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Ivan Mestrovic

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Ivan Mestrovic, am 14. August 1883 als Sohn eines Hirten und Bauern in dem dinarischen Gebirgsort Drnis geboren, war bis zu seinem dreizehnten Lebensjahr ein Hirtenjunge. Seine Vorliebe für die Holzschnitzerei mag somit aus seiner Herkunft erklärt werden. Wie allerdings aus dem Hirtenjungen der Bildhauer wurde, bleibt ebenso bewundernswert wie die stet,“ Speisung der Hochkunst aus den nährenden Kräften volkstümlicher Kunstausübung und kann als das Geheimnis einer großen Schöpferpersönlichkeit nur erahnt werden. Mestrovics äußerer Weg führte jedenfalls zunächst zur Küste: nach S i b e n i k und S p a 1 a t o, und schließilich über Triest nach Wien, wo er das Erlernbare seiner Disziplin vervollkommnete. Konnte der junge Künstler in seiner ersten Gesamtschau in der Wiener Sezession (1910) auch nur einen „Traum in Gips“ (Strzygowski) zeigen, so war damit doch der Grundstein zu einer wachsenden Anerkennung von selten der Zünftigen (Hildebrandt, Rodin) und zu großen europäischen (Paris, London), aber auch weltweiten Erfolgen (Amerika) gelegt worden.

Die Zeitgenossen von 1940 hatten bereits die nationalen Antriebe zu Mestrovics künstlerischem Schaffen gefühlt. Mestroviö ist Kroate und dem jungen jugoslawischen Staat in tiefer Heimatliebe verbunden. Seine Monumentalplastiken können nur in diesem Zusammenhang verstanden werden; etwa die Kolossalstatue des Bischofs Gregor von Nin im Diokletianpalast in Spalato: nicht mehr Mensch, auch nicht überlebensgroßer, sondern hochaufragender Fels aus der Flut gewöhnlicher Menschlichkeit, und das Mausoleum in Cavtat (in den „Dalmatinischen Sonetten“ von Paula v. Preradoviö besungen). Trotzdem möchte Meströviö nach seinen eigenen Worten seine Mitbürger überzeugen, „daß die gesamte Menschheit eine große geistige Familie bildet, und daß sie bei gutem Willen und festem Glauben eine Brüderschaft werden könnte.“

Im allgemeinen in Agram erstanden, wuchs das Werk des Künstlers immer weiter in die Welt hinaus. Die Ausstellung europäischer Plastik im Wiener Hagenbund (1931) erwies bereits Mestrovics gesicherte abendländische Geltung. Zur Vollkommenheit gereift, fand das Gesamtwerk anläßlich der Sonderausstellung im Wiener Hagenbund (1935) nochmals an die Ausgangsstelle seines Weiltruhmes zurück. Zur Zeit lehrt Mestrovic am College of Fine Ans der Syracuse University USA, während gleichzeitig im Metropolitanmuseum in New York eine Gesamtausstellung seiner Werke veranstaltet wird.

Überblickt man nun die Schöpfungen von Mestrovi6, so drängt sich neben der erheblichen Anzahl von Holzbildwerken und Reliefs vor allem der Zug zum Monumentalen auf, der unabhängig von den Ausmaßen fast allen seinen Plastiken eigen ist, aber auch die tiefe Religiosität, die nicht nur aus den Werken religiösen, sondern auch profanen Inhalts spricht.

Wie bei vielen Künstlern, so ist auch die äußere Ähnlichkeit, besonders seiner weiblichen Figuren, auffallend. Das Zufällige der Einzelerscheinungen verdichtet sich zum Zeitlosen des Typus, und unabhängig von irgendeinem Modell wird das Weib nach dem der Seele eingeborenen Bilde geschaut. Immer sind es Körper mit den vollen Formen unverbrauchter Bäuerlichkeit, und die Wangen sind stets zu jenem stillen, selbstgenügsamen Lächeln gebildet, dessen Herkunft ebensowenig zu enträtseln, dessen Urgrund ebensowenig auszuschöpfen ist wie das archaische, L“cheln der Koren, der Akro-polis: vertraut und doch wiederum unaufgeschlossen und fremd. Mestrovid geht es um mehr, als um ein bloßes Nachfühlen der Linie (wiewohl er mehr als einmal bewies, wie sehr er zu unnachahmlich schöner Linienführung befähigt ist); um mehr, weil er nicht die Darstellung des nackten Leibes, sondern den verinnerlichten Ausdruck der Seele anstrebt. Dieses Hinausweisen über die sichtbarliche Gestaltwerdung bezeugen bereits die Aktzeichnungen des Künstlers. Der Künstler lebt vom Traum der Seele, aber dieser Traum wird im wahrsten Sinn des Wortes zu Fleisch („Psyche“).

