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Digital In Arbeit

Die Scliriftstellerlcompanie

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Kurz nach meiner Ausbildung als Soldat der US-Army wurde ich in das Armeefilmstudio nach New York versetzt, das Instruktionsfilme herstellte. Die Szenarios zu diesen Filmen wurden von der Schriftstellerabteilung geliefert, die im gleichen Haus untergebracht war und eine der seltsamsten Einrichtungen darstellte, die ich während meines Dienstes bei der Armee traf.

In dieser Schriftstellerabteilung waren ungefähr fünfzig Schriftsteller angestellt. Ich mußte einmal eine Liste von ihnen allen für den Sergeant abtippen und kannte daher die Namen von allen. Aber ich konnte mich nicht erinnern, jemals ein Buch von einem dieser Schriftsteller gelesen zu haben. An einem Samstag-nachmittag nahm ich die Liste in die öffentliche Bibliothek in der 42. Straße mit und schlug die Namen in alphabetischer Reihenfolge in der Kartothek nach. Nur einer von ihnen hatte ein Buch veröffentlicht. Ich notierte mir den Namen des Buches, ließ mir das Buch bringen und setzte mich hin, um es zu lesen.

Es war ein richtiges Buch — es war auf Papier gedruckt und hatte einen Umschlag — es war sogar eine Erzählung, aber es war die langweiligste Erzählung, die ich je gelesen habe. Ich las zwanzig Seiten vom Anfang, zehn vom Schluß und zwei in der Mitte, aber es war langweilig, wo immer ich das Buch aufschlug.

Ich war neugierig, was für eine Sorte von Schriftstellern das war. Im ganzen Land gibt es keine fünfzig Schriftsteller, die man lesen kann, aber auf der Dienststelle waren sie — fünfzig Mann hoch, die alle irgendein Zeug für die Regierung schrieben. Ich sah auch den Schriftsteller, der das Buch veröffentlicht hatte, aber er war weder sehens- noch hörenswert. Er war allerdings sehr elegant, ebenso wie die übrigen neunundvierzig. Es waren die elegantesten Burschen, die ich je gesehen habe. Sie sprachen die ganze Zeit 4iber Bücher und Theaterstücke, und jeder hatte über alles, was je geschrieben worden war, etwas Kluges zu sagen. „Wenn man Shakespeare auf den Grund geht“, sagte einer von ihnen, „was findet man? Einen Plagiator, einen Routinier, einen Nichtdenker.“ Und sie nahmen sich einen Schriftsteller nach dem andern vor und zerpflückten sie alle.

Ich beobachtete sie immer und bemühte mich, daraufzukommen, was diese Burschen eigentlich waren, aber ich war nie im klaren über sie.

Diese Kerle waren die größten Patrioten, denen ich je begegnet bin — auf jeden Fall die einzigen Burschen beim Militär, die drauf erpicht waren, aus den Japanern ein Ragout zu machen und aus den Deutschen einen Hackbraten. Die meisten von ihnen waren schon zwei Jahre auf dieser Dienststelle, und einige hatten die Absicht, hier alt zu werden — sie hatten sich in ihren kleinen Villen draußen auf dem Land häuslich eingerichtet. Sie kamen morgens mit ihren Wagen in die Stadt herein und fuhren abends wieder hinaus. Sie machten nie Kommisdienst wie wir übrigen, denn sie hatten ja genug Streifen, um davon enthoben zu sein. Manchmal arbeiteten sie auch zu Hause, und in diesem Fall waren sie eine oder zwei Wochen lang überhaupt nicht zu sehen.

Ihre militärische Beschäftigung, der sie sich mit viel Wichtigtuerei widmeten, bestand im Schreiben von Entwürfen und Drehbüchern für Instruktionsfilme. Anfangs hatten diese Filme Spezialfragen zum Gegenstand, wie das Abschießen oder Putzen eines Gewehrs, aber als dieser Stoff sich langsam erschöpfte, gingen sie zu den mehr künstlerischen Aspekten des Soldatenlebens über. Sie zeigten einem, wie man jemanden mit den bloßen Händen umbringt, oder wie man dem Tod furchtlos ins Auge blickt.

Sie waren in diesen beiden Tätigkeiten kolossal tüchtig — voll Mordlust, erfüllt von Haß auf die dreckigen, kleinen, gelben Japaner und die feigen Deutschen, und von einem bewundernswerten, übermenschlichen Mut angesichts des Todes. Aber sie fuhren abends immer nach Haus, und wenn alle andern nach Ubersee eingeschifft wurden, schrieben sie weiter ihre Szenarios für Filme, die jeden andern dazu ermunterten, dem Tod wie einem Szenarioschreiber entgegenzutreten.

Sie hatten es nicht gern, wenn jemand die Deutschen oder die Japaner für menschliche Wesen hielt. Wenn jemand ganz naiv die Frage an sie stellte, wann s i e einmal nach Ubersee gehen und mit dem Feind einen kleinen Zusammenstoß haben wollten, sagten sie, sie hätten sich jahrelang darum bemüht, aber der Militärarzt der Station sei dagegen, wegen ihrer Fistelbeschwerden, oder ihres Magens, oder wegen ihrer Augen Oder sie sagten, der Kommandant der Station führe einen ständigen Kampf mit ihnen, damit sie bei ihren Schreibmaschinen blieben, weil seiner Ansicht nach ihre Arbeit auf dieser Dienststelle für den Krieg hundertmal wichtiger sei, als wenn sie ein Gewehr in die Hand genommen hätten. Oder sie selbst behaupteten, daß ihre Arbeit mehr zur Vernichtung des Feindes beitrage als die Aktion einer ganzen Division Soldaten.

Es war uns vorgeschrieben, die Filme anzusehen — obwohl sie auf der Station selbst, vor unserer Nase, gedreht wurden —, aber nur die Szenarioschreiber verließen den Vorführungssaal befriedigt und angeregt. Wir übrigen waren alle ein bißchen scheu und verlegen vor so viel Tapferkeit, wie sie in diesen Filmen zutage trat, oder ein bißchen angeekelt von diesem Anschauungsunterricht, der uns beibringen sollte, wie man einem Menschen ein Auge ausdrückt; wie man ihm in den Unterleib oder ins Gesicht schlägt; wie man ihm das Genick, das Rückgrat oder den Arm bricht; oder ihn mit dem Bajonett aufspießt, um dann, als ob nichts gewesen wäre, kehrt zu machen und einem verängstigten, armen, kleinen Kameraden das Leben zu retten, den ein großer, dicker Deutscher gerade erwürgen will; und wie man sich dann, nachdem man dem Deutschen das Genick gebrochen hat, dem kleinen Kameraden zuwendet, den Ann schützend um ihn schlingt und ihm sagt: „Du siehst,

Sam, es ist weiter gar nichts an der Sache — und wir tun es, um das Recht zu haben, zu sagen, was wir wollen, zu tun, was wir wollen, und hinzugehen, wohin wir wollen. Willst du eine Zigarette?“

Niemand, außer den Schreibern selbst, war von diesen Geschichten überzeugt, und so tapfer alle im Film auch sein mochten, die Kameraden, die nach Ubersee transportiert wurden, hatten früher oder später in ihrem Herzen eine schwache Stelle für die armen Soldaten des Feindes, denen immer die Augen ausgedrückt und das Genick gebrochen wurde. Solche Dinge stoßen einen ab. Wenn jemand wirklich von einem Burschen erwartet, daß er solche Dinge tue, wird sich der Bursch mit Recht fragen, ob es nicht irgendwelche andere Mittel gäbe, um den Krieg zu gewinnen. Die Kriegsanstifter müßten irgendeine halbwegs menschliche Prozedur vereinbaren. Wenn alles den Händen entglitte und beide Seiten unfähig wären, mit diesen häßlichen Dingen Schluß zu machen, könnten sie vielleicht den Krieg abblasen und statt dessen eine Münze springen lassen.

Ich muß wirklich sagen, daß das Zeug, das diese Schriftsteller produzierten, das einzige Resultat hatte, meine Achtung vor dem Gegner zu erhöhen. Ich merkte, daß ich den Feind jenseits des Ozeans langsam vergaß. Ich gewöhnte mich daran, diese Schreiberlinge als den wirklichen Feind zu betrachten — als eine Gefahr, die uns wahrscheinlich auch nach dem Kriege belästigen und bedrohen würde. Ich weiß nicht, wer oder was einen Krieg gewinnt, aber ich habe den Eindruck, es sind die Burschen wie Victor Tosca, der sich auch etwas anderes wünscht, als ein tapferes Herz zu haben, oder wie Joe Foxhall, der alles haßt, was mit Militär und Krieg zusammenhängt, oder wie Harry Cook, der seine Ruhe haben will, um sich das. Leben so einzurichten, daß er nicht alt wird, und sich hinlegt und einschläft und nicht mehr aufwacht, oder wie die Millionen anderer Burschen, die ich nicht kenne und nie kennen werde, die in die Kriegsmaschine hineingeraten und getötet werden oder ein bißchen Glück haben und halbwegs o. k. davonkommen. Wenn man mit dem Kino den Krieg gewinnen kann, müßte man ihn wohl auch mit dem Kino verhindern können. Und die Kinos haben zwanzig Jahre Zeit gehabt, diesen Krieg zu verhindern. Man macht ihn, indem man die Männer dazu zwingt, eine Armee aufzubauen und Krieg zu führen, aber vielleicht irre ich mich. Ich weiß nur, daß sie mich geholt haben, und sie haben auch fast alle anderen geholt, denen ich in der Armee begegnet bin. Es war ein nationaler Notzustand, das ist richtig, aber ich kann mich nicht erinnern, daß ich dazu beigetragen habe, diesen Notzustand herbeizuführen — und niemand hat mich gebeten, mitzuhelfen, diesem Zustand vorzubeugen, solange Zeit dazu war. (Aus dem Werk „Die Abenteuer des Wesley Jackson', Alfred-Scherz-Verlag, Bern.)

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