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Chancen im „Figl-Land“

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Die Wogen in den Reihen der ÖVP Niederösterreichs haben sich seit der verlorenen Bundespräsidentenwahl etwas geglättet: Die Liquidation des „Rutsches“ hat beim jüngst abgehaltenen Landesparteirat begonnen. Die große Überraschung dieser ersten „Gewissenserforschung“ nach der verlorenen Schlacht: Auch in Niederösterreich — angeblich die Hochburg der „Konservativen“ — gibt es eine Erneuerungsbewegung innerhalb der Volkspartei.

Der Ausdruck „Reform“ ist in den obersten Parteikreisen des Landes unter der Enns allerdings tabu. Man will an-'tlerwitfcrmcl'Jiicht gerticiÄlsKoSBer-' vativ bezeichnet werden. Jxpressis vef“-bis erklärte Nationalrat Landespartei-sekretär Weinmayer: „Wir haben wenig Interesse, für Auseinandersetzungen zwischen den sogenannten Reformern und Konservativen. Die Lösung unserer Probleme ist nie in großen theoretischen Diskussionen erfolgt. Das mag primitiv erscheinen, aber es war erfolgreich.“ In einem Atemzug kündigte der Landesparteisekretär von Niederösterreich eine Überprüfung und Erneuerung des gesamten Führungskaders an. „Wenn die SPÖ bei den Landtagswahlen im kommenden Jahr die gleiche Stimmenanzahl wie am 28. April erhält, dann bekommt Niederösterreich einen roten Landeshauptmann!“ Diese vom obersten Parteimanager ausgesprochene Warnung macht eklatant, daß die „rote Gefahr“ den Druck für die Erneuerungsbewegung „von oben herab“ auslöst. Landeshauptmannstellvertreter und ExJustiz-minister Dr. Tschadek hatte ja am 1. Mai bereits erklärt, daß es mit der „Figelei“ in Niederösterreich bald vorbei sein werde. Eine derartige Entwicklung ist nach Meinung der ÖVP-Funk-tionäre — und hier werden sie recht behalten — denn doch nicht zu erwarten. Freilich ist es da notwendig, die Parteimaschine gründlich zu überholen. In Figls Hauptquartier hat man dafür folgenden Generalstabsplan erstellt:

In allen 25 Hauptbezirken des Landes unter der Enns sollen Konferenzen abgehalten werden, bei denen Landes-parteiobmann Figl selbst den Vorsitz rühren wird. Von hier aus sollen alle Parteileitungen — bis hinunter zum Ortsparteiobmann — überprüft werden, ob sie den kommenden Aufgaben auch gewachsen seien. Laut Weinmayer „böten sich nämlich überall junge Kräfte an, die die alten ablösen könnten“. Das Ziel dieser personellen Erneuerung ist es, Niederösterreich wieder zum Bollwerk der Volkspartei zu machen.

Der Boden muß präpariert werden

In der ÖVP-Niederösterreich ist man sich im klaren, daß bis zum Beginn des Wahlkampfes für die Landtagswahlen noch viel an Boden gewonnen werden muß. Man erinnert sich an die unermüdliche Kleinarbeit, die von den 24.000 Funktionären vor dem 18. November 1962 geleistet worden war: an die große Mitgliederwerbung, an die Jugendparlamente, an die Kontakte von Mann zu Mann, dann an den von langer Hand vorbereiteten Wahlkampf, in dessen Verlauf 1800 Wählerversammlungen abgehalten wurden und an die wirkungsvolle Werbung mit den zehn deutschen Tonfilmwagen, die vier Wochen lang von der Enns bis zur burgenländischen Grenze unterwegs waren. Turm in der Schlacht dieses Wahlkampfes war Landeshauptmann Figl, der allein 200 (!) Reden hielt. Die Ernte blieb nicht aus. Nieder-stejireiohsiimeldete i-eine'sgTOßaFtigtn ÖVPSiegr Das- erste Mal seit 19$ 5 konnte der sozialistische Vormarsch im Land unter der Enns gestoppt werden.

Die kalte Dusche bei den Präsidentschaftswahlen hat den Siegesrausch jäh beendet. Es gilt, von neuem mit der Aufbauarbeit zu beginnen, sollen die 31 Sitze der ÖVP im Regionalparlament — gegenüber 25 der SPÖ — gehalten werden. Ob ein Ausbau der ÖVP-Festung gelingt, hängt weithin von einem etwaigen Raumgewinn des ÖAAB ab.

Nicht nur „Bauernpartei“

Es ist keine Frage, daß sich gerade in Niederösterreich noch ein relativ großer Teil des Fußvolkes der Volkspartei aus der Bauernschaft rekrutiert. Der Bauernbund ist es auch, der in den obersten Gremien weiterhin den Ton angibt. Der ÖAAB hingegen fühlt sich nicht selten etwas an den Rand geschoben. Dabei ist es in Niederösterreich — wie übrigens auch in den meisten anderen Budesländern — nur der ÖAAB, für den es noch neues Terrain zu gewinnen gäbe. Beim Bauernbund und auch beim Wirtschaftsbund geht es iE erster Linie darum — klammert mar die Präsidentenwahl aus —, die bisherige Position zu halten. Die Agrariei im Land unter der Enns werden sogai noch einen natürlichen Substanzverlust infolge der Abwanderung hinnehmen müsseii. (Der Anteil der Tand- und forstwirtschaftlichen Bevölkerung an :1er Gesamtbevölkerung Niederösterreichs ist laut Volkszählung aus dem fahre 1961 von 29,5 Prozent [1951] auf 21,7 Prozent zurückgegangen.)

