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AUS ÖSTERREICHS SÜDEN

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Österreich — das war und ist teilweise auch heute noch das Synonym für Vielgestaltigkeit und bunte Mannigfaltigkeit von ethnischen und kulturellen Bestrebungen. Der, wie es nach der Katastrophe des beginnenden 20. Jahrhunderts den Anschein hatte, nicht lebensfähige Rumpf hat inzwischen längst bewiesen, daß in ihm politische und kulturelle Reserven schlummern, die zu wecken erst dem festen Glauben ah die eigene Lebensfähigkeit gelungen war.

Wenn wir den Abglanz der alten Vielfalt, der heute etwa bei den Slowenen in Kärnten wieder zu neuem Leben zu erwachen beginnt, gerecht beurteilen wollen, müssen wir bei der Betrachtung dieses literarischen Lebens historische Gegebenheiten mitdenken. Manches für unsere Begriffe „nationale“ Bekenntnis dichterischen Wortes werden wir als Bestrebung deuten müssen, dem massiven deutsch-nationalen Drang nach dem Süden, der in schlimmen Jahren des 19. Jahrhunderts und in den für die Slowenen und alle aufrechten Österreicher so tragischen Jahren Hitler-Deutschlands elementare Gestalt annahm, in einer Art Igelstellung zu begegnen. Man wird nicht jedes Wort auf die Waagschale selbstzufriedener Nur-Kunst-Kniterien legen dürfen; diese Dichtung ist teilweise engagiert im guten Sinne des Wortes, weil sie es sein muß nach bitteren Erfahrungen der Vergangenheit.

Die Lostrennung Sloweniens von Österreich nach dem ersten Weltkrieg tat das ihre, um die Slowenen Kärntens in eine kulturelle Isolation zu drängen, die sich in Schweigen und zeitweiser schöpferischer Sterilität kundtat. Die großen Zusammenhänge waren zerrissen. