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Erzählungen und Kalendergeschichten. Von Jeremias Gottheit. Zwei Bände. Eugen-Rentsch-Ver-lag, Erlenbach-Zürich. 768 und 672 Seiten.

Der Schweizer Eugen-Rentsch-Verlag legt eine zweibändige Auswahl aus der großen endgültigen Gotthelf-Ausgabe vor. Rudolf Hunziker, Hans Bioesch, Kurt Guggisberg und Werner Juker zeichnen verantwortlich für den nunmehr gereinigten und wiederhergestellten Text. Gottheit, von Beruf Pfarrer im Emmental, hat seine Kunst zunächst als das einzige Ventil seiner ungeheuren Lebenskraft empfunden, die er sonst in Amt, Gemeinde, Oeffentlichkeit überall gehemmt und zurückgestoßen sah. Einen „Stausee“ nennt er das, was sich in seine Bücher ergießt. Und als schriftliche Predigten empfand er seine Kunst. Vielleicht kann man nirgends den Uebergang und Zusammenhang von Predigt, Erbauungsschrifttum und weltlicher Fabulierkunst so deutlich überschauen wie gerade bei Gotthelf. Bitzius, der Pfarrer, und Gottheit, der Erzähler, sind zwei Persönlichkeiten in einer Person und ebenso miteinander eins wie zwei. Ein Künder der Volksbildung entgegen den gelehrten und gebildeten Schichten spricht hier, dessen ganzes Um und Auf das sich ewig gleichbleibende „Menschenherz“ ist in seiner „Einfachheit“. Darum geht es hier. In der Schilderung der Verlotterung erreicht Gotthelf einen Grad der Eindringlichkeit, der unmittelbar in die Vorzimmer der Elends- und Ekelquartiere von Zola bis Heinrich Zille führt. Daß Gotthelf einer aus Luthers Stamm ist, kann nicht zweifelhaft sein. Alles wird ihm zum Wort, zum Mahn- und Predigtwort. Gott sucht er nicht nur im Schriftwort, sondern auch besonders im Buch der Natur und im Buch der Menschen. Da spielt für ihn sichtbar der Kampf zwischen Gut und Böse und offenbart sich die Herrlichkeit Gottes und der stets von ihm bekämpfte Zeitgeist. Gotthelf ist ein prächtiger, kraftvoller, gesunder Erzähler, dem alles, Geschichte wie Gegenwart, Landschaft und Leute, Religion wie Soziales, zum Wort wird, dessen der Mund in einfacher, ruhiger, echt epischer Rede überfließt. Fr gemahnt an einen alten Brunnen, dessen Wasser weither kommen. Er erzählt bewußt ungebildet und sagt alles so, daß keiner merkt, wie kunstvoll alles angelegt ist Die Form der Anekdote (auch im Sinne Kleists) und der Kalendergeschichte hat in Gotthelf unbestreitbar ihren Meister gefunden. Die vorliegende Ausgabe, die die heute noch eindringlichsten Geschichten des Volksdichters umfaßt, bietet einen vorzüglichen Wegweiser zum Künstler und Prediger Gotthelf, wie ihn die gesamtdeutschsprachige Literaturgemeinde schon lange erwartet hat. Es steht zu erwarten, daß Gotthelf auf Grund dieser Auswahl dem allgemeinen Bewußtsein ebenso nahe kommt wie die anderen Schweizer Dichter.

Sämtliche Märchen von Clemens Brentano. I. Die

Rheinmärchen. II. Die italienischen Märchen. Verlag Lambert Schneider, Heidelberg. 414 Seiten. Preis 13.60 DM.

