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Das Schweigen der Heiligen Nacht

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Es war ein Abend, wie jeder Abend war, der heraufstieg aus der weiten Wüste jenseits des Toten Meeres. Die Sonne verleuchtete wie immer über dem Mittelmeer, eine Weile noch glühte leise die kahle Bergwand Moabs 1 im Widerschein des Abends. Der Herodesberg hob sich eine Weile hoch und dunkel vom sonnverklärten Hintergrund der Ferne ab. Dann kam die Nacht. Die Sterne traten einer nach dem andern an ihren Platz, wie sie es immer getan. Schafe und Rinder, Kamele und Esel drängten sich in die Ställe. Nur irgendein verfallener Stall knapp vor den Toren der Bergstadt blieb zufällig leer. Eigentlich auch nicht. Ein verarmter Häusler trieb Ochs und Esel in das verfallene Gemäuer, von dem die Leute sagten, es sei einst ein Schloß des Königs David gewesen. Es könnte doch ein Unwetter kommen in der Nacht.

Aber die Nacht war friedlich und ruhig.’ Die Hirten, unter freiem Himmel geboren und groß geworden, immer umfangen vom scheinbar regellosen Spiel der Natur, wußten, die Nacht werde schön bleiben. Und so blieben sie auf dem Felde. Die Schafe kauerten sich zusammen, als um die zweite Nachtwache die kühle Meerluft über den El Arkub herüberstrich, und kauten wieder, was ihnen übertags die mageren Hänge an Futter, boten.

Das Weideland der Hirten lag weitab von der Landstraße. Sie wußten kaum etwas von der großen Zählung am kommenden Tag. Was haben Hirten mit kaiserlichen Erlässen zu tun? Nichts stört die liebe Armut ihrer Einsamkeit. Die Hirten konnten auch jiicht die vielen Fremden kommen sehen, die an jenem Tage in die halbvergessene alte Davidstadt des Zensus wegen einzogen. Es gab viel zu schauen an jenem Tag für die Bethlehemiten. Irgendwann, schon gegen Abend, ist mitten unter den Karawanen ein tilles Ehepaar den Berg heraufgestiegen, der Mann alt und schweigend, die Frau jung und in sich gekehrt. Aber man hat ihr Kommen nicht .weiter bemerkt. Nur einige Frauen gewahrten, daß das junge Weib seiner Stunde entgegensah, und schauten einander wissend in die Augen. Das war aber nichts Besonderes. Und das Mitleid, das in ihnen aufstieg, 'hatten sie mehr mit ihrem Geschlecht überhaupt und mit sich, und es ging bald unter; neue und vornehmere Fremde, schon in Sorge um einen Platz in den Herbergen, erschienen im Bogen des Stadttores.

Wer in jenem Lande war, weiß, daß die Orientalen halbe Tage lang an den Stufen eines Hauses Zusammenhocken können, schweigend und neugierig das Kommen und Gehen der Fremden betrachtend.

So wird es auch an jenem Abend gewesen sein. Was hätte geschehen müssen, daß diese Menschen aus ihrem müden Gleichmut aufschrecken?, Wieviel Lärm hätte Gott schlagen müssen, wollte Er von den Menschen bemerkt werden? Gott kam in jener Nacht. Aber Er kam nicht da, wo am meisten zu sehen war und wo es am lautesten zuging, er kam in einem Winkel eines verfallenen Gemäuers vor den Toren der Stadt zur Welt, er kam in der stillsten Stille der Nacht. Wer dachte in jener Mitternacht an den Stall vor den Toren? Die harmlosen Hirten allein wurden von Engeln zur Krippe gerufen. Wußten sie um das Geheimnis? Staunend, verstört starrten Mensch und Tier in die Zauber und Rätsel jener Nacht.

Der Abstand Gottes von dem höchsten Seiner Geschöpfe ist unendlich größer als der Abstand des Menschen von seinem nächsten Nachbarn in der Schöpfung, vom Tier. Mit demselben blöden Auge sahen Mensch und Tier an jenem Abend am Kommen Gottes vorbei. Wohl lag das allgemeine Wehe und Weinen, der Schöpfung auch in jener Stunde auf allem Leben. Wohl wußte der Mensch eher ein Wort für dieses Weh als sein stummer Nachbar, das Vieh. Die alten Seher des Volkes waren ausgestorben. Wohl trugen gerade damals angesichts der offenbaren Knechtschaft des Volkes die Besten schwer daran, daß der große Erwartete, der Gesalbte, immer noch nicht erschien. Als Er aber kam, sahen sie alle in die gefehlte Richtung.

Was uns am Geheimnis jener Nacht immer wieder ergreift und erschreckt, ist die Lautlosigkeit, mit der dieses größte Ereignis der Geschichte in die Welt tritt. Es liegt ein unendliches Schweigen um die heilige Stunde jener Mitternacht. ,,Dum medium silentium tenerent omnia et nox in suo cursu medium iter haberet, omnipotens Sermo tuus, Domine, de caelis a regalibus sedibus venit“, heißt es im Introitus des Weihnachtssonntags. „Als alle Dinge in der Mitte des Schweigens standen und die Nacht in ihrem Lauf die Höhe erklommen hatte, kam Dein allmächtiges Wort, o Herr, vom Königsthron des Himmels.“ So ist Gott in diese Welt gekommen. Das ist Sein ewiges Gleichnis. So kommt Er immer wieder zu den Menschen und zur einzelnen Seele. Heute wissen wir die Tatsache.

Wissen wir auch um das Geheimnis?

Wir Menschen müssen Lärm schlagen, süßen, lieblichen Lärm um dieses Schweigen, damit die Menschen es merken, das Schweigen jener Nacht, und so versinkt das Schweigen und sein Geheimnis in unserem Lärm.

Ewige Pläne des Dreieinigen wurden wirklich, damals, als alle Dinge in der Mitte des Schweigens standen. Das „Tauet Himmel den Gerechten" war erfüllt und sollte versinken im Schweigen jener Nacht. Es lärmte weiter. und lärmt weiter über Krippe und Kreuz hinaus bis zum heutigen. Tag. Schließlich nahm die Menschheit, der die Ohren tosten vom eigenen Geschrei, 500 Jahre darnach die Stille jener Mitternacht zur Kenntnis und wußte, daß es nur einen Mittelpunkt dieser Weltzeit gibt, eben jene stille Stunde um Mitternacht, und daß alle Jahrtausende vor jener Stille nur ein Warten auf sie waren und alle Jahrhunderte darnach nur einen Sinn haben, wenn sie als Jahrhunderte nach Christi Geburt erkannt sind. Aber das Schweigen jener Mitternacht ist weiterhin selten vernommen und verstanden worden. Kann alles Große nur aus dem Schweigen kommen, dann kann das Große Gottes, das den Menschen aufgegeben ist, nur im Schweigen erfaßt und verwirklicht werden. So hat Gott Sein Werk eingeführt in die Welt. Er hat ihm damit das Gesetz Seiner Wirksamkeit mitgegeben.

Bethlehem in jener Nacht ist ein ewiges Gleichnis.

Verstehen wir das Gleichnis? Wir wollen die Taten Gottes mit Fanfaren verkünden, weil wir Angst haben, es könnte das Schweigen Gottes, überhört werden in der Welt. So wird das Schweigen Gottes wirklich überhört. Gott aber kommt nur im Schweigen, das Kommen Gottes in jener Mitternacht ist ein ewiges Gleichnis. Das Kommen Gottes, werden wir immer sagen, wurde übersehen, weil Er so stille kam. Wir wollen verhüten, daß die Menschensünde jener Nacht von Bethlehem sich noch einmal wiederhole, wollen verhindern, daß Gott je einmal noch so' übersehen werde wie in jener Nacht. Und so wiederholt sich das Schweigen jener Nacht auch nicht, Gottes Schweigen, aus dem der Erlöser stieg. Die alten Mysterienspiele klagen die Bethlehemiten an, und Prediger auf tausend Kanzeln wollen es erzwingen, daß nie die Sünde der Bethlehemiten wiederkomme. Wir alle schlagen Lärm, daß Gott nie wieder übersehen werde wie an jenem Abend.

Aber Gott wollte im Schweigen der Mitternacht kommen. Das Gesetz Seines Kommens bleibt. Das Kommen jener Nacht ist Sein ewiges Gleichnis. Gerade die, die Ihn heute hungernd im Schweigen ihrer Seele erwarten, horchen auf — jede Seele ist naturaliter Christiana — und überhören Sein Kommen, weil wir lärmen. Oder sie schütteln das Haupt und wollen nicht glauben, daß Gott mit Fanfaren und in Staatskarossen in die Welt und in die Seelen einziehen soll. Und wir meinen, wir müßten noch mehr Lärm schlagen, damit Gott nicht überhört werde. So wird das Kommen Gottes wirklich überhört. Das Schweigen jener Nacht ist ein ewiges Gleichnis Gottes.

