6728211-1965_40_10.jpg
Digital In Arbeit

ABGESANG AUF DAS PFERD

Werbung
Werbung
Werbung

Du mit dem Bück eines Kindes und der Kraft eines Riesen, wie liebten wir dich! Welch ein Stolz, durften wir Knirpse dein Leitseil halten, gar: durften wir dich an der Halfter nehmen! Mütterliche Sanftmut, sähest du auf uns herab, ein Gulliver der Güte. Was für ein lebend-bebender Mut, dir auf flacher Kindeshand Brot zu reichen und deine Lippen zu fühlen, kosender, warmer Samt! Welcher Aufblick dann zu den Großen, welch Aufatmen und welches Selbstgefühl, war das kunsthafte Wagnis gelungen!

Einmal schenktest du mir ein heroisches Bild. Im Ort waren — noch kaiserliche! — Soldaten, und plötzlich flog einer an unserem Fenster vorbei, wahrhaftig, er flog mehr als er ritt. Auf glänzendem Rappen ein Husar, und unweit von uns auf einem Hügel hielt er; Der Reiter hatte sich in den Bügeln aufgerichtet, das Pferd schien im Sprung zu verharren, weit spähten sie hinaus, beide aus einem Guß und also ein Wille zur mutigen Hüterschaft für Kaiser und Reich. Abgewandelter Zentaur war dieses Husaren büdnls, beseelter, würdiger, edler als der hellenische Fabelkämpfer und in den Farben des Tuches und im Glanz der Rüstung unsagbar prächtig.

Ich war noch klein, aber lange konnte ich mich von Schönheit und Gewalt dieser Erscheinung nicht lösen. In der Volksschule lernte ich später das Lied: Ich hob' mein Roß verloren, mein apfelgraues Roß. Es war so treu im Leben, kein treueres wird es geben im ganzen Zug und Troß.

Sogleich sah ich neben dem Apfelschimmel meinen Husarenrappen auf der Kampfstatt, beide gefällt, und eine große Wehmut stieg in mein Gemüt.

In meinem sechsten Jahr nahm mein Vater für eine Znaim-fahrt einen Fuhrmann auf. Das waren, hin und heim, acht Stunden Reise, und vor Erwartung klopfte mir das Herz. Während Vater und Mutter Einkäufe besorgten und wir uns die 6Chöne Stadt besahen, fand ich keine Ruhe. Für die Rückfahrt wollte ich den Kutscher bitten, er möge sein Amt an mich abtreten. Beharrlich verschwieg ich das große Anliegen, fürchtend, es würde zuviel Gelegenheit sein, es mir auszureden. Erst als wir wieder vor dem Wagen standen, sprach ich es beklommen hin. Welche Gnade! Freundlich lächelnd stimmte der Kutscher zu, wies mich auf seinen Platz, setzte sich daneben und übergab mir Leitseil und Peitsche. Dieses Ergriffensein! Einem Herrschenden war das Zepter gereicht worden. Wie großartig erst benahm sich der Fuchs! Alles tat er, auf daß meine junge Fuhrmannsvollmacht nicht zu Schanden würde. Er wich links aus, er fuhr rechts vor, er fiel hügelab in leichten Trab, und an Straßenkreuzungen schritt er wie selbstverständlich den zielführenden Weg. Fast keiner Hilfe des benachbarten Meisters bedürfend, saß ich auf meinem Herrensitz, und ohne Zweifel schien es, ich und kein anderer lenke das fremde Gefährt durch den reichen südmährischen Sommer.

In den Bürgerschuljahren ging ich in den Nachbarort zum Onkel. Ich striegelte und bürstete den Braunen, ich tränkte ihn, ich stand an der Futtertruhe und mengte nach Maß Hafer und Häcksel, ich säuberte gewissenhaft jeden Morgen den Stall und streute frisches Stroh. Aus einem befreundeten Haus holte ich einen Fuchs, und tagelang schritt ich hinter dem Zwiegespann im Göpelkreis, völlig hingegeben dem Dienst an den Tieren, deren Zucht und Demut über alles Lob erhaben war. Vom frühen Dämmer bis zum Abendlicht mußten sie Runde um Runde die kreisende Übersetzungsstange queren. Sie taten es mit bedachtsamen Hufen, wenn nötig, klug die Schritte kürzend, und kaum einmal in Vorsicht und Sorgfalt erlahmend.

Hohes Vertrauen war es, durfte ich Klee holen. Auf dem Acker wendete ich, strängte den Braunen aus, warf ihm seinen Kotzen über, mähte zwei Arme voll und trug sie ihm hin. Sodann mähte ich die Mahden hinüber, blau und grün sank der Klee rauschig über die blitzende Schneide, und sobald ich ihn zuhauf gegabelt und gerecht hatte, lud ich. Hatte ich daheim dann vor dem Haus die „Rait“ genommen und, abgestiegen, das Tor geöffnet, nahm ich, rücklings stehend, mit der Rechten die Halfter, mit der Linken die Wagenstange, und der Braune schritt an. Weder Torflügel noch Mauern streifend, zogen wir hallend durch die Einfahrt, und mit Schillers „Räuber“-Spiegelberg glaubte ich, eine Armee in meiner Faust zu fühlen. So machtvoll erschien mir das Tier und darum fast unglaubhaft, daß es dem Knaben gehorchte. Eine große glückhäfte Bewährung kam von ihm, doch nie die Lust zum Mißbrauch seiner Fügsamkeit. Wir empfanden einander als Gefährten. Ließ ich es auf dem Haugsdorfer Marktplatz, dem Wagen vorgespannt, stehen und ging ich in etliche Geschäftshäuser, blieb es wohl eine Weile ruhig, doch bald stellte es, durch mein Säumen und fremde Schritte gescheut, die Ohren, sah in die Richtung der Türen, darin ich verschallen war, und wieherte erregt, wieherte vor Angst, ich könnte es verlassen haben. Bis heute habe ich das dunkle Schüttern im Ohr, in Ton und Rhythmik völlig anders als der feurige Rosseruf, und es ist ergreifend, daß dasselbe Tier, das den größten Schmerz stumm erträgt, im Verlangen nach dem menschlichen Kameraden Sprache gewinnt. Und was für eine Sprache! Frage, Klage und Furchtgeständnis.

Beim Einfahren der Ernte war eine Art Hausgesetz zu erfüllen. Die Weiterfahrt von einem Korn-Neuner zum anderen durfte weder durch einen heftigen Anruf noch durch heftiges Leitseilschnellen bewirkt werden. Man hatte das Pferd aufmerksam anzusehen, Begütigendes zu sagen, an der Halfter zu nehmen und somit bedacht zu weisen. Nichts sonst durfte geschehen. Wollte das Roß von sich den schwerbeladenen Wagen jäh aus dem Stand lösen, hatte man es zurückzuhalten. Nach dem Beispiel des Onkels brachte ich es bald zu-weg: Der Braune neigte sich nach meinem Halftergriff achtsam in Kummet und Strängen vor, schritt langsam an, ein wohl steiles, doch meisterliches Crescendo begann zwischen Kräften und Lasten zu spielen, und ohne Hast und Prall, ohne Schaden für Tier und Gerät gewann die Fuhre volle Fahrt.

Eines tat mir leid um das Pferd und um meine Fuhrmannsfreude: Der Onkel, unverehelicht, mit seiner Schwester wirtschaftend, sah seinen „sterbenden Hof“ voraus und fuhr darum mit schlichtem Geschirr. Seinem Roß fehlte unter anderem an der Halfter die Namensscheibe. Ich aber hätte gern an Zaum, Kummet und Gurten alle Messingscheiben, so einem Einspänner zustanden, eifrigst versammelt und sie gewiß öfter als nötig geputzt, und dies würde so kein Glänzen und Gleißen geschaffen haben! Als ich den Onkel kleinlaut um den Ankauf des Schmuckes bat, sagte er — nicht nur an diesem Tag Münchhausens Vetter —, er habe der Tausender so viele, daß er die Futtertruhe damit füllen könnte, doch wer würde die Pracht und Herrlichkeit jahrüber mit Glanz versehen, wo ich eben nur in den Ferien zur Hand sei. Wehmütig mußte ich von meinem funkelnden Traum Abschied nehmen.

