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„Austausch“ in der Herrengasse

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Das „Kabinett Figl II“ hat im bis zu allerletzt hat so mancher nicht Lande unter der Enns mit der Ar- daran geglaubt — peinlich genau beit begonnen. Vergangene Woche ein, es wurden auch ein paar noch trat der neue niederösterreichische recht vitale Mandatare nicht mehr Landtag zu seiner konstituierenden aufgestellt, weil sie die an sie ge- Sitzung zusammen. Sie stand im stellten Erwartungen nicht erfüllt Zeichen der großen personellen hatten. Die jüngste Mannschaft im Wachablöse. Fast könnte man von ÖVP-Klub stellt der Bauernbund — einem kleinen niederösterreichi- von seinen 15 Abgeordneten gesehen Wunder sprechen. hören dem Team neun zum ersten

Die als relativ konservativ gel- Male an. Jüngster Volksvertreter im tende Volkspartei im Lande unter niederösterreichischen Landhaus ist der Enns hatte fast die Hälfte ihrer allerdings ein ÖAAB-Mann, der Abgeordneten „ausgetauscht“. Man 29jährige ÖJB-Führer Kurt Buchin- hielt nicht nur die Altersgrenze — ger.

SPÖ-Umgruppierung erst in fünf Jahren

Ein bedeutend größeres Beharrungsvermögen wiesen diesmal im Lande unter der Enns die sozialistischen Abgeordneten auf. Unter den 25 Mandataren befinden sich nur fünf neue, und das, obwohl man die Altersgrenze ebenfalls genau einhielt. Eine größere Umgruppierung der Mannschaft wird erst in fünf Jahren fällig werden. (Bis zu den nächsten Landtagswahlen werden alle drei sozialistischen Regierungsmitglieder die Altersgrenze erreichen.) Bedeutendster Vertreter der neuen SPÖ-Abgeordneten im niederösterreichischen Landhaus ist der 38jährige Landesparteisekretär Fritz Marsch aus St. Pölten.

Landeshauptmann Figl hat den jungen Abgeordneten im Regionalparlament in seiner ersten Erklärung vor dem Hohen Haus schon einige Vorschußlorbeeren entgegengebracht: „Wir hoffen, daß nicht nur die Gesichter neu sind, sondern daß auch manche neue, junge Ideen die Arbeit in der gesetzgebenden Körperschaft des größten österreichischen Bundeslandes bestimmen werden.“

Nun, die Bluttransfusion wird dem Landtag sicher gut tun, wenn man auch die Anforderungen an die „Jungen“ nicht gleich zu hoch schrauben darf, schließlich müssen sie sich an die Luft in der Wiener Herrengasse erst gewöhnen.

Das Revirement machte diesmal auch vor dem Landtagspräsidium nicht halt. Erstmals in der Geschichte des niederösterreichischen Landtages schieden mit Ende einer Legislaturperiode alle drei Präsidenten aus dem Hohen Haus. Der bewährte erste Präsident, Bürgermeister Tesar aus Annaberg, sein sozialistischer Amtskollege, Bürgermeister Wondrak, Stockerau, und Ökonomierat Milliner aus Kilb stellten aus Altersgründen ihre Mandate zur Verfügung. Der Zufall wollte es, daß für die Wahl des neuen Präsidiums wieder zwei Bürgermeister — einer von der Rechten, einer von der Linken — und ein Bauer vorgeschlagen wurden. Als erster Präsident amtiert nun der Landwirt Leopold Weiß (61 Jahre) aus Lassee, als zweiter der sozialistische Bürger

meister von Wiener Neustadt, Rudolf Wehrt (ebenfalls 61 Jahre), und als dritter, der erst 38järige Bürgermeister von Zistersdorf, Ferdinand Reiter.

Auch ein neuer „Finanzminister“

Nicht nur der Landtag, auch das neue Kabinett Figl hat eine Verjüngung erfahren. (Von den sieben Sechzig jährig en wurden zwei durch Vierzigjährige ersetzt.) Die Landesräte Hilgarth (ÖAAB) und Waltner (Bauernbund) haben aus Altersgründen ihre Regierungssitze Jüngeren überlassen. Die landwirtschaftlichen Agenden im Kabinett hat der Kam- merfunktionär und Bauerbundführer Andreas Maurer (45 Jahre) aus Trautmannsdorf an der Leitha übernommen. Überraschenderweise wurde zum Nachfolger Hilgarths als „Finanzminister“ des Landes nicht der energische ÖAAB-Abgeordnete Franz Stangler (53 Jahre), sondern sein Fraktionskollege Roman Resch (42 Jahre) aus Krems nominiert. (Stangler bleibt jedoch Obmann des Finanzkontrollausschusses, wurde neuer Klubchef der ÖVP-Abgeord- neten und soll sich weiterhin intensiv Rundfunkfragen widmen.) Der neue Landesrat Roman Resch — nomen est omen — hat den Beruf eines Maschinenschlossers erlernt und ist bereits mit 35 Jahren zum Zentralbetriebsobmann der Newag avanciert. Er liebt ernste Musik, gilt als energischer und konsequen-

ter Politiker der jüngeren Generation und als treuer Gefolgsmann des Newag-Präsidenten und ÖAAB- Obmannes Viktor Müllner.

