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„Rauch steigt auch von kleinen Feuern“

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Wer immer sich um das Wohl und Wehe unseres Staates Gedanken macht, blickt in diesen Tagen mit Sorge auf Niederösterreich. Bis heute ist hier den Landtagswahlen vom 18. Oktober keine endgültige Konstituierung der Landesregierung gefolgt. Die Verhandlungen zwischen Volkspartei und Sozialisten liefen nur stockend an und rannten sich bald fest. Die Einbringung eines Budgetprovisoriums erwies sich als notwendig. Statt der erwarteten Annäherung unter dem Christbaum kam es am Vorabend von Weihnachten zu einem Bruch. Ohne Einigung ging man auseinander — Beschuldigungen wechseln mit Repliken ab, bei denen es an scharfen, gereizten Tönen nicht fehlt. Schon werden — von links und rechts — da und dort im Land Konferenzen einberufen und Resolutionen geschmiedet: „Artillerieunterstützung“ sozusagen für die „Nahkämpfer“ im Landhaus. Die Situation ist unerfreulich, i Die Auseinandersetzung gipfelt im Streit um das Gemeindereferat. Die Forderung der Volkspartei, der von ihr gestellte Landeshauptmann möge das Recht erhalten, in Gemeindeangelegenheiten selbständige Anträge einzubringen, wird von den Sozialisten als „Ent-, mündigung“ ihres Referenten bisher strikte abgelehnt. Hie Landgemeinden, die ihre Agenden nicht einem Vertreter der SPOe überlassen wollen, dort ländliche Industriegemeinden und Städte, die eine Schmälerung ihrer Interessen befürchten: bezeichnendes Spiegelbild für ein altes Bauernland im Umbruch des 20. Jahrhunderts. Ein Problem, das gewiß nicht bagatellisiert werden soll; aber ist es wirklich dazu angetan, über die blaugelben Landesgrenzen hinaus alle verantwortungsbewußten Oesterreicher aufhorchen zu lassen?

Die Frage, ob der Landesrat Stika „entmündigt“ werden soll — um in der Sprache der Politik zu bleiben — oder nicht, ist für die nicht unmittelbar Betroffenen keineswegs alarmierend. Aber etwas anderes regt zum Nachdenken an. Der Zwist in Niederösterreich ist zunächst vor allem ein Streit um Referate. Einflußzonen und Positionen. Als solcher wäre seine Heftigkeit und vor allem seine Dauer alles andere als schön, aber staatspolitisch dennoch unerheblich. Es ist etwas anderes, das politischen Beobachtern schon lange bekannt war, aber jetzt offenbar wird: die Krise in Niederösterreich ist in ihrem Wesen eine Krise der Zusammenarbeit der beiden großen Parteien. Nirgendwo anders vielleicht haben sich Volkspartei und Sozialisten in den letzten.Jahren so auseinanderge1ebt wie im Land unter der Enns. Das ist auf den ersten Blick sehr verwunderlich: galt doch Niederösterreich seit Jahrzehnten nicht nur als ein Land des „leichten“, das heißt des von stärkeren Reibungen freien Regierens, waren doch hier die Beziehungen zwischen den Wortführern der beiden großen politischen Lager selbst in Sturmzeiten imrrffcr noch durchblutet von der menschlichen Wärme und nüchternen Lebens-kJugheit, die diesen gesunden Menschenschlag auszeichnen. Erinnern wir uns nur: selbst in dn dunkelsten Tagen, der Ersten Republik glomm noch einmal ein schwaches Licht auf. Es nährte seine Flamme aus den Gesprächen der „Niederösterreicher“ beider Parteien. Und als wenig später das Schlimmste, das einem Volk widerfahren kann, dennoch geschah, war es wiederum Niederösterreich, das frei Hieb von Bruderkrieg und Brudermord. So konnte hier 1945 im ärgsten Notstand verhältnismäßig leicht dort wieder angefangen werden, wo man 1934 sozusagen die Sitzung nur vertagt hatte. Es war ein Glück für Niederösterreich. Und nicht nur für dieses allein.

Niederösterreich ist nun einmal — das auszusprechen schmälert keineswegs die Rolle und Bedeutung der anderen Bundesländer — das Stamm- und Herzland Oesterreichs. Hier liegen die Orte Dürnkrut und Jedenspeigen ebenso wie Aspern und der Wagram — Namen, mit denen das Schicksal selbst eines größeren Oesterreichs als das der sieben Millionen verknüpft ist. Hier liegt auch die Bundeshauptstadt Wien. Und es scheint uns kein Notstand, sondern eine schöne Symbolik, daß, ungeachtet der verraltungs-mäßigen Trennung, Niederösterreich keine Landeshauptstadt besitzt, sondern daß der Niederösterreicher nach wie vor nach Wien „in die Stadt“ fährt. Aus allen diesen Gründen ist es aber auch, wenn es in Graz oder in Innsbruck in der Landtagsstube brennt, leichter, den Brand zu lokalisieren, als wenn im Niederösterreichischen Landhaus Alarm gegeben wird. Von der Herrengasse in Wien hinüber zum Parlament sind es nur einige hundert Meter. Die Gefahr des Funkenfluges ist unverkennbar.

Gerade das gilt es aber vor allem zu verhindern. Wir haben nach wie vor keine Ersatzlösung, die uns besser in einer Welt der Gärung und der Spannungen den Bestand unseres Staates in äußerer Freiheit und innerem Frieden besser garantiert als eine gute Zusammenarbeit der beiden Volksparteien. Gerade in den letzten Wochen kommen aus Bonn, in dessen „kleiner Koalition“ manche unserer Mitbürger lange eine Zauberformel für wirtschaftlichen Wohlstand erblickten, Nachricht auf Nachricht, daß man dort zur Stunde nicht ungern einen Tausch gegen eine Koalition nach „Wiener Muster“ machen würde.

Lokalisierung der Krise in Niederösterreich ist also das erste jebot politischer Klugheit. Das zweite muß lauten: dem eigentlichen Herd der Zwietracht mutig näherrücken.

Diese Zeilen sind keineswegs eine, Empfehlung an cjiese oder jene Adresse, „weich“ zu werden., Sie wollen über den Streit der Stunde hinaus ; als Appell zu einer grundsätzlichen Verbesserung des politisch eVi Klimas in Niederösterreich verstanden werden. Oft ist Politik eine Frage der Menschen, die sie vertreten. Sollte es an personellen Schwierigkeiten liegen, daß Niederöst.;rreich heute nicht Brücke, sondern Zaun zwischen den großen politischen und weltanschauliche Lagern ist, so sollten die Verantwortlichen Qer beiden Parteien nicht zögern, Gesprächspartner zu wählen, die wohlabgewogene Grundsatttreue und Konzilianz wohl zu vereinbaren \ wissen. Wir zweifeln nicht, daß die VolkspWtei, allen voran die niederösterreichische BaueV'nschaft, Männer von diesem Schlag in ihren Reihen hat.

Sollten aber alle Worije als Theorie empfunden werden, so bleibt Weht anderes übrig, als die verfeindeten Brüder Gemeinsam über die nächtlichen Straßen ihrer eVigeren Heimat zu fahren. Die weithin über das\Lafid leuchtenden roten Sterne auf den USIA-JFabriken müßten eigentlich jedem von ihnen sajeen, was zu tun und was zu unterlassen ist. \

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