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Peter Anich, der STERNSUCHER

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29. Fortsetzung

Wenn Peter dazu in Innsbruck Wohnung nahm, konnte er ihn in zwei, drei Jahren so weit haben, vielleicht sogar früher. Ein Quartier und das nötige Stipendium waren leicht aufzutreiben.

Doch ehe der Professor Hall erreichte, hatte sich, ein zweiter und, wie ihm schien, fruchtbarerer Plan vorgedrängt. Der alte Obermoser war gewiß eine tüchtige und gewissenhafte Kraft. Seine in zehn Jahren erworbene Kenntnis der physikalischen und astronomischen Literatur war unschätzbar, wenigstens soweit es um die Titel und die Einordnung der Druckwerke ging, auch hielt er im Armarium Zucht und sah auf die nötige Reinlichkeit. Immerhin hatte dieser goldene Obermoser schwere Fehler. Eigensinnig wie ein Kind und jeder grundlegenden Neuerung abgeneigt, stritt er bald stundenlang mit seinem Herrn über eine Kleinigkeit. Ob das Astrolabium mit der Visur nach rechts oder nach links autzustellen sei, ob man die Globen nach ihrer Entstehungszeit oder nach der Größe ordne. Herr von Weinhart, ein weltweiter Mann, war solcher Zänkereien längst müde, schließlich aber ward doch manches anders, als er geplant hatte, und wenn sein Kabinett auch die Bewunderung weitgereister Leute erzwang, er selber hätte es noch viel klüger und brauchbarer gewußt.

Auch mit den Studiosen verstand sich der Alte schlecht. Von den jüngeren getraute sich bald keiner mehr in das Kabinett Die älteren Semester aber trieben ihren Schabernack mit ihm, sie fragten ihn bei jeder Gelegenheit, ob das Armarium die gute Stube des Herrn Obermoser sei oder der Schule gehöre, verloren, wenn sie durchgingen, Zettel mit Spottgedichten, vertauschten Bücher und Instrumente, wo immer es anging, und übten Witze, die auch ihre Vorderen getan hatten mit dem nämlichen Erfolg. Das war weiter nicht seltsam, sein Famulus jedoch, das gestand sich Herr von Weinhart längst ein, haßte nichts mehr auf der Welt als die Jugend.

Auch wenn der Professor diese Frage nun vom Standpunkt des Alten selbst ansah, kam er zu dem gleichen Ergebnis. Der im großen und ganzen verdiente und, sobald man ihm seinen Willen ließ, verträgliche, immer aber ehrliche Mann hatte schließlich bereits über vierzig Jahre dem Kolleg gedient, zehn Jahre stand er nun dem Kabinett vor, dreiundsechzig Jahre war er alt, er hatte sich also einen ungestörten Ruhestand sicherlich ehrlich verdient. Herr von Weinhart hatte bloß bisher keinen Nachfolger gewußt, einen, der nicht bloß die Ordnung, sondern auch die lebendigen Dinge liebte, der tat, was man ihm auftrug, und sicherlich zwischen den reichen Schätzen des Armariums im siebenten Himmel lebte. Dieser eine war, Herr von Weinhart mochte es wenden wie er wollte, niemand anders als der junge Anich. Daß er ihn auch für das Stadtleben und den Umgang mit den Studenten zurechtschleifen konnte, dünkte ihn nicht allzu schwierig, sofern er bloß so fügsam blieb, wie er ihn nun kannte, und sich das Staunen vor den gelehrten Dingen bewahrte.

Am folgenden Montag jedoch knurrte der alte Famulus, als habe er die geheimsten Pläne seines Herrn belauscht. Die Instrumente und Bücher seien arg durcheinander geraten, ein Stoß Papiere zu Boden gefallen und schlecht geordnet worden, und unter seinem Arbeitstisch habe er zerknittertes Papier gefunden. Das aber sei ihm in seiner ganzen Dienstzeit noch nie untergekommen, das komme aber auch davon, wenn man einen blöden Bauern statt in seinem Schweinestall in einem hohen Armarium allein wirtschaften lasse.

„Herr Anich hat weder ein Stück angerührt noch rechtschaffen angesehn. Den Zettel hat er vielleicht verloren. Das wäre dann freilich ein todeswürdiges Verbrechen.“ Herr von Weinhart sagte das mit aller Ruhe und ging in sein Stübchen.

Nach dem ersten Kolleg fand er jedoch die ausweglose Wut des Alten nur noch gesteigert. Wenn der blöde Bauer am nächsten Samstag wiederkam, murrte er, dann' solle er gefälligst ohne ihn herumwirtschaften. An seinem freien Samstagnachmittag lasse er nicht rütteln. Seine Schwester liege vor Ärger über die verbrannten Krapfen krank daheim. Und wenn er schon seine freie Zeit opfere, aber zusehn müsse, wie ein Schelm, ein halber Narr die Gutheit seines Herrn ausnutze, das könne kein Mensch von ihm verlangen.

„Deshalb geb ich Ihm künftig den ganzen Samstag frei“, sagte Herr von Weinhart erleichtert, daß sich sein heimlicher Plan so ?chön anließ. „Er hat es um mich und das Armarium reichlich verdient. Auch kann dann Seine Frau Schwester mit ihrem verehrten Herrn Bruder in Wilten oder in Zirl zu Mittag essen, allenthalben gibt es ausgezeichnete Wirtschaften. Sie braucht dann nicht zu fürchten, daß ihr der Braten daheim verbrenne, und Er sieht nicht, wie ein blöder Bauer seinen Herrn zu sträflichen Zwecken mißbraucht.“

An jenem Montag rührte sich der alte Famulus nicht mehr. Den Tag darauf jedoch fand ihn der Professor, als er aus dem Kolleg kam, in heller Wut. Der Mann aus Matrei sei dagewesen und habe seinen Herrn einen unpünktlichen unzuverlässigen Menschen gescholten, einen zerstreuten Professor, ein verlorenes gelehrtes Huhn. Er sei auch nicht abzustillen gewesen, jener Herr aus Matrei, überdies ein gewichtiger alter Mann, mit bestem niederländischem Tuche bekleidet und adeligem Benehmen. Er, der Obermoser, habe freilich auch seinen geliebten Herrn vielleicht nur unzureichend verteidigt, denn es sei ihm unfaßbar gewesen, daß sein Herr eine so wichtige Vereinbarung nicht eingehalten habe. Zum anderen habe er doch gleich geahnt, daß an dieser ganzen bösen Geschidite wiederum allein der junge Bauei schuld sei. Und da denke die sonst kluge Kaiserin daran, in jedem Bauernnest eine Schule aufzurichten. Eine nackte Geldvergeudung sei das, ein höchst gefährliches Experiment, ein vermessener Angriff gegen die Weltordnung. Wenn er, als eines Baders Sohn, studiert habe, sei das denn doch etwas anderes, jetzt tat schon jeder Bauernlümmel in Büchern schnüffeln, als könnte er sein Traid mit der Kubikwurzel ziehn und seine Ochsen mit physikalischen Formeln mästen.

„Wenn der Herr Obermoser es sagt, muß es auch wahr sein“, sagte der Pater. „Er kennt die Weltordnung, Er hat dem Herrgott bei der Schöpfung zugeschaut. Ich werde aber am nächsten Samstag mit dem Bauernlümmel reden“, setzte er rasch hinzu, „ob er die hohe Rechenkunst nicht doch lieber bleiben läßt. Der Herr Obermoser wünscht es, werale ich ihm sagen, und der Herr Obermoser weiß auch, was er redet. Punktum!“

Die spöttische Art seines Herrn ertrug der alte Famulus freilich am schlechtesten. Diesmal verdrückte er sich indes ohne eine Widerrede. Es fiel auch die Woche hindurch kein Wort mehr über Peter, obgleich der Pater zuweilen einen solchen Disput herbeiwünschte, so viel und mit so wachem Herzen dachte er an ihn.

Die Briefschaften erledigte er diesmal schon am Donnerstag oder er verschob die weniger drängenden auf den Sonntag. Besuche hatte sich Herr von Weinhart nicht vorgenommen. Überdies hoffte er, daß er mit der Zeit doch wiederum den Nachmittag freibekommen konnte, er braucht* doch bloß die freie Zwischenzeit des Vormittags gut nutzen. Bei einem Schüler, der so rasch auffaßte, war das keine Kunst.

Der Alte kam an jenem Samstag tatsächlich nicht, Peter stand mit dem neunten Glockenschlag wiederum vor dem Professor. Er legte zehn mit Rechnungen engbeschriebene Bogen auf den Tisdi und das Rechenbüchel dazu. Die Frische des wolkenlosen Aprilmorgens lag noch in seinen Augen. Er habe die schwierigeren Rechnungsarten reichlich geübt, sagte er, auch die Regula de tri begreife er nun und fünfzig Quadrat- und Kubikwurzeln genügten wohl für den Anfang, seien doch siebenstellige Zahlen darunter. Zu mehr habe leider das Papier nicht gereicht, auch habe er neben der Feldarbeit seiner Schwester Leni beim Füttern und im Garten geholfen.

(Fortsetzung folgt.)

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