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Der Untergang des Rechtsstaats - das Werk der Stadt-Guerilla

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Die gleichzeitig in Argentinien und in der Bundesrepublik ausgebrochene Diskussion, ob die Todesstrafe ein wirksames Mittel gegen Terrorismus sei, weist auf eine aktuelle Parallele im Szenarium des Terrors hin: Es bestehen unübersehbare internationale Verflechtungen der verschiedenen Stadt-Guerilla-Bewegungen. In Lateinamerika haben sich die subversiven Gruppen von Argentinien („ERP“- „Ejėrcito Revolucionario del Pueblo“ - „Revolutionäres Volksheer“), Chile („MIR“ - „Movimento Izquierdista Revolucionario“ - „Revolutionäre Linksbewegung“), Bolivien („EIM“ - „Ęjėrcito de Liberaciön Nacional“ - „Nationales Befreiungsheer") und Uruguay („Tupamaros“) in der „Junta de Coordinaciön Revolucionaria“ („JCR“ - „Ausschuß für revolutionäre Zusammenarbeit“) zusammengeschlossen. Was die internationale Verkettung der Rechtsextremisten anbetrifft: Erst kürzlich wurde in der Entführungsaffäre des italienischen Industriellen Luchini Revelli-Beaumont eine argentinische Verbrecherbande verhaftet, deren Wurzeln bis in die berüchtigte rechtsextremistische Organisation „Tacuara“ reichen.

Die lateinamerikanische Stadt-Guerilla ist Vorläufer und Vorbild der Baader-Meinhof-Gruppe, mit der sie vor allem Ideologie und Methoden gemeinsam hat Wer vor fünf Jahren vor einem Übergreifen der lateinamerikanischen Revolutionsbewegungen auf die Bundesrepublik warnte, erhielt stets zur Antwort: „In der BRD herrschen doch völlig andere wirtschaftliche Verhältnisse“. Tatsächlich werden Fanatiker aber nicht durch soziale Not zu ihren Bluttaten getrieben!

Es war eine leicht ironische Übertreibung, wenn es hieß, nur Akademiker würden zu den „Tupamaros“ aufgenommen werden. Unter den „Tupamaros“ gab es kaum Arbeiter, überhaupt keine Rentner, sondern gut situierte Ingenieure, Professoren, Ärzte und Kinder reicher Familien. Sie alle vereinigte der Haß gegen das herrschende Regime.

Zur Rechtfertigung der „Tupamaros“ wurde in Europa zuweilen argumentiert, daß sie gegen ein „ausbeuterisches und repressives System“ kämpfen würden. Dabei wurden jedoch Ursache und Wirkung verwechselt: Als die „Tupamaros“ begannen, Bomben gegen den Staat zu werfen, war Uruguay noch eine lateinamerikanische Musterdemokratie. Die Militärs übernahmen die Macht, weil die zivilen Parteien versagten und die Polizei mit rechtfestaatlichen Mitteln keine Chance mehr gegen die Terrpri- sten hatte. Sowohl die uruguayischen „Tupamaros“ als auch die argentinischen „Montoneros“ hielten die Repression für nützlich, da sie damit rechneten, daß Unterdrückungsmaßnahmen die Masse empören und einen Großteil davon in ihre Arme treiben würde.

Aber gerade darin liegt der große Irrtum: Mit den Attentaten, Entführungen und bestialischen Morden schreckten sie das Volk nur ab, dem eine Militärdiktatur als geringeres Übel als eine marxistische Gewaltherrschaft erschien.

Die ideologische Ausrichtung der Guerilla in Südamerika ist schon deshalb schwierig zu definieren, weil Rechts- und Linksextremisten häufig nicht klar zu unterscheiden sind und zwischen beiden Lagern ein ständiger Wechsel im Gange ist. Hinzu kommt, daß die Führer der Subversion sich zum größten Teil darauf beschränken, den Sturz der „Oligarchie“ und der „imperialistischen Kräfte“ zu fordern, ohne Richtlinien für die Zukunft festzulegen. Ex-Ideologen der Subversion wie Chö Guevara und Regis Debray haben klar zum Ausdruck gebracht, daß eine gemeinsame revolutionäre Zielsetzung nicht angebracht sei, weil dadurch die Einheit der Guerilla zerstört würde. So haben sich beispielsweise die „Tupamaros“ nie festgelegt, ob sie Moskau, Peking oder Havanna folgen sollten, obwohl die Ablehnung der Gewalt in Lateinamerika durch die sowjetische KP dazu führte, daß Parteikommunisten niemals Mitglieder der Guerilla werden konnten.

Der große Fehler, der bei der Beurteilung aller extremistischen Gruppen gemacht wird, ist, daß man mit ihrer Vernunft rechnet, Dächten sie klar, würden sie die Sinnlosigkeit ihrer Attentate einsehen. Sie ähneln religiösen Wahnsinnigen, die gegen den Teufel, der für sie der Staat ist, kämpfen.

Das lateinamerikanische Vorbild rechtfertigt Willy Brandts Warnung, daß die Terroristen den Totengräbern der Weimarer Republik ähneln. Ein großer Teil der emigrierten lateinamerikanischen Politiker, die sich jetzt in den USA und Europa als Rufer für die Rückkehr zur Demokratie auszeichnen, hat mit der indirekten Unterschätzung der Terroristen oder dadurch, daß sie Parteizwistigkeiten für wichtiger hielten als die Verteidigung der Demokratie, entscheidend zur Zerstörung des demokratischen Rechtsstaats beigetragen.

Während die argentinische und die uruguayische Regierung jede Verhandlung mit Terroristen ablehnt, weil sie wissen, daß sie mit Ultimaten keinen Erfolg haben, hatte die brasilianische Regierung nach der Entführungswelle, die den nordamerikanischen Botschafter Burke Elbrick den deutschen Ehrenfried von Holleben und den Schweizer Botschafter Giovanni Enrico Bucher traf, den Forderungen der Terroristen nachgegeben und die hauptbelasteten Aktivisten gegen die Freilassung der Diplomaten ausreisen lassen. Seitdem verhaftet man in Brasilien keinen bekannten Terroristen mehr: Er wird im Kampf erschossen.

Der Untergang des Rechtsstaats in Lateinamerika ist nicht das Werk der Generäle, sondern zum Großteil das der Terroristen.

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