Es ist eine besonders begrüßenswerte Tat des vorzüglichen Verlages Lambert Schneider in Heidelberg, daß er sich zu einer schon lange fälligen Gesamtausgabe von Brentanos Märchen entschlossen hat. Nur der Fachmann und Philologe weiß, wie arg es um die deutsche Romantikerphilologie im weitesten Sinne steht. Wie wenig von der deutschen Romantik in wirklich guten, zuverlässigen Editionen dem modernen Leser, zumal nach dem letzten Kriege, zur Verfügung steht. Brentano hatte unter diesem bedauerlichen Zustand neben Zacharias Werner besonders arg zu leiden. Das Beste, was über Brentanos Märchen zu sagen ist, hat Eichendorff im 19. Band der „Historisch-Politischen Blätter für das katholische Deutschland“ aus dem Jahre 1847 gesagt. Der Aufsatz betitelt sich „Brentano und seine, Märchen“. Da Dämonische wie auch der verborgene Zusammenhang alles und jedes in der Welt feiert in Brentanos M*r-chen im Verein mit spöttischer Ironie in diesen Märchen höchste Triumphe. Kunstmärchen im wahrsten Sinne des Wortes, machen sie im Grunde besonder dem zerrissenen Gemüte wahre innige Freude, dal sich durch den Zauberer Brentano in eine als Kinderland getarnte Feerie zurückführen läßt. Brentano Märchen sind im Grund kultische Literatur einer Naturfrömmigkeit, Naturvergottung und Ichhingabe. Nicht umsonst vergleicht Eichendorff in seinem erwähnten Aufsatz das erste Märchen von Rhein und dem Müller Radlauf mit der Genesis, da uns Brentano hier Einblick in die geheimnisvoll schaffenden Naturkräfte gewährt. Dieser paganisierende Brentano ist überlagert und durchwirkt von einem katholischen Brentano, die sich diesseits nd jenseits in einer einzigen Erlösungsfreude zusammenfinden. Wieviel ließe sich über diesen unsäglich verzauberten Wasser palast des Rheines sagen, aus dessen Tiefe der versenkte Nibelungenhort heraufschimmert und auf dessem Grunde die ertrunkenen Kinder schlafen. E sei genug, hier auf diese für den deutschen Literaturfreund sehr bedeutsame Neuausgabe besonders aufmerksam zu machen. Auch sei bemerkt, daß da Buch dem Auge Freude macht.

Placidias Tochter. Von Nora Wydenbruck. Ehrenwirth-Verlag, München. 328 Seiten. Preis 12.80 DM.

Viele Italienreisende stehen stumm und verlegen, staunend und beklommen in dem düster und golden funkelnden Raum; wie die glitzernde Schuppenhaut eines Urtieres überzieht ein Netz von Mosaiken, nahtlos ineinandergefügt. Wände und Decken. Auf dem dunklen Boden aber stehen die schweren Särge, riesige Steine, die an den gigantischen Monolith, das Grabmal des Theoderich, erinnern: Das Mausoleum der Galla Placidia, der weströmischen Kaiserin, die am 27. November 450 starb, nach einem schweren Leben, gewidmet der Verteidigung des weströmischen Reiches gegen Hunnen, Barbaren, Häretiker, Verschwörer aller Art. Diese mächtige Frau hat mehrfach das Interesse der Historiker erregt. Nora Wydenbruck widmet ihr Werk einem Drama, das weniger beachtet wurde: dem lebenslangen Ringen der Tochter, Honoria, mit der übermächtigen Mutter, mit der spätantiken und byzantinischen Welt, die so voll von Giften und Gaben war: entstammen ihr ja alle religiösen und weltanschaulichen Bewegungen, die unsere Zeit wieder erschüttern: Weltflucht und Weltsucht in manichäischen und pelagianischen Einkleidungen. Nora Wydenbruck kommt selbst aus einer Welt her, die in manchen Bezogen der des späten römischen Reiches verwandt war: Altösterreich, und sein Abgesang im Werk Rilkes, dem die Dichterin ebenso verbunden war wie sie Eliot verbunden ist, dessen Vier Sonette sie ins Deutsche übertragen hat: Abgesang Alteuropas auch dies. Dazu kommt die Affinität alter Geschlechter und die Fühlsamkeit der reifen Frau: diese drei Elemente verbinden sich glücklich im Gefüge dieses Romans, der erstmalig 1952 in englischer Ausgabe erschien. Symbolhaft ist diese Gestalt Honorias, die, sich erhebend gegen das harte Gesetz und die Herrschermacht ihrer Mutter wie auch gegen die trübe Barbarei einer überreifen späten Zivilisation, dem Barbaren des Aufgangs, Attila, sich entgegensehnt, und ihm aus dem Kloster, aus der Verbannung, Ring und Brautversprechen sendet: der genialische und scheiternde Versuch einer Vorwegnahme künftiger Symbiosen eines Zusammenlebens von Ost und West, das erst durch Leid und Erfahrung, Geduld und Kraft der Jahrtausende zu erkaufen ist. — Der geschichtlich Interessierte und vor allem der Freund Ravennas, seiner offenbaren Geheimnisse wird mit wacher Anteilnahme dieses klug und bewegt geschriebene Buch lesen.

