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Italienisches Tagebuch

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Florenz, im Oktober 1945 Die Oktobersonne hatte sich verkrochen nd in den Gängen des Giardino Boboli, die von streng geschnittenen Bäumen und Gebüschen gebildet werden, herrschte schon herbstliche Kühle und Düsterheit. Plötzlich aber riß mich ein überraschender Anblick aus meinen melancholischen Betrachtungen. Ich war nämlich gerade an das Ende eines Laubenganges gekommen, das auf einen freien Platz mündete. Dieser Platz, sonst wohl ein farbenprächtiges Blumenparterre, war freilich der Not der Zeit entsprechend in einen Acker verwandelt worden, aber im Rahmen der dunkelgrünen Steineidien lag ein herrliches Bild vor mir, der Turm des Palazzo Vec'diio, die in hinreißendem Schwung aufstrebende Kuppel des Domes und dahinter die lieblichen Hügel von Fiesole. Ich selber stand noch im Schatten, auf dem wundervollen Gelände vor mir aber lag jetzt die abendliche Sonne und vom nahen Vordergrund mit den Ziegeldächern bis zu den fernen Höhen, die noch hinter Fiesole sichtbar wurden, wechselten vom leuchtenden Rot bis zum tiefen Violett alle Farben, auf den Höhen schimmerten weiße Villen und Kastelle und dem ganzen hochromantischem Bilde hätte man die Überschrift geben können: Traum von Italien.

Ein jähes Glücksgefühl überwältigte mich. Mein schöner Traum — er war ja voll greifbarer Wirklichkeit. Ich befand mich tatsächlich in Florenz und vor allem — Florenz selber, die blühende Stadt der frühen Renaissance, sie war noch da, hatte die Greuel dieses furchtbaren Krieges glücklich überstanden. Gestern auf der Herfahrt — wir hatten die Strecke zwischen Bozen und Florenz in einem Wagen zurückgelegt — waren wir freilich an vielen Ruinen vorübergefahren. Von der zinnenbewehrten Skaligerbrücke in Verona ragten nur mehr Pfeilertrümmer in die Höhe und die äußeren Stadtteile, zumal die an der Bahn gelegenen, sahen übel aus. Alle Brücken waren gesprengt, nur auf einer konnte man zur Not passieren. Und so blieb es nun auf dem ganzen Weiterweg: auch die kleinste Straßenbrücke hatte man beim Rückzug zerstört, aber zur Not kam man überall weiter, auch über den Po, wo audi schon die Bahnbrücke wenigstens provisorisch hergerichtet war und gleichzeitig mit uns ein Zug langsam und vorsichtig übersetzte. In Bologna, wo ja der Krieg monatelang getobt hatte, wurde das Bild noch bedeutend schlimmer. Der Stadtmitte wichen wir aus, am Rande aber waren die meisten Häuser zerstört und so blieb es auch bis tief in den Apennin hm“ein. Die zahllosen Brücken waren teils mit Holz ausgebessert, teils mußte man sie umfahren und auch die Straße selber befand sich hier in einem üblen Zustande. Das war umso mißlicher, als es schon Abend war und wir mit Rücksicht auf die tatsächlich vorhandene und vom Gerücht wohl noch übertriebene allgemeine Unsicherheit vor Eintritt der Dunkelheit die enge Schlucht unbedingt hinter uns haben wollten. Wir atmeten förmlich auf, als wir endlich die Paßhöhe überwunden hatten und in der beginnenden Dämmerung das weite tos-kanische Hügelland zu unseren Füßen lag. Nun gings in prächtigen Kurven in die Ebene von Pistoja hinab und von hier bis Florenz war auch die Straßendecke schon wieder tadellos hergestellt.

Da es bei unserer Ankunft schon finster war, bemerkte ich erst am nächsten Morgen,

