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Die Gedichte von Catarina Carsten thematisieren Schönheit, Bedrohung, Hoffnung, Glaube und Zuversicht.

Es sind zwanzig Jahre ins Land gezogen, seitdem sich Liebhaberinnen und Liebhaber der Poesie zum letzten Mal über einen Gedichtband von Catarina Carsten aus dem Salzburger Otto Müller Verlag freuen konnten. Damals, 1988, waren Carstens Gedichte unter dem Titel „Meine Hoffnung hat Niederlagen“ mit einem Motto aus der Feder von Günter Eich – „Ich schreibe, um mich in der Wirklichkeit zu orientieren“ – in diesem Salzburger Verlag erschienen.

Brücke zurück

Die Berlinerin Carsten, seit 1964 Wahlsalzburgerin und mit ihrem Mann und ihrer Familie in ihrem geliebten „Castello“ nahe der Stadt Salzburg angesiedelt, hatte vorerst bei Otto Müller auch ihre verlegerische Heimat gefunden. Dann aber folgten lange Jahre, in denen Carstens Lyrik und ihre Prosaarbeiten von der Wiener Edition Doppelpunkt betreut wurden: drei Gedichtbände, fünf Erzählbände, autobiographische Skizzen, Kindergeschichten für Erwachsene und Erinnerungsprosa.

Ist es ein geheimes Zeichen, dass das letzte Gedicht der genannten Sammlung „Meine Hoffnung hat Niederlagen“ vor zwanzig Jahren jenen Gedanken zum Ausdruck bringt, der die Brücke schlägt zum nun wieder im Otto Müller Verlag erschienenen Band „Noch ist es Zeit. Engel. Marien und Heilige“? Damals konnte man lesen:

Aus dem Tal des Todes kommend,

steige ich langsam auf

in die unsagbare Wirklichkeit, […]

mit meinem schweigenden Engel, […]

die offenen Wunden verbunden

von einer Stimme, die Du sagt.

Dieser Stimme und meinem Engel

geb ich das Ja-Wort

immer wieder.

An anderer Stelle hieß es damals schon programmatisch:

Schlage dich auf die Seite der

lichten Kräfte.

Steh ihnen bei im Kampf:

Schulter an Flügel.

Mehr kannst du nicht tun.

Es ist viel.

Der neue Lyrikband setzt dort fort, wo der frühere geendet hat – mit Beschwörungen und Lobliedern auf etwas, mit dem die Dichterin lichtes Engelhaftes assoziiert, engelhafte „Flügelschläge“, die die Angst bannen helfen, tiefe Ruhe versprechen, Überwinden, Vertrauen, Sicherheit und Freude signalisieren.

Wer seid ihr, dass ihr mich

– eben noch von Angst geschüttelt –

in diese tiefe Ruhe versenkt,

in der, noch unsichtbar,

die Freude wohnt und das Gelingen.

Die Berge werden leicht zu bewegen sein,

die Meere trockenen Fußes zu durchschreiten.

Wer ihr auch immer seid:

Ich vertraue euch

und nenne euch Engel.

Etwa 600 Gedichte stammen bisher aus der Feder von Catarina Carsten. Deren gemeinsames poetologisches Fundament, das vorsichtig-sensible Verhältnis zum Wort, hat die Autorin – in Abwandlung bekannter Überlegungen Ilse Aichingers – schon sehr früh, zu Beginn ihrer lyrischen Spracharbeit, folgendermaßen formuliert: „Nichts ist leichter, als einem Wort zu misstrauen. Nichts ist leichter, als über einem Wort verrückt zu werden. […] Aber mit Misstrauen ist nichts getan. Mit Vertrauen alles. […] Man muß mit Vor-Sicht an die Worte herangehen. Wie man Eis im März betritt.“

Die Autorin ist auf sprachliche Kürze und größtmögliche Einfachheit bedacht, Schönheit, Bedrohung, Hoffnung, Glaube und Zuversicht sind immer wieder Anlässe, sich damit auseinanderzusetzen oder, wie es poetisch heißt: „Auf schwankender Sehnsuchtsfährte / Erstarrter Sicherheit fern, / irrt der Jahrtausendfremde / zwischen Rose, Chimäre und Stern.“

Ohmacht und Vertrauen

Auch der neue Gedichtband ist dieser Sprach- und Themenarbeit verpflichtet und bietet in vier, klar und klug geordneten Kapiteln hauptsächlich religiös grundierte Gedichte.