Die Zahl der Arbeitnehmer — hier sind auch die öffentlich Bediensteten zu nennen — ist dagegen bedeutend angestiegen. Der ÖAAB hätte also in den Industriezentren und in den aufstrebenden Städten noch ein weites Feld vor sich. Wahrscheinlich könnte er auch in manchen ländlichen Gebieten noch besser Fuß fassen, würde die ÖVP manchmal weniger profiliert als „Bauernpartei“ in Erscheinung treten. Ein Beispiel für die dominierende Stc“ung des Bauernbundes: Von den zirka 1600 Ortsparteiobmännern der ÖVP Niederösterreich sind 1200 Landwirte und von den 1200 ÖVP-Bürger-meistern gehören rund 1000 dem Bauernbund an. konnte der sozialistische Vormarsch im Land unter der Enns gestoppt werden.

Die kalte Dusche bei den Präsident- tJ £“ £. ' • t • • schaftswahien hat den Siegesrausch jäh jeder fünfte ist ein rensionist

Diese Überlegungen laufen nicht darauf hinaus, den Bauernbund in den Hintergrund zu drängen. Doch müßte man darauf Rücksicht nehmen, daß sich die Bannerträger einer echten Volkspartei aus breitesten Schichten des Volkes rekrutieren sollen. Ohne Zweifel ist gerade den Agrariern in Niederösterreich ein bedeutendes Mitspracherecht in den Führungsgremien der Volkspartei einzuräumen, zeigten sie sich doch im Gegensatz zu so manchem Standesgenossen in den Bundesländern für Flirts nach links oder rechts wenig ansprechbar.

Bei einem genauen Studium der Bevölkerungsstruktur von Niederösterreich haben die Strategen der Volkspartei freilich nicht nur die berufliche Gliederung zu berücksichtigen; sie müssen auch die altersmäßige Struktur ins Kalkül ziehen. Dabei fällt auf, daß jeder fünfte Niederösterreicher Pensionsbezieher ist.

Landesparteiobmann und Landeshauptmann Figl wird mit seinem Team bis zu den Landtagswahlen noch ein großes Stück Arbeit zu bewältigen haben. Vor allem muß ein schlagkräftiger Kader aufgestellt werden, der das

Vertrauen weiter Kreise der Bevölkerung zu erringen imstande ist.

Männer mit Grundsätzen!

Ein schlagkräftiger Kader — hier Sind natürlich nicht nur physisch vitale Männer, sondern vielmehr geistig rege Streiter gemeint. Es geht um die Mobilisierung jener Kräfte, die in ihre Führungsstellung nicht nur Taktik und Einfühlungsvermögen, sondern auch ein weltanschauliches Konzept mitbringen. Handelt es sich nicht bei der Erneuerung der Volkspartei vor allem darum, weltanschaulich und staatspolitisch eine klare Linie festzulegen? Wenn ein solch besseres und konsequenteres Programm aber nicht bloß papierener Wunsch bleiben soll, dann muß es von entsprechenden Persönlichkeiten in die Tat umgesetzt werden. Darauf kommt es an.

Auch in Niederösterreich ist der Prozentsatz der Politiker, die man mit Fug und Recht als christliche Persönlichkeiten bezeichnen kann, nicht besonders hoch. E i n Figl macht noch keinen Sommer! Wohl gibt es neben den wirklich katholischen Männern in der ÖVP noch eine Reihe kleinerer und größerer Mandatare, die christlich klingende Phrasen effektvoll vortragen können. Aber das ist zuwenig. Ein christlicher Politiker sollte Bescheid wissen über die christliche Soziallehre, über die christliche Auffassung von Staat und Wirtschaft, von Ordnung und Recht!

Unsere Gesellschaft ist voll von ungelösten Problemen. Da ringt man in Niederösterreich mit der Existenzfrage der Kleingemeinden, da harren ungezählte Wirtschaftsprobleme und Strukturfragen einer Lösung, da bemühen sich die Agrarier um ein langfristiges Konzept.

Solche Aufgaben — sei es auf Bundes-, Landes- oder Gemeindeebene — können nicht von Bierkrügelpolitikern gelöst werden. Es ist heute für einen Volksvertreter zuwenig, wenn er nur Träger der „Interventionitis“ ist. Was wir noch mehr brauchen, sind Männer mit Grundsätzen; Persönlichkeiten, die ein Programm haben und die auch fähig sind, es zu verwirklichen.

Gibt es in Niederösteneich diesen „Nachwuchs“, der eine echte Bluräuf-frischung, eine Stütze der Erneuerung sein könnte? Wir bejahen diese Frage. Da gäbe es nicht nur im Bauernbund, im Wirtschaftsbund oder im ÖAAB, sondern auch in der Katholischen Männerbewegung dort und da und hier und dort einen Mann, der „Teamreife“ besäße. Die Katholische Aktion führt seit langem ein politisches Grundsatz-Schulungsprogramm durch, das schon schöne Früchte zeitigt. In Vorträgen, Diskussionen und Seminaren werden die Grundzüge der christlichen Gesellschaftslehre durchgearbeitet — den einzelnen wird so das Rüstzeug für die Mitarbeit im öffentlichen Leben mitgegeben. Wenn die ÖVP eine Partei mit christlicher Weltanschauung sein will, dann muß sie in Hinkunft ihre Tore mehr als bisher für die Tatkatholiken öffnen. Mit freundlichen Worten vor den Wahlen ist es nicht getan!

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