Das Leben als Ablenkung vom Tod

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Gabriele Kögl erzählt vom verpfuschten Leben einer Frau, die ihrer eigenen Welt verhaftet bleibt

Mutter-Suchbilder aus der Perspektive der Söhne und Töchter sind als Topoi aus der Literatur der letzten Jahre nicht mehr wegzudenken. Ganz anders nähert sich die gebürtige Steirerin und nun in Wien lebende Autorin Gabriele Kögl diesem Thema. In ihrem neuen Buch Mutterseele haben wir es mit dem Monolog einer Frau zu tun, die selbst über ihr Leben räsoniert. Wie in ihrem erfolgreichen Roman "Das Mensch" hat sie die Handlung auch diesmal wieder im bäuerlich dörflichen Milieu verankert.

Unglücklich und verhärmt

Eine durch und durch unglückliche und gleichermaßen verhärmte Mutter wendet ihren Blick zurück auf ein verpfuschtes Leben, in das sich die Härte so tief eingegraben hat, dass keine Regung, keine Emotion sie aufzutauen vermag. Wie große Trümmer mit scharfen, spitzen Scherben liegen die Geschichten da, die von ihrer ersten Liebe, dem ledigen Kind und dessen späterem Freitod erzählen, oder von der Tochter, die eigentlich einen Tierarzt hätte heiraten sollen, es aber vorgezogen hat wegzugehen und Schauspielerin zu werden. Aus der Retrospektive erscheint ihr das eigene Leben wie eines von vielen vor ihr gewesenen, gelebt in derselben Spur, im selben Rhythmus. Wie selbstverständlich ist sie in die Fußstapfen der Altvorderen getreten, doch die Jugend weiß nichts mehr von der unausgesprochenen Solidarität.

Seit sie alt ist, zappeln vor allem auch existenzielle Fragen in ihrer Gedankenwelt: "Und bleibt man einmal stehen, nur einen Augenblick stehen, und schaut sich das in Ruhe an, dann kommt man drauf, wie sinnlos dieses Gewurle ist, weil man irgendwann drin liegt in der Truhe." Kögl bedarf nicht vieler Worte, um das Lebensgefühl dieser Frau ("Das ganze Leben ist eine Ablenkung vom Tod.") und die Enge ihrer Haltung lakonisch und treffend auf den Punkt zu bringen. Unbarmherzig krümmen sich entlarvende, aber auch bestechend klare Einsichten in so manchen Schocker-Sätzen dieser Frau.

Mit seinen unzähligen Enttäuschungen hat das Leben viele Ecken und Kanten in ihre Gefühlslandschaft geschlagen. In ihr spiegelt sich aber nicht nur das restlos zusammengeschrumpfte Glück einer Frau, die nie weit herumgekommen ist und schon deshalb dem Fremden nicht trauen kann, sondern auch der Zusammenprall diametraler Lebensvorstellungen ihrer und der nächsten Generation: "Wie die Welt sich verändert hat, ... dass wir Alten nicht mehr mitkommen mit dem, wie die Jungen denken." Während sie sich stets über andere definiert und besser dastehen will als diese, bedeuten ihrer Tochter diese Hierarchien nichts. Die Chance auf einen höheren gesellschaftlichen Status im Dorf hat sie nicht genützt, was ihr die Mutter nie verzeihen kann. Stattdessen stellt sie kritische Fragen, wohnt in einer fremden Stadt in Kellerlöchern und tritt in unmöglichen Stücken auf.

Subtiler Neid

Und da ist noch die nach Amerika ausgewanderte Tochter ihrer Schwägerin. Waltraud und ihr Wurzelschlagen in den Staaten. Alternierend zum Blick auf das eigene Leben zieht sich dieser thematische Strang als fixe Reflexionsschleife durch den Text. Der anfängliche subtile Neid wächst sich im Laufe der Zeit zu regelrechter Erleichterung über das Misslingen dieser Expedition aus.

Klischees, Klischees

Kögl ist es in diesem Buch gelungen, die Reibeflächen zwischen Liebe und Verletzung, zwischen Enttäuschung und hohl gewordenen Werten transparent zu machen. Klischees drückt sie dabei aus, dass es eine Freude ist. Ohne den Mythos vom Eigenen und Fremden neu zu spinnen, wird in diesem Mutter-Blues das latent Pathologische in den Vordergrund gerückt. Kögl arbeitet subtil, ironisch und lässt mit der Raffinesse der Pathoslosigkeit die changierenden Facetten der Aus-und Aufbrüche vor dem Hintergrund einer engen Gedankenflucht souverän offenkundig werden. Aber nichts ist unversöhnlich, deshalb heißt es auch am Schluss: "Schwamm drüber, nach so langer Zeit."

Mutterseele

Roman von Gabriele Kögl

Wallstein Verlag, Göttingen 2005

156 Seiten, geb., e 16,50

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