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Wahlrechnung mit einer Unbekannten
Der „heiße" Gemeinde-ratswahlkampf.in Wien soll 1983 erst nach dem Papstbesuch beginnen. Nur ein Monat Wahlkampf? Zweifel sind berechtigt - bei dieser Ausgangslage.
Der „heiße" Gemeinde-ratswahlkampf.in Wien soll 1983 erst nach dem Papstbesuch beginnen. Nur ein Monat Wahlkampf? Zweifel sind berechtigt - bei dieser Ausgangslage.
Wirklich einig scheinen sich die Parteien in Wien fast nur über den Termin der nächsten Gemeinderatswahl zu sein: Bürgermeister Leopold Gratz hat den 16. Oktober 1983 als voraussichtlichen Wahltermin genannt—und alle sind damit einverstanden. Damit wird der „heiße" Wahlkampf erst nach Papstbesuch und Katholikentag Mitte September ausbrechen.
Konkrete Wahlziele wollen die Politiker ein knappes Jahr vor dem Urnengang nicht nennen. ÖVP-Vizebürgermeister Erhard Busek will sich „nach oben keine Grenze setzen" und hegt „ein Gefühl der Hoffnung, stärker zu werden". Ebenfalls auf eine Stärkung ihrer Position hoffen die Wiener Freiheitlichen, die über die Ungerechtigkeit des Wiener Wahlrechts klagen, das ihnen bei sieben Prozent der Stimmen nur drei Prozent der Mandate, nämlich drei von hundert Sitzen, zuerkennt.
Tiefer legt man sich die Latte bei der SPÖ, für die Landesparteisekretär Günther Sallaberger und Klubobmann Rudolf Edlinger unisono darauf hinweisen, daß schon das Halten des letzten Ergebnisses ein Erfolg wäre.
Seit 1978 sitzen im Wiener Gemeinderat 62 Sozialisten (vorher 66), 35 ÖVP-Mandatare (vorher 31) und unverändert drei Freiheitliche. Sind bei den Wahlen 1983 große Umwälzungen zu erwarten?
Laut Edlinger ist die „fixe Lagermentalität im Abnehmen". Er befürchtet, daß die bereits 1978 geringe Wahlbeteiligung (was damals besonders der SPO schadete) sogar unter 70 Prozent sinken könnte: „Die Mehrheitspartei wäre davon klarerweise stärker betroffen."
Außer der Wahlbeteiligung ist die allfällige Kandidatur einer „grünen" oder „alternativen" Liste die große Unbekannte. Alle etablierten Parteien rechnen mit so einer Kandidatur, geben ihr aber nur dann Chancen, wenn sich die „Alternativen" einig und geschlossen und mit zugkräftigen Personen an der Spitze präsentieren können. Den Einzug in den Gemeinderat, also die Uberwindung der Fünf-Prozent-Hürde, traut man einer solchen Gruppierung kaum zu, wohl aber den in einzelne Bezirksvertretungen.
FPÖ-Mann Hirnschall ist davon überzeugt, daß der Erfolg der Salzburger Bürgerliste nur durch das Fehlen einer Opposition ermöglicht wurde, während in Wien gerade in wichtigen Grün-Fragen mit Erfolg konsequente Oppositionspolitik betrieben wurde (Steinhof gründe, Flötzersteig-Schnellstraße, Salzstreuen): „Ich wüßte nicht, was eine grüne Partei hätte anders machen können."
Die Themen Grün und Umwelt werden nach allgemeiner Meinung auch in erster Linie den Wahlkampf beherrschen, dazu natürlich die Fragen des Wohnens, der wirtschaftlichen Entwicklung, der sozialen Sicherheit und der Arbeitsplatzsicherung. Die FPÖ will auch auf eine andere Prioritätensetzung im öffentlichen Verkehr hinarbeiten, konkret Bevorzugung der U-Bahn-Linie 6 vor der U 3.
Als besondere Leistungen seiner Partei in den letzten vier Jahren hebt Edlinger den Ausbau des U-Bahn-Grundnetzes und die Errichtung der Donauinsel als Erholungsgebiet im Stadtgebiet hervor. Die ÖVP ist stolz darauf, daß sie die Sozialisten in Zugzwang gebracht, ihnen gewisse Themen aufgezwungen hat. Die FPÖ sieht in ihrer Kontrollarbeit ihre größte Leistung.
Fragt man die Politiker, welche Leistungen ihrer Gegner sie anerkennen, ist meist große Pause. Nur Erhard Busek nennt spontan die Verbesserung der Kulturpolitik, die „offener, pluralistischer" geworden sei, Hirnschall registriert in diesem Bereich nur „mehr Betriebsamkeit". Für Hirnschall hat die SPÖ bei praktisch jedem Großprojekt die „Kette ihrer Fehlleistungen" fortgesetzt und Skandale produziert. Edlinger gesteht der ÖVP zu, „mehr Bewegung" in die Stadt gebracht zu haben, „freilich mit Methoden, die ich nicht akzeptieren kann", bescheinigt der FPÖ aber die konstruktivere Oppositionspolitik.
Der FPÖ wirft Busek auch „Hilfsdienste für die SPÖ" vor, was diese heftig bestreitet und der ÖVP wiederum Gelüste zu einer neuen Rathauskoalition nachsagt. Edlinger wieder erklärt die ÖVP für „nicht paktfähig, weil deren Chef eine unberechenbare Politik der bunten Hunde betreibt". Der zweite Landtagspräsident, Fritz Hahn (ÖVP), meint dagegen, man könne mit den Sozialisten nur mehr über wirtschaftliche Fragen reden — über sonst nichts mehr.
In einem Jahr wird man weitersehen. Daß die SPÖ Stimmen verlieren wird, signalisieren nicht nur Meinungsumfragen (bei den Jungwählern soll die ÖVP besonders gut liegen) sondern auch die vorsichtigen Aussagen der SPÖ-Spitzenleute: Bis zum Halten des letzten Resultates sei es „ein weiter Weg", erklärt Edlinger, und Sallaberger räumt ein: „Wir werden uns sehr anstrengen müssen."
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