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Priester...

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Der neue Tag dämmerte herauf, grau, calt und feindlich, wie viele regenschwere Septembertage vor ihm. Die Wolken, nur :euchte, schmutzige Tücher, hangen tief aber dem weiten Feld.

Noch immer keine Sonne! Die gesprenkelten Zelte zu Füßen der hochbeinigen Wachtürme waren keine Inseln mehr in Schlamm und Wasser. Audi sie unterlagen dem harten Wetter.

Wie lange noch? — fragten die Menschen in den zerschlissenen, verschmutzten Kleidern, die einmal Uniformen waren von Soldaten.

Man hatte wieder eine Nacht unter dem triefenden Leinendach abgesessen, eine finstere, quälende, nicht endenwollende Nacht.

Mag sein, daß diese Zelte auf trockener Erde sechzehn Mann gerade so viel Raum geben, daß sich jeder zum Schlaf hinstrecken kann. Aber wenn es achtzehn und zwanzig Mann sind, und wenn noch die Hälfte des Bodens mit Lachen überzogen ist, dann stimmt die Rechnung nicht mehr. Dann ist es eine Marter.

Ein schriller Pfiff ruft die Männer aus den Zelten in den Schlamm, in den Regen.

Zählappell! — Nummern werden Ziffern, niemand fragt nach Schicksalen, gar niemand.

Ein fester Stacheldraht umarmt dieses traurige Stück Welt von fünfhundert Kriegsgefangenen. Es gibt dreißig oder vierzig solche Welten auf dem großen Platz. Man ist sortiert, gezählt und — vergessen.

Da stehen nun die Kolonnen im klebrigen, zähen Brei des Lehmbodens und in den Pfützen. Alte und Junge, Starke und Kleinmütige, aber sie alle stumm und ergeben vor dem Unabwendbaren. Fahle Gesichter, schmale Körper, frierend und sehr elend.

„Richtung! Vordermann!“ spricht jemand mit lauter Stimme. Doch es ist nur der Versuch eines Befehls.

Und in dieser Minute geschieht das Unfaßbare. -

Aus einem der Zelte tritt ein Mönch mit Kutte, Sandalen und dem derben Strick um den Leib. Er geht ganz langsam an den Kolonnen vorbei und er steht nun vor dem Lagerführer, der das eine 'sagt, was jeder von den Fünfhundert denkt:

„Wo kommen S i e denn her?“

„Aus Zelt 17!“ gab der Mönch so selbstverständlich zurück, als würde er sprechen: auch heute ist ein schlechter Morgen. .. Aber dann fügt er leise hinzu:

„Ich bin Sonderführer K. L. und — eben auch Ordensgeistlicher. Sie kennen mich doch schon lange, nicht wahr?“

„Und was wollen Sie in diesem . . .“ fragt der Lagerführer und er zeigt auf das fromme Kleid.

„Ich gehe jetzt zum Lagerkommandanten. Ich werde ihm unsere Lage schildern.“

Alle Augen sehen ihm nach, fünfhundert Männer wünschen ihm Erfolg — und jedes Herz dankt ihm,1 dem Unscheinbaren, dem Stillen, dem Kameraden.

Es ist ein guter Weg geworden und ein kleines Wunder. Die Mönchskutte sprengte alle Tore. Kein Posten mit Pistole oder Maschinengewehr wehrte dem Mann, keiner sah den Kriegsgefangenen. So tritt er nun wirklich vor den Kommandanten des Lagers der Abertausenden hin und er fordert nur eines: Humanität!

Dann ist er zurück. Die Tore, viele stachlige Tore, öffnen sich ihm wieder nach innen. Er kriecht unters Zelt, in eine dunkle Ecke, er ist eine Nummer und die Kutte liegt im Rucksack geborgen.

Von dieser Stunde an ist s so, als gäbe es im ganzen Lager nur mehr das Zelt 17. Jeder will den Mönch sehen, jeder ihm die Hand drücken oder gar ein winziges Geschenk geben, vielleidit eine Zigarette, ein Stück Brot.

Aber nun kommt noch jemand, der Adjutant des Lagerkommandanten. Auch der Sonderführer müßte sich wie der andere Haufen im Zelt erheben, doch er kann es nicht mehr. Er liegt matt und vom Fieber geschüttelt und er schaut den fremden Offizier nur groß an.

„Der Hauptmann möchte Ihren Ausweis sehen!“ übersetzt der Dolmetscher.

