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Franz der Gute war kein Banause

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Ein Bilderbuch”, so steht es gleich am Beginn von Friedrich Johann Justin Bertuchs „Bilderbuch zum Nutzen und Vergnügen der Jugend” aus dem Jahre 1813, „ist für eine Kinderstube ein ebenso wesentliches und vielleicht noch unentbehrlicheres Meuble als die Wiege, die Puppe oder das Steckenpferd. Diese Wahrheit kennt jeder Vater, jede Mutter, jeder der Kinder erzogen hat.” Nachzulesen in dem prachtvoll ausgestatteten Bildband „Kinder- und Jugendbücher der Aufklärung” von Johanna Mon-schein im Residenz-Verlag, einer bibliophilen Habsburger-Neuerscheinung der ganz besonderen Art.

Bertuchs Bilderbuch hat übrigens tatsächlich die Ausmaße eines Möbels. Es enthält 1.100 Tafeln in nicht weniger als 22 Bänden. In Band 19 findet sich die obenstehende reizvolle Darstellung der „Gefahren des Wallfischfanges” mit dem in die Luft geschleuderten Boot.

Alte Kinderbücher sind bekanntlich gesuchte und hochbezahlte Objekte privater Sammelleidenschaft, und wo öffentliche Bibliotheken über geschlossene Bestände seltener Kinderbücher verfügen, zählen sie zu deren besonders sorgsam gehüteten Schätzen. Sie sind meist besonders vergänglich. Das liegt in der Natur der Benutzer, für die Kinder- und Jugendbücher bestimmt sind.

Johanna Monschein untersuchte im Rahmen eines Forschungsprojekts die von Kaiser Franz I. gesammelten Kinder- und Jugendbücher. Es ist eine Sammlung von hoher geistes- und erziehungsgeschichtlicher Bedeutung - und eine, deren Entstehung in Dunkel gehüllt ist. Wen hatte der Kaiser als Benutzer im Sinn, als er diese Bücher kaufte? Sie sind mit wenigen Ausnahmen völlig frei von Benützungsspuren.

Sammeln war bekanntlich seit Jahrhunderten die größte private Passion der Habsburger. Und über die Bedeutung ihrer Bibliothek erübrigt sich jedes weitere Wort. Trotzdem gilt der am 12. Februar 1768 in Florenz geborene Franz I. als der erste (und letzte) echte Bibliophile auf dem Habsburgerthron. Denn wer Bücher „kaufen läßt” und Auf- oder Ausbau.einer Bibliothek ermöglicht oder auch initiiert, kann noch lange nicht als echter Bibliophiler gelten. Ein echter Bibliophiler muß Bücher selber suchen, selber erwerben, muß Opfer für seine Leidenschaft bringen, muß ein libidinö-ses Verhältnis zum Buch entwickeln.

Und so einer war Franz I. Genau eine Woche nach dessen 17. Geburtstag vermerkt sein Ajo, im Sprachgebrauch des Hofes der Erzieher des Prinzen, Graf Colloredo-Wallsee, daß „Franz den Gedanken gefaßt habe, sich eine Bibliothek zusammenzusetzen”. Er hatte schon aus Florenz einen Grundstock von Büchern mitgebracht, nun begann er systematisch Werke über Kunst und Architektur, Archäologie, Biographien, Militaria und andere Gebiete zu sammeln. Es war die Zeit der ersten Krise der Beziehung zum Onkel, Kaiser Joseph IL, der Franzens Ausbildung zum Thronfolger selbst in die Hand genommen hatte. Das Buch ist ein klassischer Ort der Zuflucht für ungeliebter Wirklichkeit Entfliehende. Die Mutation des Bücher liebenden jungen Prinzen zum passionierten Bibliophilen (der er für den Rest seines Lebens blieb) hatte sicher mit seinem Verhältnis zur Wirklichkeit zu tun, zur politischen Wirklichkeit, zur Wirklichkeit in der Gestalt des Kaisers, der von Büchern wenig hielt.