Diese „Psyche“, die Marmorplastik des „Moses“, wo nur der gewaltige Kopf und eine aufwärtsweisende Hand den Gottgesandten monumental charakterisieren, aber auch der Vergleich vieler seiner Skulpturen mit den dazugehörigen Studien deuten an, daß das Endgültige von Mestrovics Schaffensprozeß'auch stets das Einfachste und Monumentalste ist, denn sein tiefschürfender Drang duldet nichts Nebensächliches und kennt nur die unbedingte Konzentration auf das Wesentliche. Dieser Weg führt, konsequent verfolgt, zur Maske oder zum Relief. Mestrovic ist zu sehr reiner Plastiker, um nicht die Durchlöcherung der Form zu vermeiden, er schuf daher niemals Masken, dagegen bevorzugt er deutlich das Relief, besonders in Holz, gegenüber der Rundplastik.

Mestrovics Plastiken sind in die Wirklichkeit gestellte Traumgesichte. Wer so von innen heraus gestaltet, ist auch weit davon entfernt, ein Naturalist zu sein. Mestrovic ist auch dort kein Naturalist, wo er die Realistik des Schmerzes gestaltet.

Architektur ist „gefrorene Musik“ (Novalis), also erstarrte Bewegung.. Aber auch Malerei und Plastik können in ihren Gestaltungen nur einen charakteristischen Moment herausgreifen, um die Bewegungen der Seele nacherlebbar zum Ausdruck zu bringen. Im Zusammenhang damit ist Mestrovics Neigung zur Symmetrie zu betrachten, denn die Wirkung der Symmetrie ist Bändigung, ist Beruhigung. Mestrovic gebraucht sie, weil er im Gegensatz zu dem Gotiker Grünewald noch vor den chaotischen Abgründen des Schmerzes haltmachen will. Da mathematisch genaue Symmetrie völlige Erstarrung und damit Aufhebung der Kunst als Darstellung des bewegten Lebens bedeuten würde, führt Mestroviö die Symmetrie niemals konsequent durch. Gerade die leichte Störung der Symmetrieanlage verleiht dann diesen Kunstwerken jenen wunderbaren Reiz, den man ebensowenig wie das Leben selbst „auszulernen“ vermag.

Thematisch umfassen Mestrovics profane Plastiken den ganzen Umfang natürlichen Lebens und Erlebens; vielleicht mit einer merklichen Betonung der Sphäre des Weibes.

Sein größtes Glück, aber auch sein größtes Leid erlebt es in der Mutterschaft. Trotz der gesunden Sinnlichkeit des Südslawen hat Mestrovic, eher dem Verhaltenen und Herben zugetan, besonders häufig musizierende Mädchen und Frauen gestaltet. Zwar ist Mestroviö die schöpferische Liebe, von der geschlechtlichen bis zur gottgebundenen, rein wie alles Kreatürliche; die bändigende Kraft seines Künstlertums, sowie eine angeborene Scham bewahrten ihn jedoch davor, die Ekstase der Geschlechtlichkeit in die Wirklichkeit des Tages zu setzen.

Viel häufiger gestaltet Mestrovic die

Liebesbegegnung in der keuschen Sphäre der Marienyerkündigung; sein Holzrelief „Verkündigung“ gehört sicherlich zu seinen reifsten und abgerundetsten Schöpfungen. Das Weib als Jungfrau, Liebende und Mutter: alle drei Wesensgestalten der Frau erfahren bei Mestrovic ihre tiefste Darstellung erst im religiösen Bereich. Es wäre zwar falsch, Mestroviö als religiösen Künstler im engeren Sinn sehen zu wollen. Aber alle seine profanen Bildwerke muten wie Vorbereitungen seiner religiösen Plastiken an, und in letzteren sind auf jeden Fall seine besten künstlerischen Leistungen zu erblicken.