Ja, richtig, denkt wohl der Kranke und er lächelt vor sich hin. Kein Posten, nicht einmal der (Kommandant hatten einen Ausweis verlangt. Das Kleid allein sprach für ihn..

Jetzt hält er sein Soldbuch hin. Doch das will der Hauptmann nicht.

Ein zweitesmal greift der Soldat in die Rocktasche. Aus einem schmalen, zerlese-nen Buch, das ein großes Kreuz an der Stirne trägt, entnimmt er ein weißes Blatt. Das hat ihm sein Ordensoberer in Fulda gegeben. Das ist sein Patent in der großen Armee der Brüder in Mönchsgewand.

Der Offizier liest und er prüft das Bild und reicht endlich das Blatt mit einer kleinen Verbeugung zurück. —

Am selben Tag werden die Alten, die Kranken und alle vom Krieg schwer Gezeichneten in Baracken gebracht. Einige Tage später marschieren auch die anderen aus dem Schlammlager hinaus in ein festes Quartier auf trockenem Stein. Der Mönch hatte es erreicht.

An diesen Mönch werden wir immer denken und — doch auch nicht den jungen Tiroler Priester vergessen.

Er war einer der Unsrigen und er blieb der Unsrige auch als freier.Mensdi. Gestern noch Kriegsgefangener, ein Unteroffizier wie Hunderte andere, morgen — Lagergeistlicher. Er fuhr nicht nach Hause, er blieb und verschenkte sich. Und wir alle wußten, wie sehr er sich nach langer Kriegszeit in der Fremde, nach seiner Heimat sehnte, nach den Bergen.

Wenn der Posten ihn durch das Tor ließ, wußten wir — es ist Sonntag. Wenn er in seinem schlecht und schnellgenähten Zivil durch das Lager ging, hatte er immer eine Suite wie Napoleon in. seinen größten Jahren. Aber niemand sah den billigen, zerknitterten Anzug, wir sahen nur seine Augen, diese blauen, fröhlichen, guten Augen.

Sie konnten einfach nicht „nein“ sagen. So also drückte auch die Vorsehung im Falle unseres Tirolers gnädig beide Augen zu. Wäre dem nicht so gewesen, weiß Gott! lieber Freund, du hättest viele, viele Wochen bei Wasser und Brot und mit vier Decken auf dem nackten Boden in der engen Zelle absitzen müssen. Denn auf jeden geschmuggelten Brief standen 14 Tage Einzelarrest, eisern, ohne Pardon.

Ein Priester hat 'das Gebot von Menschen verletzt, aber er diente opferbereit dem höheren Gebot der Mensdilichkeit. Durch seinen Mut und durch seine Hand fanden einsame Männer nach langen, langen Monaten qualvoller Stille wieder eine Spur zur Familie.

Und wir stehen in Gedanken wieder, wie an den Sonntagen dieser harten Jahre, vor dem ach! soischlichten Tisch des Herrn. War es eine Zeltwand, war der hohe, blaue Sommerhimmel über uns, jagte ein Sandsturm daher, daß wir mit unseren Leibern einen Schutzwall vor dem Altar hinbauten, oder war es im Winter in der düsteren, eisigen Baracke — stet war diese Stunde Gnade und Wandlung.

Ein Wunder nahm diese Menschen leise an der. Hand.

Das Wunder sprach durch manchen Mund, am tiefsten und rührendsten aber durch jenen unseres Landsmannes aus Tirol.

Er nannte dies ganz einfach „Sprechabend“. Wer kommen wollte, kam. Und er begann im Lager der allerjüngsten Soldaten. Doch der Beginn war nicht ermutigend, o nein! Vielleicht waren es sieben Leute, viel mehr nicht. Diesen Sieben erzählte der Freund und Priester von seiner Jugend. Vom Bauernhaus in den Bergen ' mit dem lieben Herrgottswinkcl, von Rom und der Via Appia antiqua und dem Geläute von Sankt Peter, er erzählte von den Sternen und der ordnenden Kraft im Weltall und — vom Glück der Geborgenheit.

Die Sieben fehlten keinen Abend mehr. Uber einige Wochen waren es Sieben mal Sieben und dann Hundert und dann noch viel mehr.

Und es war wieder ein Sonntag im Drahtverhau, an dem diese Jugend vor dem Altar aus rohem Holz stand und in gelöster Versunkenheit das Knie beugte. Neben den Jungen neigten die Älteren das Haupt, die den Weg zurückgefunden hatten.

Wie haben da dein hellen Augen geleuchtet, du Priester aus der Heimat!

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