7056851-1991_21_11.jpg
Digital In Arbeit

EINE REGION TROTZ TRENNENDER SPRACHGRENZEN

Werbung
Werbung
Werbung

Jede Nachbarschaft von Völkern steht unter bestimmten historischen, politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Voraussetzungen. Im Falle der Nachbarschaft Österreichs und Sloweniens, im weitesten Sinn auch des nördlichen Teils des südslawischen Gebietes und des südlichsten Teils des deutschsprachigen Raumes, geht es aber um eine mehrschichtige Komplexität der bedeutenden geistesgeschichtlichen Entwicklungen, die vor allem die Slowenen, aber auch den südlichsten Teil des deutschsprachigen Raumes maßgebend geprägt haben.

Die Geschichte, auch die Entwicklung der beiden Sprachkulturen und ihrer Literaturen, zeigen die über ein Jahrtausend gehenden Gemeinsamkeiten. Das Trennende nationaler Gegensätze und feindlicher Stimmungen ist erst jüngeren Datums, hat aber Slowenen und deutschsprachige Österreicher traumatisiert und die Entwicklung von mehr Toleranz in Kärnten, in der Steiermark und auch in Slowenien oft stark behindert.

Es verbindet uns trotzdem, wie zu hoffen ist, nicht nur eine neue Zukunft, sondern eine spezifische, nur uns eigene Geschichte. Gleichzeitige Christianisierung im 8. Jahrhundert und der gemeinsame Aufbau der kirchlichen Strukturen von Freising und Salzburg aus, die gemeinsame Ordnung des bäuerlichen Wirtschaftens verbinden Slowenen und Österreicher ebenso wie die besondere Form der Adelsherrschaft, der Feudalität und des städtischen Zunft- und Gewerbewesens. Es verbindet uns die gemeinsame Welle der religiös-kirchlichen Erneuerungsbewegung in der lutherischen Reformation, deren geistige und

organisatorische Stützen auch für das Herzogtum Krain nach dem Einsetzen der österreichischen gegenrefor-matorischen Repression in Tübingen und Urach lagen. Es verbindet uns der gemeinsame Kampf gegen die Türkeneinfälle und das sehr stark ausgeprägte gemeinsame Erleben des katholischen Barocks im weitesten Sinne dieses Begriffes. Die gemeinsame Neuordnung des Staates und der Gesellschaft durch Maria Theresia und Joseph II. und die kakanische Epoche des Spätreiches unter Franz Joseph I. sowie das Erlebnis der Schrecknisse des Ersten Weltkrieges und des Zusammenbruches derk.u.k. Monarchie sind weitere bedeutende Fixpunkte unserer Gemeinsamkeiten, die sich reichlich in der literarischen, geistigen oder künstlerischen Ausprägung widerspiegeln.

Slowenisch-deutsches Idiom

Viele gemeinsame oder sehr ähnliche Volksbräuche und Sitten zeigen zusätzlich, daß diese Gemeinsamkeiten nicht nur politischer, wirtschaftlicher oder kultureller Natur sind, sondern ihre Wurzeln tief in der Seele der beiden Völker und Sprachen ausgebreitet haben. Darum ist diese Gemeinschaft immer sehr produktiv gewesen, aber auch schwierig und sogar gefährlich.

Es gibt so etwas wie das slowenisch-deutsche Idiom. Die unzähligen Überschreitungen und Überwindungen der immer wieder historisch, politisch oder ideologisch erzwungenen Konfrontationen, die reale Wirklichkeit des völkischen Zusammenlebens auf einem relativ engen Raum, die hinter den Fassaden des emotionellen Hasses und der offiziellen Ge-

schichtsschreibung steht, die uns oft blind für die mehrschichtige Komplexität der nationalen, politischen, ökonomischen und sozialen Entwicklungen inmitten einer multinationalen Gesellschaftsschichtung der europäischen Welt gemacht hat, sprechen - trotz allem - oft eine andere, bessere Sprache.

Was sich in der Geschichte des österreichischen Staates in literarischer Hinsicht abgespielt hat, war keineswegs nur deutschsprachiges literarisches Leben. Vor hundert Jahren brachten einige anerkannte einheimische Literaturzeitschriften wert-

volle Berichte über das literarische Leben im österreichischen Großraum; Notizen über die tschechische, polnische, italienische, magyarische, kroatische und ruthenische beziehungsweise ukrainische Literatur. Nichtdeutschsprachige Autoren stellten sich mit deutschen Übersetzungen ihrer Werke vor, unter ihnen auch die slowenischen, obwohl gerade dieses Volk in den Augen des großdeutschen Chauvinismus als ein geschichtslo-ser, demnach auf einer niedrigeren Stufe stehender Volksstamm galt. Aus Gründen der Objektivität müssen wir aber auch festhalten, daß nicht alle

deutschsprachigen Kreise antislowenisch eingestellt waren.

Verlorene Kulturgeschichte

Es stellt sich die Frage, ob uns nicht ein Teil unserer gemeinsamen Kulturgeschichte abhanden gekommen ist, als wir die humane, die verbindende, auch religiös noch fest in der Praxis des mitteleuropäischen Lebens verankerte Komponente unserer Kulturen in den unheilvollen politischen Ereignissen der beiden letzten Jahrhunderte manchmal aus den Augen verloren haben.

Das letzte große gemeinsame slowenisch-österreichisch-deutsche Erlebnis - allerdings negativ - war der Erste Weltkrieg. Die Staaten und Nationen zerbröckeln, in der gespenstischen Mechanik des Krieges fällt das Menschliche auseinander und verschimmelt.

Trotz des Verbindenden in der Geschichte erweist sich das Trennende des völkischen Ursprungs mit der Verschiedenheit der Sprachen manchmal als die Grenze des Verstehens einer anderen Wirklichkeit. In den Räumen, wo sich die beiden Volksgruppen beziehungsweise Sprachen und Kulturkreise überschneiden, profitieren aber - im Gegenteil zur engstirnigen Meinung - die beiden Seiten. Auch die deutschsprachige Literatur in Kärnten und in der Steiermark gewinnt gerade durch die neue, offenere kritische Generation neue, subtile Züge, die für das deutsche Schrifttum in den anderen Gegenden nicht typisch sind. Auch das zeigt, daß die Zwischenräume von einem Land zum anderen, von einer Sprachkultur zur anderen kleiner sind, als wir manchmal vermuten.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung