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Ein Chamäleon der Macht

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Die Bildung eines kommunistischen und prosowjetischen Staates inmitten der westlichen Welt macht die nunmehr zwanzigjährige Herrschaft Fidel Castros zu einem außergewöhnlichen Ereignis. Die Ansichten über ihn sind geteilt: Für seine Anhänger ist er ein genialer Staatsmann, der im Innern die Massen mitreißt, das Analphabetentum beseitigt, modernste sanitäre Zustände geschaffen und gleichzeitig beispiellose internationale Erfolge aufzuweisen hat. Für seine Gegner ist er ein bärtiger Teufel, der die Ruhe vieler Konti* nente stört und es noch nicht einmal fertiggebracht hat, sein Volk ohne Rationierungskarten essen zu lassen.

Als Fidel Castro vor 20 Jahren -weniger durch sensationelle Guerilla-Aktionen als durch den Zusammenbruch des verfaulten korrupten Regimes Batistas - an die Macht kam, reiste er erst durch die lateinamerikanischen Hauptstädte und ließ sich von den Liberalen als „Befreier vom kolonialen Joch“ bejubeln. Der Präsident Dortices sagte auf einer Pressekonferenz in Montevideo: „Wir sind keine Kommunisten, wie schon unsere guten Beziehungen zur Kirche beweisen. Unsere Farbe Ist nicht Rot - sondern - wie unsere Uniform - Grün.“

Die Lesart, Fidel Castro habe eine „kommunistische Revolution“ begonnen, ist geschichtsfälschend. Ob die nordamerikanische Reaktion auf die Enteignungen - etwa das Inbrandsetzen von Zuckerplantagen -oder andere Umstände Fidel Castro in die Arme Moskaus getrieben haben, ist umstritten.

Jedenfalls ist die Bewunderung, die ihm vor 20 Jahren lateinamerikanische und etwas später europäische Linke entgegenbrachten, verschwunden. Sie rührte daher, daß er eine Alternative bei der Verteilung der Welt zwischen der nordamerikanischen und der sowjetischen Großmacht zu bieten schien.

Castro hat die Erwartungen seiner linken Bewunderer enttäuscht, indem er die frühere Abhängigkeit von den USA nur gegen die jetzige von der UdSSR eintauschte. Zudem schlugen seine Lehren für den Gue-

rilla-Kampf nicht ein. „Che“ Guevaras Untergang in Bolivien 1967 beendete praktisch die ländliche Guerilla, während der städtische Terror seinen Methoden widerspricht.

Die letzten Nachrichten, daß Castro die „Sandinistas“ in Nikaragua instruiert und bewaffnet, bestätigten sich nicht. Aber er versteht es meisterhaft, Fiktionen aufrecht zu erhalten. So kämpfte er wild gegen „Interventionen“ in anderen Ländern, billigte es jedoch, daß sowjetische Tanks 1968 in die Tschechoslowakei

einrollten und heute greift er mit Zehntausenden von Soldaten selbst auf dem afrikanischen Kontinent ein.

Moskau zahlt ihm das Vierfache des Weltpreises für den kubanischen Zucker. Kuba gehört zum „Come-con“ und hängt wirtschaftlich, militärisch und politisch von Moskau ab, bildet also de jure und de facto einen Bestandteil des Ostblocks. Gleichzeitig spielt Castro eine führende Rolle innerhalb der „blockfreien Staaten“, die ihre nächste Generalversammlung in Havanna abhalten werden.

Dieses Chamäleon der Macht hat Sich in den letzten 20 Jahren so durchgesetzt, daß es sich erlauben kann, mit den Feinden von gestern großzügig Frieden zu schließen. So hat Castro eine Delegation der anti-castriatischen Emigranten aus Miami nach Havanna eingeladen und einen freien Verkehr zwischen den feindlichen Zonen eingeleitet, wie man ihn anderswo zwischen dem Westen und dem Ostblock nicht kennt.

Nicht nur die 3000 (von 3600) politischen Gefangenen, die er freilassen will, sondern auch bis zu 50.000 ausreisewillige Kubaner können das Land verlassen, soweit die USA und andere Staaten sie aufnehmen. Umgekehrt werden viele emigrierte Kubaner, deren Zahl man noch nicht kennt, aus Miami in ihre Heimat zurückkehren dürfen.

Den Gipfel dieser Entwicklung wird die Aussöhnung mit den USA darstellen. Vor kurzem wurde verspätet enthüllt, daß Moskau Kampfflugzeuge vom Typ MIG 23 an Kuba geliefert habe; aber Carter akzeptierte die offizielle Erklärung Breschnews, daß sie keine Atomwaffenträger seien, und der vorübergehend verdüsterte Horizont klärte sich wieder etwas auf.

Die Normalisierung der Beziehungen Kubas zur westlichen Welt, die das zwanzigjährige Jubiläum des erfolgreichen Ex-Guerilleros kennzeichnet, geht in komplizierten Formen gradweise vor sich. Mexiko hat die wirtschaftlichen Beziehungen niemals abgebrochen; die westeuropäischen Länder - unter ihnen die Bundesrepublik Deutschland - beliefern längst die Zuckerinsel. Castro bjaucht die westliche Technologie zur Industrialisierung seines Landes.

Anderseits ist die Öffnung des kubanischen Marktes auch den nordamerikanischen Geschäftsleuten erwünscht, die schon zu Hunderten Havanna bevölkern. Es wird gewiß noch einige Zeit dauern, bis sich US-Präsident Carter und Castro in den Armen liegen, und eine der offenen Fragen bleibt, ob die USA ihren Stützpunkt Guontänano auf Kuba bei dieser Gelegenheit opfern werden.

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