zu überbrücken, sagt Karl Schwarzenberg. Ein Gespräch über neue Zäune in Europa, den Krieg in der Ukraine, die Atomkrieg-Drohung aus dem Kreml und Österreichs Neutralität.

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Die OSZE wurde geschaffen, um den Graben zwischen Russland und dem Westen zu überbrücken, sagt Karl Schwarzenberg. Ein Gespräch über neue Zäune in Europa, den Krieg in der Ukraine, die Atomkrieg-Drohung aus dem Kreml und Österreichs Neutralität.

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Beim letzten FURCHE-Interview mit Karl Schwarzenberg in Prag 2018 sagte dieser, dass in Tschechiens Politik die „ganze Maschine“ ausgetauscht gehöre. Fünf Jahre und eine Präsidentenwahl später zeigt sich der tschechische Außenminister a. D. über die Neuaufstellung Tschechiens erfreut.

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DIE FURCHE: Herr Schwarzenberg, nach der Wahl von Petr Pavel zum Präsidenten Tschechiens war von einem „Aufatmen in Europa“ die Rede, haben Sie auch aufgeatmet?

Karl Schwarzenberg: Ja, tief!

DIE FURCHE: Was hätte Ihnen bei der Wahl von Andrej Babiš zum Präsidenten den Atem verschlagen?

Schwarzenberg: Dass sich das Regime einer etwas dubiosen Gestalt fortsetzt. Eines Mannes, der als Ministerpräsident Sachen aufführte, wo man nicht wirklich begeistert sein konnte. Eines Mannes, der in kürzester Zeit mit merkwürdigen Methoden ein gigantisches Vermögen erworben hat. Das allein gibt schon zu denken. Aber es wurde ein neuer Präsident gewählt, Gottseidank ein guter.

DIE FURCHE: Welche Rolle spielte in Kriegszeiten dabei die berufliche Vergangenheit des neuen Präsidenten als General und hoher NATO-Vertreter?

Schwarzenberg: Das war sicher eine gewisse Empfehlung. Denn jemand, der es bis zu einem Oberkommandanten der NATO schafft, wurde wohl von allen Geheimdiensten der Vereinigten Staaten und Europas gecheckt. Der kann verlässlich sein.

DIE FURCHE: Als verlässlich pro-europäisch hat sich Tschechien während seiner EU-Ratspräsidentschaft voriges Jahr gezeigt. Wie passt das zur EU-Skepsis der Tschechinnen und Tschechen?

Schwarzenberg: Diese Skepsis ist in Böhmen geringer als man glaubt. Das Image wurde weitgehend von den beiden Präsidenten Václav Klaus und Miloš Zeman geprägt. Klaus war ausgesprochen anti-europäisch und Zeman äußerst skeptisch gegenüber der EU. Das bedeutet nicht, dass die Majorität der Bevölkerung diese Ansicht teilt.

Es ist leichter, im Vatikan die Jungfräulichkeit der Muttergottes zu bezweifeln, als in Österreich das Verbot der Kernkraft zur Diskussion zu stellen.

Karl Schwarzenberg

DIE FURCHE: War es ein Glücksfall, dass Tschechien genau zu der Zeit die Ratspräsidentschaft hatte, als es darum ging, Einigkeit gegenüber Russland herzustellen?

Schwarzenberg: Ja, weil die Tschechen hundertprozentige Verbündete der Ukraine sind und das eisern durchgehalten haben. Gottseidank.

DIE FURCHE: Tschechien gehört wie Ungarn zur Visegrád-Gruppe. Ist dieser oft anti-europäische Zusammenhalt mit Russlands Krieg gegen die Ukraine Geschichte?

Schwarzenberg: So Gott will nicht. Leider ist die Visegrád-Gruppe durch den Einfluss von Viktor Orbán zu einem dummen Ruf gekommen. An und für sich ist Visegrád eine höchst nützliche Zusammenarbeit mitteleuropäischer Staaten. So wie die Benelux-Länder, so wie die Skandinavier. Die eigentliche Zusammenarbeit wird ja zwischen den Institutionen der Länder geleistet. Die Bemerkungen Orbáns, manchmal hat er auch Babiš dazu gebracht, waren natürlich unglücklich. Aber jetzt hat sich die Sache verändert.

DIE FURCHE: Das Problem Orbán ist für die EU gleich geblieben.

Schwarzenberg: Das ist ein großes ungarisches Problem für Europa. Die einzige Hoffnung ist, dass er abgewählt wird, was jetzt nicht geschehen wird.

DIE FURCHE: Orbán war mit der Errichtung eines Zauns an der ungarischen Grenze zu Serbien Vorreiter eines Trends, der jetzt auch bei anderen europäischen Regierungen…

Schwarzenberg: …wieder in Mode kommt.

DIE FURCHE: Sie haben Ihr Leben lang gegen Mauern und Zäune in Europa gekämpft.

Schwarzenberg: Das ist richtig. Umgekehrt ist mir durchaus klar, dass wir eine wilde Immigration nicht zulassen dürfen. Das geht nicht.

DIE FURCHE: Sind dafür Zäune die geeignete Methode?

Schwarzenberg: Wissen Sie eine bessere, dann sagen Sie sie mir!

DIE FURCHE: Eine europäische Migrationspolitik, die legale an berufliche Kriterien geknüpfte Möglichkeiten der Einreise nach Europa schafft und damit das Asylsystem entlastet.

Schwarzenberg: Bringen Sie das einmal in der politischen Praxis durch!

DIE FURCHE: Daran scheitert die EU aufgrund des Widerstands einiger Mitglieder schon lange.

Schwarzenberg: Eben.

DIE FURCHE: Bleiben die Zäune?

Schwarzenberg: Wahrscheinlich ja.

DIE FURCHE: Apropos niemanden reinlassen. Österreich will seine Visa-Kriterien für Erdbebenopfer aus der Türkei und Syrien nicht ändern. Geht man so mit Nachbarn in Not um?

Schwarzenberg: Ich sehe nicht ganz den Sinn dieser Maßnahme, außer dass man mit dem Vorschlag in die Zeitungen kommt.

DIE FURCHE: Der Sinn ist, dass Erdbebenopfer nicht im Winter auf Schuttbergen hausen müssen. Auch das kann man wieder Symbolpolitik nennen, aber was ist schlecht daran?

Schwarzenberg: Dann muss das Symbol einen Sinn haben, nicht nur eine Show sein. Wir sind auch untereinander nicht immer sehr menschlich, warum sollen wir es zu jemanden anderen sein. Es wäre schön, aber das braucht lange Erziehung. Abgesehen davon, es gibt immer Grenzen. Denken Sie an Schweden. Die sind weiß Gott mit ihrer Ausländerpolitik höchst offenherzig umgegangen. Dann sind es zu viele geworden, und jetzt haben sie ein Problem. Man muss auch da immer Maß und Ziel haben, weil wenn man es übertreibt, geht es in die verkehrte Richtung. Der Mensch ist halt so, dass er zunächst einmal das Fremde ablehnt. Leider.

DIE FURCHE: Bis hin zu den Auslassungen eines niederösterreichischen Landesrats, dass ohne Schülerinnen mit Migrationshintergrund Wien noch Wien wäre.

Schwarzenberg: Fremdenfeindlichkeit gab es immer. Aus der ganzen Monarchie hat es schon Migration in die Hauptstadt gegeben. Die Zuwanderung war die größte Wohltat für Wien, wenn wir bedenken, dass es eine Zeit gab, wo in einer Matura-Klasse zwei künftige Nobelpreisträger saßen.

DIE FURCHE: Nobelpreisträger sind Sie nicht, aber ein gutes Beispiel für einen gelungenen Mix aus Böhmen und Österreich.

Schwarzenberg: Ich erlaube mir den Luxus, in zwei Ländern zuhause und Patriot zu sein.

DIE FURCHE: Fällt das immer gleich leicht oder schwer?

Schwarzenberg: Es gibt Causen, wo ich einmal mehr auf der tschechischen und das andere Mal mehr auf der österreichischen Seite stehe. Die totale Ablehnung der Kernkraft in Österreich halte ich zum Beispiel für den falschen Weg. Denn ohne die Kernkraft werden wir die Klimaziele nicht schaffen.

DIE FURCHE: Haben Sie auch Verständnis für die Klimaschutz-Aktionen der „Letzten Generation“?

Schwarzenberg: Ich habe absolutes Verständnis. Ob es sinnvoll ist, sich auf die Straße zu kleben, ist eine andere Sache. Doch ihre Ziele verstehe ich, ich war seinerzeit ja selber bei den Grünen.

DIE FURCHE: Stimmt, die tschechischen Grünen haben Sie zum Außenminister nominiert – waren die für Atomkraft?

