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Das andere Frankreich

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Wir sind es gewöhnt, Frankreich durch Paris repräsentiert zu sehen, und was uns besonders während der letzten drei Jahre an französischer Kultur vermittelt wurde: französische bildende Kunst, Bücher, Theater und Musik bestärkte uns in dieser Auffassung. — Doch so sehr die Kultur Frankreichs in Paris zentralisiert erscheinen mag: ihre Ursprünge liegen in den Provinzen, den einzelnen „Ländern“, und von hier empfängt sie auch immer wieder neue Impulse. (Das ist auf dem Gebiete der Kunst, etwa der Literatur, nicht anders als auf dem der Innenpolitik.) Die Provinzen Frank reichs bieten in der Tat ein abwechslungsreiches, farbenprächtiges Bild. LTm die Spannweite des französischen Raumes richtig einzuschätzen, müssen wir uns vergegenwärtigen, daß die französische Landschaft: ‘im Norden und Osten ohne nennenswerte Grenzen in die belgische und deutsche übergeht, daß die Bretagne geographisch und durch die Bevölkerung mit Cornwall verbunden ist, daß das spanische Element über das Gebiet der Basken bis nach Toulouse drängt, und daß sich schließlich etwa von Marseille bis Turin Französisches und Italienisches mischen. Und nicht geringer sind die Unterschiede zwischen den einzelnen Stäm-

men und Landschaften, als etwa im deutschen Sprachraum. Nur die Einheit, die sie zu Volk und Staat bindet, ist anscheinend stärker und dauerhafter.

Kaum eindrucksvoller als in den Volkstrachten, Tänzen und Liedern manifestiert sich die Vielfalt der französischen Provinzen. In einer Reihe von Veranstaltungen,. die die Division des Affaires Culturelles betreute and in deren Rahmen sieben verschiedene Volkstanz- und Trachtengruppen auftraten, bot sich die erfreuliche Möglichkeit, das „andere Frankreich" kennenzu lernen. — Jede der verschiedenen Gruppen besteht aus etwa 20 bis 25 Laienyielern, die in der Tracht ihrer Heimatprovinz auftreten und zum Spiel der dort gebräuchlichen Instrumente ihre Tänze vorführten. Das besondere Geschick der Franzosen: Unterhaltsames und Didaktisches unaufdringlich zu verknüpfen, erwies sich bei diesen Veranstaltungien aufs neue.

Wegen des Alters und der Reinheit der Überlieferung sowie wegen der besonderen Eigenart der Kostüme — in schneeweiß, scharlachrot und schwarz — verdienen die kultischen Tänze der Basken besondere Beachtung. Nur etwa noch in Ungarn und auf Java hat sich dieser starre und strenge Stil (bei lebhaftester Bewegung der Beine — völlige Unbewegtheit des Oberkörpers) er-

Kahqp. Manche dieser Tänze symbolisieren Stangen- und Schwertkämpfe und reichen weit in die vorchristliche Zeit zurück. Ein schon ans Akrobatische grenzendes Tanzspiel gestaltet das Thema von St. Michael, dem Drachenbezwinger. — Die weitaus beweglichste und virtuoseste Gruppe war die der Académie Provençale. Sie zeigte besonders schöne Handwerkstänze und die lebhafte Farandole. — Eine völlig andere Welt tat sich uns in däl Darbietungen der Gruppe „Nor ma ira ie" auf: in kostbaren, meist dunkelfarbigen Trachten aus dem Anfang des 19. Jahrhunderts zeigte sie gravitätisch-gemessene Bürgertänze, so etwa die Quadrille und einen Vorfahr unseres Walzers. — Mit ihnen verwandt erschienen die Fahnenschwinger und die in vier Vierergruppen die alte Gavotte ausführenden Bretonen mit ihren reizvollfeierlichen Trachten in schwarz, hellblau und gold. — Auffallend bei allen Darbietungen war die große Anzahl der Gruppen- und Rejgenspiele gegenüber den Einzel- und Paartänzen.

Die Echtheit der Darbietungen wurde durch die Begleitung von Original-Musikinstrumenten wirkungsvoll unterstrichen. Meist waren es Dudelsack, Pfeifen und kleine Trommeln sowie die jüngere Handharmonika, welche die kurzen, acht- oder sechzehntaktigen Melodien unermüdlich wiederholten. Aber auch die Fiedel sowie Einzel- und Chorsänger wurden zur Begleitung herangezogen. — Machten die Tänze und die Musik durchaus den Eindruck des Echten, Lebendigen und Authentischen, so muteten manche Trachten ein wenjg museal und rekonstruiert an. Auch bei den Darbietungen der Chöre verschiedener Provinzen hatte man eher das Gefühl, Bearbeitungen für Chorvereinigungen des vorigen Jahrhunderts und nicht originale Volkslieder zu hören. — Mag sein, daß durch die Pflege der alten Musik unser Ohr hier Dinge unterscheiden gelernt hat, die für andere Nationen noch keine Stilprobleme darstellen. Die ungezwungene, ehrlich begeisterte Art der Darbietungen ausschließlich durch Laienspieler und -chöre ließ über diese kleinen Schönheitsfehler leicht hinweg- hören.

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