7115088-1996_12_17.jpg
Digital In Arbeit

Unterm grünen Hut

Werbung
Werbung
Werbung

Wenn man - so wie ich - tagtäglich mit den Sorgen und Nöten von Bürgerinitiativen und kleinen Gemeinderatsfraktionen konfrontiert ist, und sieht, wie die roten und schwarzen Ortskaiser in Niederösterreich regieren und millionenteure Schildbürgerstreiche in Gemeinderäten durchgeboxt werden, dann denkt man unweigerlich an die Geschichten aus dem polnischen Dörfchen Chelm. In diesem Dörfchen trifft nämlich ein „Weisenrat" in seltener Ahnungslosigkeit und beispiellosem Selbstbewußtsein alle Entscheidungen, die dem Bürgermeister notfalls auch von seiner Frau diktiert werden. Einmal beschließt man, Rahm ab sofort als Wasser zu bezeichnen und umgekehrt, weil sich Frauen über den fehlenden Rahm vor den Feiertagen beschweren, ein anderes Mal wird ein frecher Karpfen zum Tod durch Ertrinken verurteilt - vorher muß ihm noch ein großes Becken für die Zeit der Untersuchungen gebaut werden, und jimmer wird lange geredet, gegessen, getrunken ...

In Niederösterreich passieren natürlich so verrückte Dinge nicht. Da gibt es zwar eine Schule in Sol-lenau, bei der kein Kind aus dem Fenster sieht, weil die in über zwei Meter Höhe eingeplant wurden (der Bürgermeister begrüßt es, daß die Kinder endlich nicht mehr abgelenkt sind, beim Lernen ...); da gibt es Städte wie Neunkirchen, die mitten im Wohngebiet mit einer Müllverbrennungsanlage beglückt werden sollen (der Bürgermeister stimmt dann in der Gemeinde gegen diese Anlage, als Landtagsabgeordneter dafür) und in manchen Gemeinden sorgt sich der Verkehrsausschuß eher um die Flüssigkeit des Durchzugsverkehrs als um die Lebensqualität der Anrainer.

Oft gelten Oppositionsparteien noch immer als persönliche Beleidigung der Regierenden im Ort, vielleicht weil sie bei Rechnungsabschlüssen mitunter sechsstellige Rechenfehler entdecken. Und noch immer sitzen viele Mandatare als „Fraktionsfüller" im Gemeinderat, die ihre Arbeit im „Händeheben auf Kommando" erfüllt sehen. Demokratie will eben auch gelernt sein.

Fast 300 grüne und Bürgerlisten-gemeinderäte in ganz Niederösterreich sind für die etablierten Gemeindekaiser eine harte Schule. Manche lernen schnell: der Wiener Neustädter Bürgermeister Peter Wittmann hat die grünen Verkehrspläne lückenlos inhaliert und als sein Verkehrskonzept unter dem Titel „Sanfte Mobilität" präsentiert.

An vielen Stellen bröselt die „Mir san mir - und mir san die mehran"-Mentalität auch in Niederösterreich. Immer dann nämlich, wenn Mehrheiten merkbar gefährdet sind, Mandate und damit Parteiengelder purzeln. Kürzlich gelang es einer Bürgerinitiative (die bei den letzten Gemeinderats-Wahlen auf Anhieb sieben Mandate erreicht hatte) gegen die geplante Müllverbrennungsanlage in Zistersdorf elf Bürgermeister zur Zusammenarbeit unter einen „grünen Hut" zu bringen. Elf Bürgermeister, die offenbar erkannt haben, daß sie sehr schnell zwischen Basis-Unmut und Landes-Interessen aufgerieben werden könnten.

Die Autorin

ist Pressesprecherin der NÖ-Grünen

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung