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EIN PAPST ALS STÄDTEBAUER

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Zu Boden geschlagen, ohne Hemd und ohne Strümpfe blieb der arme Augiulieri, der ausgezogen war, um reich und mächtig zu werden, auf der Landstraße zurück. So erzählt Boccaccio in der 84. Novelle seines Decamerone und fügt hinzu, der traurige Glücksucher sei zunächst in seinem Heimatort Buoneonvento zurückgekehrt und habe sich hernach auf den Weg nach Corsignano gemacht, um dort bei seinen Verwandten Hilfe und Trost zu suchen. Corsignano? Wo in aller Welt liegt nun wieder dieses Nest, das der große Fabulierer des 14. Jahrhunderts unter so vielen Orten jeglicher Art und Größe hier zu erwähnen beliebt?

Dieses auf einem der zahllosen Hügel des südlichen Toskana schon vor 700 n. Ch. urkundlich nachgewiesene richtige „Bergnest”, haben wohl nur die Bewohner der näheren Umgebung gekannt und nicht geahnt, daß dieses bestimmt sei, einmal in der Geschichte, insbesondere in der Geschichte der Kunst, zu großem Ruhm und hohen Ehren zu gelangen — ganz anders als der arme kleine Mann, der sein Glück machen wollte und, nach einem unliebsamen Abenteuer, dorthin gekommen war, um ein Refugium zu finden. Nur etwas hatte sein Schicksal mit dem des kleinen „Borgo Corsignano” gemein: auch dieser wurde „zu Boden geschlagen”, nämlich bis auf die Grundmauern demoliert, so daß nur eine Kirche aus dem frühen und eine andere aus dem hohen Mittelalter jetzt noch vorhanden sind, während die alte Stadtmauer von den massiven Bastionen umschlossen wurde, welche heute die Silhouette des alten — des ehemaligen! — Corsignano umreißen.

Als Pientia, als Stadt ihres Erbauers „plus Aeneas”, des nachmaligen Papstes Pius II., heute geschrieben Pienza, ist der alte Borgo wohl in den Kreisen der Historiker und Kunsthistoriker bestens bekannt, aber noch nicht in den breiteren Schichten der Kenner, Liebhaber und Betrachter bildnerischer Werke, ihrer Werte und ihrer Geschichte. Zu solchen zählen merkwürdigerweise auch die Autoren der 1933 erschienenen Papstgeschichte von Seppelt-Löffler, welche die epochale städtebauliche Tat des Enea Silvio Piccolomini, welcher am 18. Oktober 1405 in Corsignano geboren und von 1450 bis 1458 als Bischof in Siena residierte, schlankweg ignorieren und dessen Geburt in die 52 Kilometer nordwestlich vom kleinen Borgo gelegene Stadt der heiligen Katharina und des heiligen Bemhardin von Siena verlegen. In Siena hat der junge Enea Silvio, Sohn der Vittoria Forteguerri und des Silvio aus der „nobile famiglia dei Piccolomini” von Siena, studiert; eine Familie, welche, seit 1385 aus inner- politischen Gründen stadtverwiesen, in Borgo di Corsignano lebte. Seine außerordentliche Begabung, seine ungewöhnliche Vielseitigkeit und seine hohe Bildung waren die Wegbereiter einer glanzvollen Karriere, die im Jahre 1432 im Rahmen dės Konzils von Basel begann und durch die 1442 erfolgte Berufung in die Reichskanzlei Friedrichs ni. eine entscheidende Wendung erhielt, die auch dem Kaiser große Vorteile brachte. Bald nach Empfang der höheren Weihen wurde der in Frankfurt zum „Poetą laureatus” gekrönte Enea Silvio im Jahre 1447 Bischof von Triest und drei Jahre später Bischof von Siena. Nach weiteren acht Jahren, unter dem Beifall der Humanisten von ganz Europa, erfolgte seine Wahl zum 211. Papst; er entschied sich für den Namen Pius, den seit den ersten Tagen der Christenheit kein Träger der Tiara mehr gewählt hatte; so wurde er Papst Pius II., und die zahlreichen Leser und Bewunderer seiner in vielfacher Hinsicht bedeutenden und wertvollen Werke gehen wohl nicht fehl, wenn sie meinen, der Gedanke an den „pius Aeneas” des Vergil habe bei dieser Namenswahl eine nicht unwichtige Rolle gespielt. Sein ungeheures diplomatisches Geschick und die Etappen seines kometengleichen Aufstieges, die ihm nicht nur die üblichen neidischen, sondern auch ernst zu wertende Gegner verschafft haben, seien hier außer Betracht gelassen. Sicher ist, daß in seiner Person der Humanismus des 15. Jahrhunderts einen seiner edelsten und glänzendsten Repräsentanten und die bildende Kunst der Renaissance einen ihrer genialsten Bahnbrecher gefunden hat.

Aeneas Sylvius, dessen tiefe Liebe zur Natur und feinst- entwickelter Kunstsinn in seinen Landschaftsschilderungen Ausdruck findet, hat in Rom mehrfach Gelegenheit gehabt, mit den führenden Künstlern seiner Zeit und ihren Werken bekannt zu werden. Da war es vor allem der Baumeister Bemardo Rossellino, der Schüler des großen Theoretikers der Baukunst, L. B. Alberti, und Ausführender von dessen Plänen, an welchen sich der Papst erinnerte, als er am 22. Februar 1459 seinen Geburtsort besuchte, und, wie es scheint, ganz plötzlich einen Entschluß faßte: der alte Borgo sollte verschwinden und Rossellino eine neue Stadt bauen, eine Stadt der Renaissance, des Rinascimento, welches seit dem Beginn des Jahrhunderts ganz Italien durch neue Impulse bewegte, welche bereits herrliche Früchte gezeitigt hatten.