Ein gutes Dutzend Jahre darnach stieß mich auf einer Wanderschaft durch das Pulkautal eine Erscheinung, wie ich vorerst glaubte, zurück. Da stand ein schmucker Brauner vor seinem Wagen, voll und gepflegt geschirrt, und auf seiner Halfterscheibe war zu lesen: „Alois Schiferl.“ Doch war es weder Spuk noch Posse, es hatte seine Richtigkeit, denn darunter stand: „Pernersdorf Nr. 39“. Mein gleichnamiger Vetter, seines Zeichens Kaufmann, war in den letzten .Jahren auch Landwirt geworden und hatte nun, was ich nicht wußte, Pferd und Wagen. Stürmenden Schrittes trat ich in sein Geschäft und dankte ihm heftig für die unverhoffte, späte Erfüllung einer großen Bubensehnsucht.

Einmal mußte mich der Onkel um vier Uhr wecken. Sehen wollte ich, wie sich das Pferd erhebt. Im fahlen Morgen schlichen wir zur Stalltür, öffneten leise und traten ein. Diese Bereitschaft! Dieser Gehorsam! Hellen Auges schon hatte der Braune das Haupt erhoben, richtete sich wallender Mähne eifrig auf die Vorderbeine und schnellte kraftvoll hernach hinten empor, wobei die vorerst geringer gegliederten ruhenden Massen über polternden Hufen fügsam ins Gleichgewicht flössen. Wie erst Werdendes gewann sie ihre schönen Maße und ein Schweben, dessen Wucht Tritte und Gelenkelaut überzeugend offenbarten. Schier eine Art Nachschöpfung hatte sich vor mir vollzogen im Dunkel des Stalles, im Dämmer der Frühe.

Gelobt der Tag, an dem ein Wagen vom Nachbar geholt werden mußte und eine Strecke zu reiten war. Welch lebendige Rhythmen trugen einen! Welch Fülle blutnahen Lebens! Unter einem die Straße, die Steige, die Menschen! Erhöht war man, unvergleichlich, ritterlich! Aber erst die farbigen Reiter zum Bischofsbesuch und die geschmückten Hochzeitspferde vor den bänderwehenden Landauerwagen! Diese bunte Seide an Schläfen und Schweifen, diese bastverflochtenen, tief wallenden Mähnen! Und das Weinfuhrwerk! Schwere Kummete mit rotgoldenem Tuch und prächtige Flausenriemen, voller Funkelscheiben und Knöpfeglanz! Überhaupt: die vielen Zwiespänner! Zwei Füchse in federnder Kraft, Anmut und Schimmer, wehende Mähnen, schlagende Schweife, die schmeidigen Hälse stolz geschwungen. Dieses Schnauben und Auf werfen der Köpfe! Dieser forsche Kameradenschritt! Dahinter auf breit ausladenden Leiterwagen, hemdärmelig, der stämmige Knecht und sein melodienhüpfender Peitschenschall. Und erst das tagelange Klingeln der Leseglocken im reichen Oktober! Die dunklen sangen am Kummet, die hellen an den Seitenblättern. Und das sparsame, um so feierlichere Schlittenläuten über seltenem, kostbarem Schnee!

Das waren die Zeiten der Brüderschaft zwischen Mensch und Tier, da die Rosse im Stall schon wieherten, wenn sie den Bauer vom Kirchgang heim auf der Straße reden hörten. Ein Pferd, dessen Herr „liegerhaftig“ geworden war, mußte Tag für Tag an das Stubenferister geführt werden. Fragend „juchezte“ es hinein zu dem todkranken Mann, in Freude und Ratlosigkeit, und war nur wider Willen in den Stall zurückzubringen. Die seltsame Trennung konnte es weder verstehen noch verwinden.

Dann kamen furchtbare Jahre für viele Pferde. Von Lehm und Schlamm verkrustet, zogen Vierer-, auch Sechsergespanne, zitternd vor Anstrengung, schwere Geschütze durch die polnischen Wälder. Über Heiden, Sand und Sümpfe ging es, und das Letzte nach Erschöpfung und Niederbruch war am Straßenrand der Gnadenschuß. Dieselben Pferde waren es, die bishin nichts gekannt hatten als die strengbehütete Geborgenheit der Bauernställe. Einem war von seinem Herrn das beste, ihm angemessene Kummet mitgegeben worden. We nigstens im Zug sollte es, konnte man ihm schon sonst nicht beistehen, nicht unnötig dulden müssen. All diesen Pferden wurde beim Einrücken von den Hausleuten wehmütig nach gesehen, nachgesehen wie scheidenden Menschen, mit nassen Blicken. Und viele Bauernsöhne, im Troß, im Geschützvolk dienend, stahlen für ihre Rosse Hafer und Heu und Klee, und viele Vorgesetzte übersahen, was um sie geschah.

Unzählige Leidensstationen waren damals der wehrlosen Kreatur aufgesetzt, eine riesige grauenvolle Antipodenland schaff zu den wunderbaren Denkmälern, die schöpferfrohe Ehrfurcht und kunstreiches Wort errichtet hatten: in Bin-dings „Reitvorschrift für eine Geliebte“, in Saltens „Florian“ in Björnsens bezwingender Erzählung von einem prachtvollen Rappenhengst und in den mythisch-dunklen „Urban-Roitner-Rossen“ der Bodmersdorf.

Wie viele Motive erst schenkte das Roß den bildenden Künsten: den einsamen Pflüger auf gekrümmtem erdschwarzem Schollenfeld, über sich den halben Himmel, unter sich die ganze Erde, die hohen Kornfluchten der Erntewagen in den glanzrauchenden Staubsäulen des Sommers; Stute und Fohlen auf der Weide, Behütung und Behagen in grünblauem Jahr, beredsam wie Menschenglück. — Und die Reiterstandbilder und die Reiterstatuetten! Wer könnte in aller Welt sie zählen! Heute setzt der Traktor, der Caterpillar das Gemüt des Knaben in Brand. Uns Alten bevölkern milchweiße und eisengraue Schimmel, Füchse, Braune, Rappen, Schecken und Falben die kindseligen Weiden unwieder-holbarer Erinnerungen.

Immer, wenn ein Tier untergeht, beginnt eine neue Menschenzeit. Als unsere Urväter der Menschenlist innewurden, jagten sie ganze Wildpferdsippen über Felsstürze. Um die zerschmetterten Tiere feierten sie ihr Fest.

Heute fahren „fromme“ ausgediente Rosse, enggepfercht und darbend, waggonweise durch halb Europa zu einem Schlachten, das böser ist als jenes der Vorzeit, geschieht es doch kaum aus Hunger. Es geschieht aus dem Gelüst am Gewinn. — „Ganze neue Weltalter“, sagt Christian Morgen-sterin, „wären nötig, damit die Menschen sühnen könnten, was sie in Jahrtausenden den Tieren angetan haben.“

Ein kleiner Immortellenstock fand sich auf der schuttigen Halde des Menschengefühls, schlicht Blühendes, scheinbar unwirklich wie eine Sage, aber Historie mitten in der Gegenwart: Wiener Frachtfuhrwerker stellten für weitere Dienste die Bedingung, wie bisher mit Rossen fahren zu dürfen...!

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung