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Aus dunkler Zeit

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Als im Jahre 1956 die erste 1200 Seiten starke Ausgabe der Tagebücher Jochen Kleppers erschien, hatte sie in Österreich nicht die breite Resonanz wie in Deutschland. Das kann nun nachgeholt werden; die Deutsche Verlagsanstalt hat eine etwa um die Hälfte gekürzte preiswerte Volksausgabe dieser zeit- und geistesgeschichtlich hochinteressanten Tagebücher publiziert.

Die Aufzeichnungen Kleppers aus den Jahren 1932 bis 1942 dokumentieren eine Existenz aus dem Glauben an die Bibel, die dem preußischen Pfarrerssohn Weisung ist für sein Leben. Die „Losungen“ der Brüdergemeinde gelten ihm als Fingerzeige; er hat sie den meisten seiner Tagebucheintragungen vorangestellt.

Klepper war mit einer „Volljüdin“ verheiratet, die zwei „volljüdische“ Töchter in die Ehe mitbrach,te. Die Treue zu diesen geliebten Menschen kostete Klepper zunächst seine Stellung in Rundfunk und Presse. Später wurde er aus der Kulturkammer ausgeschlossen, was völliges Berufsverbot bedeutete. Eine „Sondergenehmigung“ erlaubte Klepper schließlich beschränkte schriftstellerische Tätigkeit; d. h. er mußte alle Arbeiten beim Propagandaministerium einreichen, das dann über eine Veröffentlichung entschied.

Aber wie wenig wiegen diese beruflichen Beschränkungen und Demütigungen gegenüber den persönlichen Gefährdungen, denen die Familie Klepper durch die Rassengesetzgebung ausgesetzt ist! 1939 gelingt es, die älteste Stieftochter Brigitte nach England zu bringen; die jüngere, Reni, muß wegen einer Erkrankung Zurückbleiben. Als 1942 die Deportationen der Juden Reni ernstlich gefährden, versucht Klepper durch Kontaktaufnahme zu prominenten Nationalsozialisten eine Ausreisegenehmigung für sie zu bekommen; vergeblich. Das Ende ist bekannt: im Dezember 1942 geht die

Familie Klepper gemeinsam in den Tod.

„Nachmittags die Verhandlung auf dem Sicherheitsdienst. "Wir sterben nun — ach, auch das steht bei Gott. — Wir gehen heute nacht gemeinsam in den Tod…“

Dies die letzte Eintragung in den Tagebüchern vom 10. Dezember 1942. Nicht seinetwegen, sondern um der geliebten Tochter willen, hat Klepper seinem Leben freiwillig ein Ende gesetzt. Er tat es auch als Christ. Reinhold Schneider, ein enger Freund Kleppers, vermerkt dazu in seinem Vorwort zu den Tagebüchern:

„Klepper hat die Seinen an der Hand genommen, als es kein Recht und keinen Schutz mehr gab, und ist mit ihnen vor den Richter, den schrecklichen Vater, geeilt, sich schuldig wissend und doch unergründlicher Gnade gewiß: gerade dieser Tod ist, von ihm her gesehen, zu einem Glaubenszeugnis und einem Zeichen der Treue geworden ..

So eindeutig und absolut Klepper sein persönliches Schicksal gelebt und erlitten hat, den allgemeinen Geschehnissen gegenüber zeigt er sich lange als ein beinahe naiv Gutgläubiger und Gutwilliger. Achtung vor der Obrigkeit ist diesem preußischen Christen selbstverständlich; erst nach den Synagogenbränden im November 1938 rückt er von ihr ab. Sogar den Krieg der Nazis bejaht Klepper zunächst, verbringt ein glückliches Jahr als Soldat am Balkan. Als er 1941 wegen seiner nichtarischen Ehe als „wehrunwürdig“ entlassen wird, empfindet er das als Demütigung.

Von allen Seiten gerät dieser Mann in ausweglose Konflikte: in persönlicher Hinsicht durch die Gefährdung der ihm liebsten Menschen; seine nationalen Bindungen erweisen sich als unvereinbar mit seinen religiösen und ethischen Grundsätzen. Nur als Christ erfährt er, noch im unabwendbaren Untergang, die Tragfähigkeit eines Glaubens, der auch das dunkle

Ende als Gottes Ratschluß annimmt.

„Wahrscheinlich verstand er dieses Verlassensein, das Scheitern aller seiner ritterlichen Mühen, den totalen Verrat der „Welt“ als Gottes Ruf, das Versagen der Hilfe als Gottes Anwesenheit…“

So interpretiert Reinhold Schneider den Freitod Kleppers, der ein Opfer war; ein Tod unter dem Kreuz.

UNTER DEM SCHATTEN DEINER FLÜGEL. Von Jochen Klepper: Aus den Tagebüchern der Jahre 1932 bis 1942. Volksausgabe. Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart 1971, 671 Seiten.

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