Ein ähnliches Image hatte bislang auch Franz I. Er galt als literarisch desinteressiert, als Mann, dem „Kunst und Wissenschaft kein Lebensbedürfnis war”. Dieses Image könnte Grund dafür sein, daß der Katalog seiner Büchersammlung bisher kaum wissenschaftliche Beachtung fand.

Ein klassisches Fehlimage -tatsächlich war Franz I. nicht nur ein begeisterter Leser, sondern er brachte in seiner Jugend seiner Passion auch Opfer. Der Erwerb kostbarer Luxusausgaben bedeutete erhebliche Einschränkungen bei seinen sonstigen Ausgaben. Auch kaufte er von bedeutenden Werken oft zehn bis zwölf Exemplare, um sie an die Bibliotheken seines künftigen Reiches zu verteilen, und Künstlern, die er schätzte, bezahlte er ein Vielfaches der geforderten Honorare.

Der 67jährige trifft dann folgerichtig auch detaillierte testamentarische Entscheidungen, um seinen direkten Nachkommen in Form einer Fideikommissbibliothek eine Handbibliothek zu sichern, „die beim Unterrichte treffliche Dienst zu leisten im Stande war”. Diese Fideikommissbibliothek Kaiser Franz I. ist heute Bestandteil der Österreichischen Nationalbibliothek.

Einzig der Vermerk „Baumeister, Der Bechte Doctor, und Lehrerjoey I.I.K.K.H.H. den Jüngern Erzherzogen” auf dem Titelblatt des Werks „Die Welt in Bildern” von Joseph Edler von

Baumeister stützt die Annahme, Franz könnte diese Bibliothek für seinen jüngeren Bruder bestimmt haben - zu deren Erziehern hatte ein Jahr vor Erscheinen der 24jähri-ge Monarch Baumeister eingesetzt. Hingegen spiegelt vieles in dieser Kinderbuchsammlung die eigene Kindheit und Erziehungsgeschichte des späteren Kaisers. Diese war bürgerlich, stand im Zeichen der Aufklärung, und während sich der Bibliophile auf dem Thron beim Zusammenstellen seiner Kinderbuch-Sammlung mit seiner eigenen Entwicklung identifiziert, fällt auch ein interessantes Licht auf seinen Vater Leopold, des Großherzogs von Toskana. Dessen höchstes Interesse galt nicht dem Sammeln, sondern der Erziehung seiner Kinder. Seine eingehenden Instruktionen galten, so Rudolf Vierhaus, der „Entfaltung der intellektuellen, moralischen und ästhetischen Fähigkeiten des Individuums in der Beschäftigung mit dafür geeigneten Bildungsgütern und mit dem Ziel seiner Selbständigkeit und Selbstbestimmung” und nahmen damit ein Bildungskonzept vorweg, das in Deutschland erst durch Wilhelm von Humboldt Allgemeinverbindlichkeit erlangte. „So ist”, resümiert Johanna Monschein, „die Sammlung entstanden im Gedenken an eine Vergangenheit, die im Prozeß des Sammeins in die Gegenwart zurückgerufen wird: Die Bibliothek als Bruchstück einer Biographie im Spiegel des Buches”. Sammeln, so ein berühmter Sammler von Kinderbüchern, nämlich Walter Benjamin, sei eine Form des Erin-nerns und unter den profanen Manifestationen der „Nähe” die bündigste.

Unter den 187 Werken finden sich jansenistische Titel, die an die Erziehung des Sammlers erinnern, Werke der Aufklärung, allen voran Campe, sinnlich illustrierte Anschauungsbücher wie Voits „Schauplatz der Natur und Künste”, aber auch viel einfach aus ästhetischen Gründen Bibliophiles. Johanna Monscheins Buch hat nicht nur wissenschaftliche und ästhetische Qualität. Es gibt auch dem Nachdenken über Franz I. neue Anregung.

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