Von den musizierenden Frauen geht es zu den musizierenden Engeln, von den Men- ' scherikindern zu den kindlichen Jesus- und Engeldarstellungen: mit welcher Freude fühlen diese Engel die zärtlich-liebkosende Gebärde des Gotteskindes nach, wie trauern ihre Blumenhäupter um den toten Jesus! Im, Holzrelief „Muttergottes mit den Engeln“, von gleich großer Meisterschaft wie die „Verkündigung“, schlafen die Engel wie die Seelen toter Kinder auf der Himmelswiese, den Schoß der Madonna umschließend.

Neben den Kreuzigungsbildern hat Mestrovic die Person Jesu in den Plastiken „Versuchung“ und „Vertreibung aus dem Tempel“ weniger als den Passiv-Leidenden, sondern vor allem als männlichen Überwinder gezeigt; eine Auffassung, wie sie durchaus im Einklang mit der schönen Schrift „Der Mann Jesus“ von P. Georg Bichlmair S. J. steht. Göttliche Kraft strahlt von Jesus aus: Macht seines Geistes überwindet er den bösen Versucher, macht seines Leibes die niedrige, kriecherisch-schweigende Gemeinheit der Schacherer, macht seiner Liebe und Güte den Tod (das dritte hervorragende Holzrelief: „Jesus und Samariterin“).

Porträts nehmen im Schaffen von Mestrovic keinen großen Raum ein, denn fast alle streben sie dem Typischen entgegen: das Bildnis seiner Mutter wird trotz Realistik zum Bildnis der Mutter schlechthin,' der Schmerz der Mutterschaft drängt oft und oft zur Ausgestaltung in der „PietA“. Die Bildnisse der Großen der Menschheit aber führen zu den Monumenten. Moses und Michelango regten Meütroviö mehrmals zur Gestaltung an, in Goethe sah er weniger den Tänzer des Herzens, als der er so vielen erscheint, als den einsamen Denker. Besonders eindrucksvoll ist Mestrovitfs Selbstbildnis: der harte Arbeiter, der dem spröden Stein die vollendete Form seiner inneren Gesichte abrang, der sein starkes Wollen mit einem ebenso starken Können bewies, dem die Kraft eignet, den Traum durch das Werk zu krönen. Wie er selbst sind auch alle von ihm gestalteten Männer; ob Astronom, ob Architekt, ob betender Mann: männlich und stark. Und als Mahnmale einer heroisch untergehenden Welt schuf er mit seinen Indianern den einsamen Kämpfer, an dessen Körper jeder Muskel zur abschnellenden Sehne des zielsicheren Willens wird.

Trotz der uralten Gegnerschaft des Jugoslawen zum Türken beweist gerade Mestro-viös Werk die starken Ausstrahlungen der byzantinischen Kultur Dil in unsere Tage. Seine religiösen Werke, voran die herrlichen

Holzreliefs, wären ohne Byzanz undenkbar. Ost- wie Weststrom: beide stellen eine fruchtbare Synthese zwischen Antike und Christentum dar, wenn auch jedes auf seine eigene Weise. Als Bewohner des gleichen Kulturbodens, aber auch aus uralter Verwandtschaft, und nicht zuletzt über die lebendig verbliebene Wirksamkeit von Byzanz steht der Südslawe der Antike näher, als allgemein angenommen wird. Manches an Mestrovies Gestalten mutet antik an; seine Pläne südslawischer Heiligtümer und Nationaldenkmäler sind jedenfalls Ergebnisse desselben Bodens und desselben Geistes, der auch die Antike gebar.

Der Zug ins Riesenhafte, ins Monumentale bei MeStrovic ist nicht Krafttraum eines Schwächlings, denn Löwenstärke ist dem werkdurchglühten Leibe, dem ringenden Herzen, den schaffenden Fäusten eigen. Alles an ihm ist lebendige Kraft, und Gottes schwerer Segen wird auf mächtigen Schultern ausgetragen zur befreiten Gebärde des Aufrechtstehenden (seine Karyatiden), der sein Antlitz verklärt zur begnadenden Gottheit hinhebt, um im Werk das Zeitliche zu überdauern.

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