P. Claudel und J. Riviere: Briefwechsel 1907 bis 1914. Verlag Kösel, München. 246 Seiten. Preis 9.50 DM.

Dieses Buch ist die Wiederauflage des schon 1928 erschienenen Briefwechsels. Der bekannte Claudel-Deuter R. Grosche erklärt in der Einleitung, daß sein früheres Nachwort mehr als „ein historisches Dokument, ein immer noch gültiges Zeugnis“ darstelle, und gibt dem Wunsch Ausdruck, diese Briefe mögen nicht nur von allen Freunden des inzwischen verstorbenen Dichters, sondern auch von jenen gelesen werden, die „fern von aller Literatur“, „ein Stück einer stillen und verschwiegenen Seelengeschichte anzieht“. Man darf immerhin heute nicht vergessen,daß andere Briefwechsel von Claudel seitdem veröffentlicht worden sind, die durch ihre unverblümte Natürlichkeit, ihren wirklich intimen Charakter den ausgesprochen literarischen Aspekt der Auseinandersetzung Riviere—Claudel noch stärker hervorheben lassen. Claudels Briefwechsel mit Gide, mit Frizeau und Fr. Jammes und mit Suares (3 Bände, Gallimard) mögen wohl weniger didaktisch und systematisiert erscheinen, sie erlauben jedoch in Claudels religiöse Entwicklung, sein poetisches Schicksal und seine geistige, christliche Aussage einen tieferen Einblick als die schönen Antworten an J. Riviere. Die Seelen-zustände des letzteren dürften übrigens der heutigen Generation manchmal als zu subtiler Aesthetizismus erscheinen. Heute geht es nicht mehr um die Wahl zwischen Gide oder Claudel. Der Existentialismus, der christliche sowohl als der atheistische, hat sich seither voll entwickelt, und die transzentendale Weltentrücktheit der claudeischen Weisheit kann nicht jedem Beistand gewähren, der in der Problematik des menschlichen Engagements sich nicht mehr zwischen Kunst und Glauben, sondern zwischen der Existenz selbst und dem Absurden zu entscheiden hat. Es wird jedenfalls, um den raffinierten Waffengang zwischen Riviere und Claudel zu ergänzen und zu verlebendigen, von Nutzen ein, zugleich den Briefwechsel Riviere—A. Fournier (Gallimard, 3 Bände, 1927) sowie den von Gide verfaßten Nachruf „J. Riviere“ (Ed. de la Belle Page, Paris 1925) zu konsultieren. Alle diese geistigen Gespräche sollten schließlich in den biographischen Rahmen gestellt werden, den Ysabelle Riviere, die Gattin des unglücklichen Gottsuchers, selbst in der kaum umgestalteten Handlung ihres Romans „Le bouquet de roses rouges“ (Paris, Correa, 1935) lebensgetreu wiedergegeben hat.

Oesterreichische Rechts- und Staatswissenschaften der Gegenwart in Selbstdarstellungen. Herausgegeben von Univ.-Prof. Dr. Nikolaus Gras. Universitätsverlag Wagner, Innsbruck. 272 Seiten.

Das Werk enthält Selbstbiographien berühmter Rechts- und Staatswissenschaftler, eingeleitet durch ein Vorwort des Herausgebers. Es erzählen über ihr Leben und Wirken Ludwig Adamowich (Wien), Robert Bartsch (Wien), Ferdinand Degenfeld-Schonburg (Wien), Ernst D u r i g (Innsbruck), Godehard Josef Ebers (Innsbruck), Alexander Hold-Ferneck (Wien), Ferdinand Ka deckt (Wien), Heinrich Klang (Wien), Hans Mayer (Wien), Adolf Julius Merkl (Wien), Theodor R i 111 e r (Innsbruck), Hans S p e r I (Wien), Arthur Steinwenter (Graz), Alfred Verdross (Wien), Wilhelm Winkler (Wien) und Karl W o 1 f f (Wien). Beinahe allen diesen Selbstbiographien ist ein Lichtbild des Verfassers vorangestellt. Wie dem Vorwort zu entnehmen ist, wurden bei der Auswahl der in Betracht kommenden Persönlichkeiten, um den Umfang des Buches nicht allzusehr anschwellen zu lassen, nur jene berücksichtigt, die das sechzigste Lebensjahr bereits vollendet hatten. Es wird daher keinen österreichischen Juristen der jüngeren Generation geben, der nicht mehrere dieser bedeutenden Gelehrten im Hörsaal und bei Prüfungen persönlich kennengelernt hat und der nicht gerne ein Buch zur Hand nimmt, das ihm die Persönlichkeit seiner Lehrer näherbringt.

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