An der sonstigen Zusammensetzung der Landesregierung hat sich nichts geändert: Dem „Landesvater“ Leopold Figl stehen als Stellvertreter wieder Kommerzialrat Rudolf Hirsch, 61jähriger Schuhmachermeister aus Stockerau, und Dr. Otto Tschadek, 60jähriger Exjustizmini- ster, zur Seite. Die sozialistischen Landesräte Emil Kuntner (62 Jahre, Schulwesen) und der ebenfalls 62jährige Emmerich Wenger (Sozialwesen) bleiben auch auf ihren Posten.

Mehr als ein Regiefehler?

Die nach der Geschäftsordnung vorgesehenen Wahlen in der konstituierenden Sitzung des neuen Landtages verliefen fahrplanmäßig. Landeshauptmann Figl und seine Stellvertreter wurden wieder einstimmig gewählt, da man die Regierungsverhandlungen positiv abgeschlossen hatte. (Zu nennenswerten Verschiebungen in den Kompetenzen der beiden Landtagsfraktionen war es verständlicherweise nicht gekommen, weil ja die Wahlen dieselben Mehrheitsverhältnisse gebracht hatten. Dem Regionalparlament gehören wieder 31 ÖVP- und 25 SPÖ- Abgeordnete an.)

Leider endete did Sitzung, die so feierlich begonnen hatte — die ÖVP-Abgeordneten waren mit neuen Klubabzeichen, die SPÖ-Abgeordne- ten mit roten Nelken im Knopfloch erschienen — mit einem Mißton. Nach einer kurzen Erklärung von Landeshauptmann Figl (die Regierungserklärung erfolgt erst am 3. Dezember), in der er ein Bekenntnis zur Zusammenarbeit ablegte („Differenzen können sich nur auf den Weg, niemals auf das Ziel beziehen.“), hielt Landeshauptmannstellvertreter Dr. Tschadek eine längere Rede, die von den ÖVP-Abgeordneten als Provokation empfunden wurde. Im ersten Teil seiner Erklärung gab Dr. Tschadek den ÖVP-Mandataren sozusagen eine „Schulstunde“ in Sachen Demokratie, wobei er ihnen vorschrieb, wie

sich die Mehrheit zur Minderheit zu verhalten habe. Seine Anspielungen auf die Situation in den dreißiger Jahren riefen in den Reihen der Volksparteiabgeordneten begreif-

licherweise einige Erregung hervor. Der zweite Teil der Ausführungen hörte sich wie eine Regierungserklärung der „Opposition“ an.

Hier eine Kostprobe aus der Tschadek-Rede, jene Stelle, die offensichtlich nicht gerade zur Besserung des Klimas im niederösterreichischen Landhaus beitrug. Der sozialistische Landeshauptmannstellvertreter betonte, daß die Mehrheit nicht berechtigt sei, ein Diktat gegenüber der Minderheit auszuüben. (Erregte Zwischenrufe aus den Reihen der ÖVP-Abgeordneten.) Doktor Tschadek wurde noch deutlicher: Das Jahr 1932, in dem in Österreich eine ganz schwache Parlamentsmehrheit die Spielregeln der Demokratie gegen die starke sozialdemokratische Minderheit mißachtet und eine Diktatur aufgerichtet hat, habe gezeigt, wohin eine solche falsche Einstellung zur Demokratie führte. Österreich habe diese Sünde Wider den Geist der Demokratie mit sechsjähriger Unfreiheit, siebenjährigem Verlust der Eigenstaatlichkeit und zehnjähriger Besetzung durch fremde Mächte bezahlen müssen

Starker Beifall von der linken, eisiges Schweigen von der rechten Reichshälfte waren das Echo auf die Rede des sonst so konzilianten Landeshauptmannstellvertreters.

Die Morgengabe, die die SPÖ dem Kabinett Figl II mit in die Ehe gegeben hatte, war nach Schluß der Sitzung Gegenstand einer erregten Debatte im ÖVP-Klub. Wenig später gab Abg. Stangler für die ÖVP- Fraktion im Pressedienst der Partei die Erklärung ab, daß „Landeshauptmannstellvertreter Dr. Tschadek mit dieser Illoyalität und Extra

tour der künftigen Arbeit im niederösterreichischen Landtag keinen guten Dienst erwiesen habe“.