Das erste Kapitel „Wer seid ihr?“ versammelt Gedichte, die diametral gegensätzliche existentielle Erfahrungen wie Ohnmacht, Sprachlosigkeit, Depression und Schmerz sowie Vertrauen, Schutzsuche und Sicherheit, Hoffnung und Rettung, Beschwörung des Gelingens, Überwindung von Angst und Bedrohung, Glücksbedürfnis und Erfüllung in Bildern von „dunklen und lichten Engeln“, Schutz- und Traumengeln, zu fassen und zu vermitteln suchen. Plötzlichkeit („mit einem Flügelschlag bei mir“, „mit einem Flügelschlag kommst und gehst du“), Schönheit („Glanz von Sternen“, „edelsteinschön“, „mit tausendäugigen Schwingen“), aber auch die konkrete Verkörperung als „Engel von Basel“, der seine verwirrte Frau pflegt und so „aus der Bibel [tritt], jeden Tag, / mit jahrtausendealten Augen“ sind Erscheinungsformen des Engelhaften.

Verzweifelte Nachfrage

Im zweiten und dritten Teil des Bandes („Ein letzter Blick“ und „Oh Mensch, lerne tanzen“) werden biblische und Heiligengestalten, biblische Szenen und Vorkommnisse sowie künstlerische Darstellungen zu Anlässen des poetischen Lobpreises und der liebenden Vergegenwärtigung, aber auch der zweifelnden und verzweifelten Nachfrage.

Du herzzerreißender Sanftmütiger, […]

Wo bist DU,

die Welt zu erlösen,

die nach DIR schreit.

Ganz besonders schön ist das Bild eines neuen Menschen – gewidmet dem Tag des „Heiligen Augustinus“, dem 28. August:

Den Tanz aber,

der den Menschen befreit

von der Schwere der Dinge,

hat er gelobt wie kein anderer.

Nur eines von vielen berührenden Exempeln für Carstens sprachliche Treffsicherheit und Blick für die fast Vergessenen der Kirche: Über Vinzenz von Paul (1581-1660), das „Bauernkind der Gascogne“, heißt es:

Einer mit dem uralten

Adel des Herzens,

ein Anwalt der Güte.

Auserwählt unter vielen:

Gott hat ihn aufs Herz geküsst.

Immer sind es sehr kompakte sprachliche Gebilde, auch im vierten und abschließenden Teil der Sammlung, der das Titelgedicht enthält: „Noch ist es Zeit“, ein Gedicht gegen die „schlafende Vernunft“, eine Allegorie der Zeit, die „im Bannkreis gegen das Böse“ für die Liebe betet – eigentlich der geistige Kern des gesamten Bandes.

Dieses vierte Kapitel umfasst Gedichte, die einen weiten Horizont aufmachen: etwa die Suche nach Gott und das Verlangen nach Gotteserfahrung, die Wahrnehmung der Wunder der Schöpfung und die Wunder der Errettung, Gebete und Bitten um Barmherzigkeit angesichts des Nichts, die Wahrnehmung von Leid und „das dröhnende Schweigen Gottes“ – Hiob. Und immer das Bewusstsein vom Nicht-Wissen-Können: „Nicht einmal der Tod / gibt auf präzise Fragen / präzise Antwort.“ Oder: „Fall auf die Knie / ins Dunkel. / Hier ist nichts und niemand. // Oder doch – ?“

Hier stehen auch aufrüttelnde und kritische Gedichte gegen eine unbarmherzig und hoffärtig gewordene Kirche: „Eines Tages / wirst du aufbrechen, / barfuß wie am Anfang“ oder

Was wäre, wenn Er jetzt käme,

auf bloßen Füßen, im nahtlosen Rock. [ …]

Er würde fliehen und sagen

„Mein Reich ist nicht von dieser Welt.“

Es scheint so, als hätte der Verlag nach 20 Jahren etwas Besonderes für Catarina Carsten tun wollen. Denn es ist nicht selbstverständlich, dass dieses Bändchen ein so vorbildlich gestaltetes Buch geworden ist – in so guter Papierqualität und mit herrlichen, abgetönt farbenprächtigen Illustrationen von Doris Pacher: Stillleben, biblische Motive, Haus- und Stadtansichten, eine Laterne – zeichenhaft.

NOCH IST ES ZEIT

Engel, Marien und Heilige

Gedichte von Catarina Carsten

Mit einem Umschlagbild und Illustrationen von Doris Pacher

Otto Müller Verlag, Salzburg 2007

127 Seiten, geb., € 18,-

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