Wenn die Machthaber dieser Erde und die Großen einziehen in ihr Reich, dann bereiten ihnen die Menschen einen Empfang. Da wird schon Monate vorher vorbereitet. Alles verläuft dann programmgemäß. Als das Wort Gottes von seinen ewigen Sitzen in diese Welt herniederstieg, kam es unangekündigt und ohne Programm. Ein paar Hirten knieten schweigend vor dem Futtertrog, in dem das Kind lag. Das war alles. Das übrige Bethlehem lärmte und zechte in den Gasthöfen und Karawansereien. Der Empfang entfiel. Jahrhunderte darnach erst gewahrte das die Menschheit und meinte, sie hätte eigentlich etwas versäumt. Das wäre nachzuholen.

Wir kündigen mit großen Worten unsere Pläne und so auch die Pläne Gottes, für die wir einstehen, an. Mit weithin hörbaren Feierlichkeiten kündigen wir- sie an. Heere von Menschen ziehen auf und bekennen sich zum Programm des Reiches Gottes. Der Rundfunk trägt alles bis in die letzte Almhütte. Alle sollen mitbekennen und mitschwören. Nachträglich fragen wir, wie wir die großen Reden und die Pläne Gottes eigentlich durchführen können. Das ist so unsere Art. Und Gottes Ehre wird durch unsere Art und unseren vorlauten Eifer zuschanden in der Welt. Und wir haben das so wenig gewollt. Wir trauern darüber. Wir kennen das erst, wenn es zu spät ist.

Das Kommen Gottes in jener Nacht zu Bethlehem bleibt eben ein ewiges Gleichnis. Gottes -Art wird an ihm offenbar. Und wer für Gott rufen will in dieser Welt, muß nach Gottes Art schauen lernen und Gott bitten, Er möchte uns sagen, wie Er kommen will. Gottes Pläne kommen leiser als auf Taubenfüßen. Seine Gedanken sind nicht unsere Gedanken und Seine Wege nicht unsere Wege, und so hoch der Himmel über der Erde ist, stehen Gottes Gedanken über dem natürlichen Denken des Menschen. Wollen wir aber Seine Werke tun, dann müssen wir sie mit Gott und damit in Seiner Art vollbringen. Dazu gehört die weite, freie, stille Feinhörigkeit, um zu erfahren, von wannen Er kommen Will. Wer kennt Gottes Pläne und wer ahnt Gottes Kommen!

Wie kann auch nur Gott so in die Welt kommen? Er setzt sich selbst in den Schatten, und die Menschen haben die Ausrede, sie hätten Ihn nicht sehen können. Sie werden schuldig, ohne es zu ahnen. Er kommt in einem vergessenen Städtchen eines verachteten Landes zur Welt. Kaum geboren, steht Sein Name in den Listen der römischen Untertanen. Er kommt als Kind herbergsloser Wanderer zur Welt, wer soll da wissen, daß Sein Thron in Ewigkeit feststeht und daß Seines Reiches kein Ende sein wird? Die Schriftausleger schliefen und die Priester und der Hohepriester schliefen ahnungslos in jener Nacht. Wer will ihnen einen Vorwurf machen? Sie standen frühmorgens auf und deuteten die heiligen Visionen der Propheten auf die lauten Ereignisse des Tages.

Wie frei, wie offen, wie betend müssen wir werden, daß wir Ihn nicht versäumen, wie hirteneinsam muß unser Schweigen sein, soll es das Schweigen Gottes hören! Wir hören Gott nicht, wenn wir in den Lärm des Tages horchen, und predigen Gott nicht, wenn wir Ihm mit Tageslärm die Wege bereiten wollen. Ein einsamer .Beter, der sein Wehe in schweigende Gottergebenheit vergräbt, bereitet vielleicht die Wege Gottes mehr als eindrucksvolle

Kundgebungen mit vielen Namen, die dann tags darauf in allen Zeitungen stehen. Gott kommt so merkwürdig programmlos in die Welt und so ’ ganz ohne laute Feierlichkeit. Das Himmelreich ist nahe, und die Menschen, die es mitgründen wollen, wissen es nicht. Erst 400 Jahre nach jener stillen, unfeierlichen Nacht wagt der große heilige Augustinus, nachträglich die Linien aufzuzeigen, in denen das Reich Gottes vorbereitet wurde und in denen es geworden ist. Dazwischen lagen keine lärmenden Siegeszüge, dazwischen lag das Dunkel der Katakomben und eine dreihundertjährige Verfolgung. Merkwürdige Siege Gottes! Wie ganz anders denken wir Menschen sie! Wie ganz anders planen wir Menschen! Wie anders verkünden wir!

Bethlehem in jener Heiligen Nacht ist ein ewiges Gleichnis. So kommt Gott immer wieder in Seine Welt.

Zukomme uns Sein Reich!

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