Schwarzenberg: Sie waren im Prinzip dagegen, aber nicht vehement. Wir haben genau gewusst, dass Böhmen ohne Kernkraft nicht durchkommt. Wir haben keine ungarische Steppe, wo genug Wind weht, von Sonne nicht zu reden.

DIE FURCHE: Der Atommüll, um nur ein Argument gegen Atomkraft zu nennen, stört Sie nicht?

Schwarzenberg: Den kann man so tief in der Erde vergraben, dass der kein Problem ist. Aber wenn ich mir in der FURCHE diese respektlose Bemerkung erlauben darf: Es ist leichter, im Vatikan die Jungfräulichkeit der Muttergottes zu bezweifeln, als in Österreich das Verbot der Kernkraft zur Diskussion zu stellen.

DIE FURCHE: Amen! Jedes Land hat heilige Kühe, wir haben zwei: Eine ist gegen die Atomkraft, die andere ist für die Neutralität.

Schwarzenberg: Aus Indien weiß ich, dass auch heilige Kühe mit der Zeit sterben.

DIE FURCHE: Von welcher Kuh würden Sie sich wünschen, dass sie stirbt?

Schwarzenberg: Beide! Aber Österreich kann auch, wenn es die Neutralität ernst nimmt, manchmal nützlich sein.

DIE FURCHE: Sind wir jetzt mit unserer Auslegung der Neutralität nützlich?

Schwarzenberg: Ich bin kein so präziser Völkerrechtler. Da braucht es eine gründliche Untersuchung, was man als neutrales Land noch machen kann und was nicht. Aber sagen wir es so: Momentan wären wir mit einer etwas aktiveren Politik vielleicht nützlicher.

DIE FURCHE: Kommende Woche findet die Parlamentarische Versammlung der OSZE in Wien statt. Abgeordnete aus 20 Ländern, darunter auch Tschechien, fordern von Österreich, den russischen Delegierten keine Visa auszustellen. Teilen Sie diese Meinung?

Schwarzenberg: Davon bin ich kein wirklicher Anhänger. Man muss im Gespräch bleiben. Die offizielle Delegation soll kommen. Die OSZE wurde gegründet, um genau diesen Graben zu überwinden. Aber wenn Putin nicht will, dann wird es sehr mühsam. Putin sucht kein Gespräch. Und wenn er nicht will, dann gibt es kein Gespräch.

DIE FURCHE: Stattdessen gibt es immer mehr Waffen.

Schwarzenberg: Wissen Sie eine Alternative? Ich weiß keine. Denn was als sogenannter Kompromiss angeboten wird, heißt letztlich: Damit wir Ruhe haben, wird die Ukraine aufgeteilt. Das ist unmöglich. Das ist unzulässig.

DIE FURCHE: Wo ziehen Sie die rote Linie für Waffenlieferungen an die Ukraine?

Schwarzenberg: Bei Kernwaffen.

DIE FURCHE: Die Atomkrieg-Drohungen aus dem Kreml fürchten Sie nicht?

Schwarzenberg: Ich bin außerstande, in das Gehirn des Wladimir Wladimirowitsch Putin zu blicken. Schon der Beginn des Kriegs gegen die Ukraine war vom russischen Standpunkt aus ein Wahnsinn. Daran wird auch das Putin-Regime wahrscheinlich zu Grunde gehen. Es gibt in jedem Land manchmal sehr unglückliche Entwicklungen. Das hat es in Deutschland gegeben, aber das wurde beendet mit der totalen Niederlage 1945. Und auch Russland muss besiegt werden.

DIE FURCHE: Was heißt besiegt?

Schwarzenberg: Russland muss zumindest die ganzen ukrainischen Gebiete verlassen. Das sollte genügen, um Putin zu stürzen.

DIE FURCHE: Sie haben schon ein autoritäres Regimes stürzen sehen. Bei unserem letzten Gespräch sagten Sie, der 29. Dezember 1989, als Václav Havel zum tschechischen Präsidenten gewählt wurde, war der glücklichste Tag Ihres Lebens.

Schwarzenberg: Weil ich gewusst habe, jetzt ist das Regime zu Ende, jetzt ist das Land wirklich frei und es gibt einen bemerkenswerten Präsidenten.

DIE FURCHE: Irgendwann wendet sich die Geschichte.

Schwarzenberg: Immer. Manchmal ist man dann nur selber nicht mehr dabei.

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