Der kleine Schock, den einige ÖVP-Abgeordnete erlitten haben

dürften, war um so verständlicher, da doch die Regierungsverhandlungen relativ friedlich verlaufen waren. Im Gegensatz zu Burgenland und Wien herrschte eine betont

sachliche Atmosphäre, und man einigte sich über kleine Kompetenzverschiebungen zwischen den einzelnen Ressorts ziemlich schnell. Das eindeutige Wahlergebnis — die Wähler bestätigten ja nur den Sta-

tus quo — ließ freilich keine wesentlichen Verschiebungen zu. Die Sozialisten mußten daher wohl oder übel ihre Forderung nach dem Obmann des Finanzkontrollausschusses wieder zurückstellen. (Diese Schlüsselposition wäre von der ÖVP nur

nach einem Mandatsverlust abgegeben worden.) Trotzdem wurde der ruhige Verlauf der Regierungsverhandlungen als ein gutes Omen gewertet Man glaubte mit Recht, daß in Niederösterreich wieder ruhigere Zeiten einziehen würden.

Bleibt das „Erbe“ Olahs erhalten?

Der frühere Innenminister Franz Olah hatte vor nicht allzu langer Zeit dazu beigetragen, daß es im niederösterreichischen Landhaus zu einem Temperatursturz kam. Sein Slogan von der „schwarzen Volksdemokratie in Niederösterreich“ ist bekannt. Die Absetzung des der Volkspartei angehörenden Sicherheitsdirektors des Landes unter der Enns, die Versetzungen von Beamten und manches andere hatte zu schweren Differenzen zwischen ÖVP und SPÖ in Niederösterreich geführt. Im Zentralorgan der SPÖ, das damals Olahs Politik voll und ganz unterstützte, wurde Figl als „Landvogt“ bezeichnet. In der spannungsgeladenen Atmosphäre des niederösterreichischen Landhauses führte schon der kleinste unüberlegte rhetorische Funke zur Explosion. Kein Wunder, daß es in diesen Tagen nicht selten Kampfabstimmungen gab.

ÖVP-Abgeordnete — Männer, die keineswegs als Exponenten des rechten Flügels in der Volkspartei gelten — fragen nun besorgt: Bleibt uns im Landhaus das Erbe Olahs erhalten? War die Rede Dr. Tscha- deks nur eine kleine Disharmonie oder war sie die Ouvertüre für die Fortsetzung der „harten Gangart“?

Nicht zum Fenster hinausreden

Demokratie ist zwar Diskussion, aber sie darf nicht in endlose Plänkeleien ausarten. Im niederösterreichischen Landhaus ist im letzten Jahr schon genug zum Fenster hinausgeredet worden, weil die beiden Parteien in manchmal recht unwesentlichen Dingen stundenlange Dispute führten. In Niederösterreich gabt es aber keine Zeit zu verlieren. Es gilt, -„das Augenmerk den wirtschaftlichen und soziologischen Begleiterscheinungen eines Strukturwandels zuzuwenden, der sich in ganz Europa bemerkbar macht, der aber besonders bei uns in Niederösterreich an der Grenze zweier Welten spürbar ist“ (Landeshauptmann Figl). Es gilt, eine große Anzahl ungelöster Probleme zu meistern.

Vorerst muß der Landhaushalt für 1965 unter Dach und Fach gebracht werden. (Hier hat der neue Finanzreferent Resch seine „Feuerprobe“ abzulegen.) Vom Budget wird es schließlich weithin abhängen, wie weit die vordringlichsten Aufgaben erfüllt weiden können. Dazu gehören:

• die Ansiedlung von Industrien in den von der Abwanderung bedrohten Grenzgebieten;

• die Förderung und der Ausbau des Fremdenverkehrs;

• der Schulbau mit Blickwinkel auf das neunte Schuljahr gerichtet;

• die Behebung des Lehrermangels;

• die Wohnbauföfderung; .-a-- 1

• der Straßenbau;

• die Strukturverbesserung in der Landwirtschaft (Wegebau) und

• die verstärkte Nutzung der heimischen Wasserkräfte für die Energieversorgung. Schließlich müßten sich die Landesväter auch Gedanken machen über die dringend notwendig gewordene

• Sanierung der rund 20 Krankenanstalten im Lande unter der Enns. (Die Betriebsabgänge der niederösterreichischen Krankenhäuser betrugen im Jahr 1963 rund 102 Millionen, in diesem Jahr werden es voraussichtlich 116 Millionen Schilling sein.)

Im niederösterreichischen Landhaus wird man also neue Ideen und vor allem eine gute Atmosphäre der Zusammenarbeit brauchen.

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