als ich frisch und herrlich ausgeruht die

Fenster öffnete, daß unser Hotel unmittelbar am Arno lag. Gegen Norden hob sich der Turm und die Fassade von S. Minito vom rosigen Morgenhimmel ab, dahinter schimmerte das sanfte Blau eines fernen Höhenzugs und unmittelbar gegenüber senkten sich die grünen Hügelhänge mit den dunklen Zypressen der Villa Bellosguardo und des Monte Oliveto, eine herrliche, mir seit bald 40 Jahren wohl vertraute Silhouette, zum Arno nieder. Aber nicht nur die Florenz unmittelbar umgebende Landschaft, auch die Stadt selber mit ihren unzähligen köstlichen Kunstwerken war in allem Wesentlichen noch da, wie ich mich tagsüber überzeugen konnte. Nur die Arnobrücken und die unmittelbar anschließenden Häuser sind beim Rückzug gesprengt worden, wobei aber der Ponte vecchio mit seinen malerischen Kaufläden verschont blieb. Die benachbarten Quartiere wurden freilich auch hier vernichtet, um den nachdrängenden Feind durch einen Schuttwall aufzuhalten. Aber die offene Wunde, die Florenz hier aufweist, hat zugleich auch manches geoffenbart, was bisher nicht so deutlich in Erscheinung trat. Wie in anderen mittelalterlichen Städten Italiens besaßen auch in Florenz die Adelshäuser zahlreiche hochaufragende Wehrtürme, wie ja auch die städtischen Kämpfe in Florenz besonders häufig waren. Ein aufmerksames Auge kann in den engen Gassen der Altstadt noch zahlreiche Türme feststellen, die aber meist nicht mehr die ursprüngliche Höhe besitzen oder sonst in die Häuser verbaut wurden. Die Zerstörung durch die Minen hat nun mehrere von ihnen, die infolge ihrer stärkeren Mauern standhielten, erst wieder aus den späteren Hüllen herausgesdiält und so neuerdings zur Geltung gebracht. Das eigentliche Florenz aber, der Domplatz, die Piazza della Signoria, die Kirchen, die berühmten Paläste haben den Hfirieg ohne ernstlichen Schaden überdauert. Am Domturme kam ich gerade zu recht, wie die vermauerten Marmorreliefs mit den Darstellungen der menschlichen Tätigkeiten, der Sakramente, der Tugenden usw. von ihrer Hülle befreit wurden. Andere berühmte Kunstwerke, so zum Beispiel die Bronzetüren am Baptisterium oder die Giottofresken in S. Croce steckten zwar noch in ihrer Schutzhülle, im Bargello standen die eben zurückgebraditen Skulpturen teilweise noch im Hofe herum und audi die Mediceergräber waren noch nicht zugänglich, aber beim unerhörten Reichtum an hervorragenden Kunstwerken, der Florenz auszeichnet, blieb noch mehr als genug, an dem man sich von Herzen freuen konnte. Sogar die herrlichen Bilder im Palazzo Pitti waren schon wieder da, während die Uffizien, deren Fenster durch die nahen Sprengungen zertrümmert wurden, noch nicht wieder hergestellt waren. Das Leben in der Stadt aber war durchaus normal und zeigte den altgewohnten beschwingten Rhythmus und auch der Chianti und die Pasta asciutta in den zahlreichen kleinen Trattorien zwischen Dom und Palazzo Vecchio, die ganz wesentlich zum Gesamtbild von Florenz gehören, schmeckten genau so gut wie in alter Zeit. In S. Croce — es war der Tag des hl. Franziskus — hörte ich eine sehr schöne und sehr gut gesungene Männerstimmenmesse und sogar an einem großen Orchesterkonzert konnte ich teilnehmen. Wie in den Theatern, so war es auch hier ganz leicht, einen guten Platz zu bekommen, nur ungewohnt

war mir 3er Anblick des Dirigenten, eSnes

amerikanischen Offiziers. Ein anderer, augenblicklich in Florenz stationierter Amerikaner, hatte ein Ordiesterstück beigestellt, das er, wie es im Programme hieß, angesichts der Bombensdiäden in Toscana komponiert hatte. Die Musik malte darin unter

anderem anefi emen BomEenregen, der so

unangenehm wirklichkeitsgetreu klang, daß einem dabei*' redit unbehaglich zumute wurde. Darauf folgte eine große Stille und dann ein tragischer Epilog der Bläser, der als Werk eines Angehörigen der siegreichen Armee doppelt beachtenswert war ...

Kleine Sprücne

Im Tone des Angelus Sileslus

Je älter wird der Mensch, je milder wird er sein; wie gern muß uns erst Gott, der ewig ist, verzeihn. *

Was scheltest du dein Kind und führest laute Klag'; wollt Gott mit uns so tun, müßt's donnern Nacht und Tag.

*

Ohne Licht gäb's keinen Schatten, ohne Schwarz kein Weiß; Judas dürft den Herrn verraten: alles' nur zu Gottes Preis. 1

*

Zwei Wege führen zu Gott: die Unschuld und das Leid. Da du ein Sünder bist, zum Leiden sei bereit; trag's mit Geduld und preis des Herrn Barmherzigkeitl

Friedrich G o 11 i n g

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