Tyrannemord

Kriegsherr Putin: Den Tyrannenmord erwägen!

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Ohne westliche Waffen würde sich das Blatt in der Ukraine binnen Wochen zugunsten Russlands wenden. Wie weit darf, muss oder soll Unterstützung gehen? Über „Ver-Antwortung“ als Denken des anderen und Denken im Antworten.

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Ohne westliche Waffen würde sich das Blatt in der Ukraine binnen Wochen zugunsten Russlands wenden. Wie weit darf, muss oder soll Unterstützung gehen? Über „Ver-Antwortung“ als Denken des anderen und Denken im Antworten.

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Als Kanzler Karl Nehammer 2022 nach der russischen Invasion von Österreichs historischer Verantwortung spricht, überspringt er einen entscheidenden Punkt (den er später verhalten ergänzt): Die historische Schuld, die das heutige Österreich als Teil des Deutschen Reiches im Zweiten Weltkrieg auf sich geladen hat, bezieht sich nicht nur auf Russland, sondern auf sämtliche Nachfolgestaaten der Sowjetunion. Allen voran auf die Ukraine und Belarus, deren Gebiete zur Gänze besetzt waren.

Nehammer befindet sich mit seinem Denkfehler in guter Gesellschaft. Die deutschen Leopard-2-Panzer, die nun an die Ukraine geliefert werden, kommen deshalb so spät – vermutlich zu spät –, weil sich Olaf Scholz stets derselben ethisch-moralischen Argumentation bediente. Die Tatsache, dass 80 Jahre nach Stalingrad erneut deutsche Panzer gegen russische Soldaten vorgehen, ließ ihn zaudern und zögern.

„Ver-Antwortung“, in Anlehnung an den lateinischen Begriff respondere („antworten, Antwort geben“) – wer vermag es, diese zu geben? „Wenn Deutschland etwas aus seiner Geschichte gelernt hat, dann muss es aus der Geschichte heraus hier unterstützend einschreiten“, analysierte der britische Historiker Timothy G. Ash in einem vielbeachteten Statement zur deutschen Rolle im aktuellen Konflikt. Wie gilt es sich hier für das neutrale Österreich zu positionieren? Wolfgang Müller, Vize-Vorstand am Institut für osteuropäische Geschichte (Uni Wien), sagt dazu: „Die Verantwortung Österreichs ist insofern eine andere, als es im Zweiten Weltkrieg als Staat nicht existiert hat, nicht Herr seiner Handlungen gewesen ist. Aber: Es gab ungefähr eine Million Österreicher, die in der deutschen Wehrmacht oder in anderen Formationen der NSDAP gekämpft haben und die zum Teil, sei es aufgrund des Befehlsnotstandes oder aus einer persönlichen Überzeugung heraus, auch auf dem Boden der Ukraine an Kriegsverbrechen beteiligt waren. Österreich kann sich seiner moralischen Verpflichtung nicht entziehen.“ Dieser komme es zumindest zum Teil nach. Aufgrund von Österreichs Neutralitätsstatus zu 90 Prozent im humanitären Bereich. Aber als EU-Mitgliedsstaat finanzierte es indirekt auch militärische Unterstützung mit.

Innerhalb des Wartens und Abwartens entspinnen sich neue Debatten: Nach den Kampfpanzern ertönen die Rufe nach Kampfjets, gefolgt von der Forderung nach Bodentruppen.

Ver-Antwortung. Die Verbündeten antworten in Form von Sanktionen, Waffen, Geheimdienstinformationen, militärischem Know-how, makroökonomischer Unterstützung (die Ukraine benötigt nach Schätzungen zwischen drei und vier Milliarden Dollar pro Monat), der Aufnahme von Vertriebenen und mannigfaltigen symbolischen Gesten. Wolodymyr Selenskyjs geplante Teilnahme am EU-Gipfel in Brüssel ist das jüngste Beispiel dieser Art.

