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Digital In Arbeit

Die Krise kommt sicher

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FURCHE: Sind Sie momentan noch politisch aktiv?

VACLAV MALY: Mir sind in der jüngsten Zeit viele politische Funk- tionen angeboten worden. Ich habe das alles aber abgelehnt, weil ich in erster Linie Priester sein möchte.

FURCHE: Haben Sie Kontakt mit Vaclav Havelund Ihren Freunden, in der Regierung?

MALY: Ich informiere meine Freunde, was unten an der Basis passiert und gedacht wird. Havel und die Regierung haben momen- tan nicht viel Zeit für normale Kontakte mit der Basis - obwohl Havel ein exzellenter Präsident ist.

FURCHE:Was denkt die Basis heute in der CS FR?

MALY: Sie will den Versiche- rungen unserer Minister - vor al- lem Finanzminister Vaclav Klaus' - Glauben schenken, daß unsere zentral organisierte Ökonomie in kürzester Zeit in einen freien Markt übergeführt werden kann.

FURCHE: Was sagten Sie dazu?

MALY: ...,daß das nicht möglich sein wird. Unsere optimistisch ge- stimmte Regierung verschweigt, daß Krisen notwendig auf uns zu- kommen.

Niemand spricht bei uns davon. Niemand stimmt die Menschen psychologisch auf diese Herausfor- derung ein. Was Havel über die moralische Erneuerung unserer Ge- sellschaft sagt, ist großartig; aber die Bürger verlangen konkrete Veränderungen, sie sind ungedul- dig. Und ihnen muß man ehrlich sagen, daß wir für den wirtschaftli- chen Aufbau unseres Landes bis zu zehn Jahre brauchen werden. Se- hen Sie, in den unrentabel gewor- denen Braunkohlerevieren werden Zehntausende Arbeiter entlassen werden müssen. Unsere ganze In- dustrie muß umstrukturiert wer- den. Es gibt Arbeit für eine ganze Generation.

Viele befürchten den Verlust ih- res bisherigen Lebensstandards. Deswegen denken unsere Leute auch nicht über die globale Bedeu- tung der Umweltfrage nach. Bei uns wird einseitig auf ökonomi- schen Fortschritt gesetzt. Die Bür- ger werden sich aber entscheiden müssen: Ökonomische Fragen dür- fen nicht ohne Berücksichtigung der Ökologie angegangen und gelöst werden. ,

Ich spreche beispielsweise ganz offen über die bevorstehenden Schwierigkeiten, weil ich eine ef- fektive Politik will, und die ist ohne klare Worte nicht möglich.

FURCHE: Was erwarten Sie von den Wahlen?

MALY: Es sind Partei-Wahlen, worüber ich nicht glücklich bin. Wir brauchen Persönlichkeiten und hervorragende Programme. Ich hätte mir vorstellen können, daß sich Persönlichkeiten, nicht Par- teien der Wahl stellen.

FURCHE: Welcher Kurs soll von der Regierung und vom Präsiden- ten Havel nach den Wahlen einge- schlagen werden?

MALY: Ich hätte gerne eine Ak- zeleration auch in inneren Angele- genheiten unserer Republik. Mo- mentan kümmert man sich nur um die Europäische Sicherheitspolitik, die innenpolitische Situation hin- gegen ist miserabel. Ich wiederho- le: Man muß unsere Bürger aus ihrer geschichtsbedingten Unfreiheit herausholen, sie befähigen, ihr Leben selbst in die Hand zu neh- men. Sonst wird bald der Vorwurf kommen, unter den Kommunisten sei die Lage stabiler gewesen.

In unserem irreversiblen Umge- staltungsprozeß gilt es, die Ressen- timents der Bürger gegenüber dem unsicheren Neuen abzubauen. Das kann nur geschehen, wenn man die wahre Lage unseres Landes und seine Probleme nicht kaschiert. Ich bewunderte seinerzeit den kommu- nistischen ungarischen Minister- präsidenten Käroly Grösz, der den Ungarn klipp und klar sagte, daß sie Verbesserungen ihrer Lage erst in einem Jahrzehnt zu erwarten hätten.

Bei uns wird momentan so getan, als ob in einem Jahr alles anders sein werde. Das kann nur zu größ- ten Enttäuschungen führen. Die Leute werden nicht acht, sondern zwölf oder sechzehn Stunden ar- beiten müssen.

FURCHE: Bedrohen die Kommu- nisten diesen Prozeß?

MALY: Sie provozieren zwar überall, verlegen sich auf Störak- tionen, aber ich glaube nicht, daß es sie nach einer Machtübernahme ge- lüstet. Sie könnten sich, da sie weder Vordenker noch brauchbare Öko- nomen haben, in der veränderten nationalen und internationalen Welt überhaupt nicht mehr zurecht- finden. Sie gehören in die Opposi- tion.

Mit dem Priester, Chartisten und Bürger- rechtler Maly (40) sprachen Robert Kiss Szemän und Franz Gansrigier.

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