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Politik und Kulturpolitik auf Wiens Bühnen

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Festvorstellung der österreichischen Ku 11 u r v e r e in i g u n g : Ouvertüre der „Kulturtage christlichen Geistes“ auf der Bühne — schmucke Plakate künden sie in allen Straßen Wiens an. „D i e Flucht in die Heimat“, ein Drama von Rudolf H e n z, in der Insel. Kühl die Luft in dem mehr als halbleeren Haus. Die einzige erschienene kulturpolitische Persönlichkeit höheren Ranges verläßt in der Mitte der Aufführung den Saal, In dieser frostigen Atmosphäre kämpfen die Schauspieler um das Leben des Stückes. Und es ist ein Stück, und es ist ein Leben, und es ist eine Zeit, dieses Drama aufzuführen! Während Österreich ohne Scham in Film und Sage, in Wort und Bild in gefällig-harmlosen sentimentalisch geruhsamen Kitsch verfällt, auf romantisch blauen Seen unter-, in von .Abendland“, „Christentum“ und Scheinhumanismus versalbten Reden wieder aufgeht, wird hier ein Stüde Heimat gezeigt, wie sie ist. Das Waldviertel im Ernst seiner Härte, Armut, Kälte und einer mitten in diese schwere Erde hineingeborgenen Schönheit und Süße. Ein Bauernbursche, ein Hauersohn, sucht den Weg zurück aus der Stadt zu Haus und Hof und Herd. Zum Vater, zur geliebten Frau. Heimkehr des verlorenen Sohnes. Und dieser Karl scheitert an seinem Bruder Franz, der während seiner Abwesenheit Haus und Hof und Frau übernommen hat, wie ein anderer Karl an einem anderen Franz gescheitert ist: Motive aus Schillers „Räuber“ klingen herein. Henzens Werk ist aber keine Schillersche Bruder- und Menschheitstragödie, auch kein Schönherr-sches Bauerndrama, wie die falsche Kostümierung der Inselaufführung vermuten läßt, sondern etwas anderes, ganz etwas anderes. Die Aussage eines sehr österreichischen Tatbestandes — die Wellen der großen Krisenzeit nach 1918 — und der ehrliche Versuch einer Lösung aus einer in Haß und Enge, Ressentiment und parteiischer Leidenschaft verquollenen Situation. Diese Bauern kleben an Hab und Gut und genau so an ihrer durch eigene und fremde Schuld geschaffenen mißlichen Lage. Ausweglos, sdieinbar zumindest, ihre Existenz. Trunken von innerer Not und äußerer Beschwernis fallen sich diese Menschen an, wütig und todtraurig wie Tiere, zur Schlachtbank bestimmt. Der Weinkeller wird ihnen zum .Schloß“, zur Mordfalle in durchaus

Kafkaschem Sinn. Daß Karl Rauscher (sinnbetonter Name) aber m all der Bedrängnis seiner Schwermut nicht zum Mörder, nicht zum Selbstmörder wird, dankt er dem Realismus seines Gewissens. Dieses zeigt ihm den gangbaren Ausweg: Heimat und Herd, Besitz und wahres Gut, Ehre und Lebensstand sind an Herd und Hofrain, Weinberg und Acker ebensowenig gebunden wie an die große Stadt. Heimat wächst aus dem Glauben. (Wie viel tiefer sieht hier Henz als Schönherr!) Aus dem Umbruch im Acker der Seele. Heimkehr ist Einkehr. — Wie man sieht, zeitnahe Themen. — Henz macht sich und seinen Schauspielern die Sache nicht leicht: er wählt ein innerlich halb proletarisiertes, halb städtisches, durchaus zwieschlächtiges Milieu, in dem eine altbäuerliche Welt von innen und von Randzonen her ausgelaugt und zerfressen wird von andersartigen Elementen. Die Welt vor den Toren Wiens. Eine Welt, die trotz des Wagens Theodor Kramers, Wildgans, Weinhebers noch keiner ganz bewältigt hat in gültiger Aussage. Eine Welt, deren harte, manchmal an den Grenzen des Grauenhaften gewachsene Realität sich dem Unernst der Literaten wie der „Kulturpolitiker“ verweigert. Eine ungemein schwierige Aufgabe also, zunächst für die Schauspieler, Eine Aufgabe dann für das Publikum. Dankenswert die Aufführung der Insel.

Wie die Wiener Tagespresse meldet, wird gegenwärtig in der Scala „ein aktuelles Schauspiel“ von Ernst Fisgher „Der große Verrat“ gespielt. Der Verräter ist Tito. Wir können zu dieser dramatisierten Tagesgeschichte • nicht Stellung nehmen, da die Redaktion trotz mehrmaliger Anfrage keine Rezensionskarten erhielt.

Die Josefstadt gastiert in den Kammerspielen mit dem Kriminalstück „Nebe 1“ von Hans Schweikart. Wie leicht hat es doch der Film, wie umständlich ist so ein Mord auf, hinter der Bühne. Und wie einfach doch das Problem: eine entzückende Frau hat einen sehr unsympathischen Gatten. Die Arme! — Wie sehr müht sich der Autor, diesen Mann mit unangenehmen Zügen auszustatten, die den Mord rechtfertigen, zumindest passabel erscheinen lassen. Der nette, junge Polizeileutnant wartet schon, das Frauchen zu freien. — Ein Kitsch, im gepflegten Timbre der Josef-Stadt vorgetragen, bei dem man auf andere Gedanken kommen kann ...

Noch gepflegter, noch kultivierter erscheint dieser Kitsch in einem Stück, mit dem das Akademietheater, alle Segel gesetzt, in den Sommerfahrplan steuert. „Ol ivia“ von Terence Rattigan. Das gehört nun seit Jahren zum guten Ton in diesen anglo-amerikanischen Gesellschaftsstücken unserer Staatsbühnen: ein oder mehrere neckische junge Menschen, die mit ihren Eltern und Pseudoeltern „Konflikte“ austragen. Zwei bis drei Stunden lang ziehen sie da auf der Bühne herum, versuchen einander zu erziehen (die Jungen die Alten), zu verziehen (die Alten die Jungen) und fallen einander beim Happy End verzeihend in die Arme. Diesmal ist es ein aus Kanada nach London zurückkehrender Junge. Der Lose will nicht hegreifen, daß seine Mutter mit dem Minister für Panzerproduktion (wie geschmackvoll — das Stück spielt noch im letzten Krieg! zusammenlebt, ohne daß dieser geschieden ist. Der Junge benimmt sich also unartig, was den sehr ehrenwerten Sir Fletcher veranlaßt, ihn des Ödipuskomplexes zu zeihen. In amüsanten Albernheiten verplätschevt der Abend. Hinter seinem blauen Dunst verschwimmen im Hintergrund die Dinge: der Krieg, das Gesetz, der Katechisr mus der kleinen Leute. Olivia, die liebenswürdige Titelheldin, eine reizende Frau, erwägt mehrmals in ihrem Text, ob sie ein Snob sei, weil sie den Reichtum, gute Kleider und ein schönes Haus liebt. Ein Snobismus von einfacher, verständlidier und unverbindlicher Art. Komplizierter, verbindlicher und unverständlicher der Snobismus unserer Staatsbühne, die jahraus, jahrein Nichtig-! keiten dieses Genres spielt, die in Tonart, Haarschnitt und Bügelfalte einander gleichen wie eben nqr ein Akademiestück hier dem anderen.

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