Die Stadt, die sich über dem zerstörten Corsignano erheben solle, habe zum Gedächtnis seines Namens den Namen Pientia (heute: Pienza) zu tragen „. . ad memoriam Nostri Pontificalis Nominis”. So heißt es in der Päpstlichen Bulle „Pro excellenti” vom 12. August 1462. Am 13. August des folgenden Jahres berichtet der Papst in einer in Pienza geschriebenen Urkunde über seinen obenerwähnten Besuch in Corsignano und den dort gefaßten Entschluß, zu bauen und „… ein Zeichen seiner Ehrfurcht zu geben, das Gott wohlgefällig und den Menschen nützlich ist”. So ist hiermit der 22. Februar 1459 als der Tag zu betrachten, an welchem das Dasein der neuen Stadt begonnen hat, zunächst in der Idee und im Willen ihres Schöpfers, sodann in der Verwirklichung eines großzügigen städtebaulichen Planes durch Rossellino, in welchem, nach dem Wunsch des hohen Bauherrn, außer den offiziellen Bauten, eine Gruppe von zwölf Wohnhäusern von dem Baumeister Paolo del Porrino geschaffen werden sollte. In knappen vier Jahren war, wie bereits gesagt, das alte Corsignano bis auf wenige Reste verschwunden, und die schönsten Träume der besten zeitgenössischen Baukünstler erschienen in vollendeten, durch eifriges Studium der Antike erarbeiteten und von einem neuen Rhythmus erfaßten und bewegten Formen realisiert.

Der dem Terrain angeglichene trapezförmige Hauptplatz wurde durch die in nobelstem Alberti-Stil rossellinischer Prägung gestaltete Domfassade abgeschlossen; ihr gegenüber erhebt sich über einer leichten und zierlichen Bogenhalle das Stadthaus mit einem viereckigen, sich nach oben verjüngenden und die guelfischen Zinnen tragenden Turm. Über der Mittelsäule der für Rossellinis Formgebung charakteristischen biforischen Bogenfenster sitzt die typische Rundscheibe der Frührenaissance; in dieser plastischen Betonung der Mitte klingt eine Erinnerung an das Raumgefühl des Mittelalters nach, die erst das 16. Jahrhundert zu verdrängen vermochte. Dasselbe Motiv, im Prinzip gleich gestaltet, im Aufbau variiert, findet sich auch an der Fassade des großartigen Piccolomini-Palastes, welcher die Südseite der „Piazza Pio II” flankiert. Diesen hat der Papst seinen Neffen zur Entschädigung für die im Zuge seiner Bauaktion niedergerissenen Familienhäuser geschenkt.

Gegenüber liegt der bischöfliche Palast, den Kardinal Federigo Borgia, der spätere Papst Alexander VI., mit erlesenem Geschmack umgebaut und aufgestockt hat, ohne dessen Gestalt zu zerstören. Die Erbauung dieses Palastes war nicht ganz freiwillig durchgeführt worden. Pius II. hatte mit der Errichtung der „cittä del rinascimento” die Schaffung einer Sömmerresidenz für sich und den päpstlichen Hof im Sinne gehabt — und so sollte sich dieser auch daran beteiligen! So wurden die Herren Kardinale zuerst gebeten, dann höflich ersucht und schließlich ermahnt, diese Bitte, die einem Befehl gleichkam, zu erfüllen, widrigenfalls… und da setzten verschiedentliche Drohungen ein. Rührend und für Unbeteiligte recht erheiternd liest sich die Korrespondenz des jungen Federigo Gonzago mit seinen Eltern, in welcher er sie beschwört, ihm bei dem geforderten Palastbau beizustehen, denn dieser überschreite bei weitem seine finanziellen Mittel. Sollte er aber die Forderung des Papstes nicht erfüllen, würde ihm die versprochene Diözese von Mantua entgehen — kein Palast, kein Bischofssitz! Die Drohung half, und der Palazzo Gonzaga wurde neben dem Palazzo Borgia an der Hauptstraße errichtet, welche, in west-östlicher Richtung verlaufend, die ganze Stadt durchzieht und beiderseits von großen und kleinen Palästen umsäumt wurde. Alle sind innerhalb von drei Jahren entstanden, und alle sind im vornehm-herben Stil der toskanischen Frührenaissance gehalten, als deren bemerkenswertestes Beispiel der Palazzo Piccolomini erscheint, dessen Nordseite die Florentiner Rustika, hier in einer mehrflächig gehaltenen Bauweise aufzeigt, während die Gartenseite sich in drei übereinanderliegenden Bogenhallen nach Süden öffnet, um Luft und Licht der herrlichen Landschaft, ja um auch diese selbst in den Innenraum des Palastes hineinzuziehen.

Dieser Baugedanke, der bereits im späten Mittelalter zur Entstehung der Loggien, der offenen Versammlungshallen für Familien, Vertreter von Ständen, Behörden und Gewerbe geführt hatte, lag auch der „Loggiatura” zugrunde, die auf Papa Pios Geheiß die ganze Südfront seines Palastes aufgerissen hat. Auch er wollte hier seinen Hof, seine Familie und seine Gäste versammeln, aber er wollte und mußte aus der ganzen Kraft und Sehnsucht des echten Menschen der Renaissance sein Haus öffnen, um den Anblick der wundervollen Landschaft seiner Heimat zu genießen und um in der Vereinigung mit der Allmacht der Natur ihre Kraft und ihren Segen zu empfangen. So schuf er im Kunstwerk seiner Stadt das Kunstwerk seines Palastes, dem die schönen Worte Giovanni Pascolis gelten „… geboren aus einem Gedanken der Liebe und einem Traum der Schönheit.”

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