Gleichzeitig vermögen diese Antworten entscheidende Fragen nicht zu beantworten: Hat Ver-Antwortung Grenzen? Und wenn ja, wo, im Hinblick auf die Tatsache, dass es kein Zurück mehr zum status quo ante geben wird? Westliche Diplomaten halten eine Lösung des Konfliktes für unwahrscheinlich, ja unmöglich, solange Putin im Amt ist. Was heißt das im Umkehrschluss? So lange Krieg führen, bis Putin zurücktritt, weggeputscht wird, stirbt? Bedeutet (Ver-)Antwort(ung) Abwarten? Und innerhalb dieses Wartens und Abwartens entspinnen sich neue Debatten: Nach der Kampfpanzerdebatte ertönen die Rufe nach Kampfjets, abgelöst von den Bodentruppen.

„Wenn der Krieg noch länger dauert, wird sich diese Frage mit größerer Dringlichkeit stellen. Man muss nur die Bevölkerungsbasis Russlands mit jener der Ukraine vergleichen. Russland ist mehr als dreimal so groß, was seine Bevölkerung betrifft. Bodentruppen wurden bisher von westlichen Staaten klar abgelehnt. Wie sich das in Zukunft verhält, lässt sich nicht seriös prognostizieren“, sagt Müller.

Moraltheologische Schlüsse

Die bevorstehende Münchner Sicherheitskonferenz (17. bis 19. Februar), das wichtigste sicherheitspolitische Expertentreffen weltweit, dürfte ein wesentliches Forum sein, um sich diesbezüglich auszutauschen. Gleichzeitig ist diese Angelegenheit mehr als eine sicherheitspolitische. Auch in der theologischen Ethik ringt man um Haltungen. „Man muss verantworten, wenn man in diesen Krieg eingreift. Und man muss verantworten, wenn man in diesen Krieg nicht eingreift“, sagt die Salzburger Moraltheologin Angelika Walser und bezieht sich auf die traditionelle Lehre vom bellum iustum (dem gerechten Krieg). Pazifismus um jeden Preis ist ihrer Meinung nach unangebracht. „Ich kann nicht den Ukrainern vorschreiben, dass sie wie Gandhi mit friedlichen Mitteln für ihre Überzeugung am Ende in den Tod gehen.“ Daher seien der Verteidigungskrieg und die Unterstützung seitens des Westens moralisch gerechtfertigt. Was nicht heiße, dass derzeit alle Mittel, die Frieden oder zumindest eine Wende herbeiführen könnten, ausgeschöpft würden.

Luft nach oben habe etwa das Engagement seitens der Zivilgesellschaft. „Es gibt viel Empörung und Entrüstung vom Sofa aus, aber wir sollten mehr ins Handeln kommen. Es gibt Widerstandsbewegungen in Russland, die man unterstützen kann, diverse Netzwerke, Initiativen der Kirchen usw.“, so Walser. Das ist die eine Seite. Die andere Seite: der Tabubruch. Und sei es nur in der Theorie. So rollt etwa der Moraltheologe Werner Wolbart in seinem Buch „Vom Nutzen der Gerechtigkeit“ das biblische Zitat „Besser, ein Mensch sterbe, als dass ein ganzes Volk verderbe“ neu auf. Es geht um die Tötung des Schuldigen und darum, wann diese rechtmäßig sei. Letzteres jedenfalls in einer Notwehrsituation. Ist ein Tyrannenmord aus moraltheologischer Sicht vertretbar? „Die Scholastiker haben offen darüber diskutiert. Viele davon stimmten zu. In der theologischen Ethik wird beispielsweise das Hitler-Attentat oft als legitim betrachtet. Manchmal sind Tötungen nicht zu vermeiden“, erklärt Angelika Walser.

Ver-Antwortung. Wäre der Tyrannenmord auch in der Causa Putin eine Option? Und wenn ja, wäre er umsetzbar? Aus westlichen Diplomatenkreisen heißt es, dass ein Attentat bislang nicht in Erwägung gezogen sei. Der Großteil der Experten ist der Meinung, dass es zu keiner unmittelbaren Verbesserung des Systems Russland führen würde. Dass es an der Nichtmachbarkeit scheitere, glaubt der Informant indes nicht. Man habe aus geopolitischen Gründen schlicht kein Interesse daran.

Diese Antwort ist eindeutig. Was man von Ver-Antwortung nicht sagen kann. Es zwingt sich weiterhin ein Denken des anderen auf – ein Denken im Antworten – im Sich-Verantworten – im Ver-antwortet-Werden.

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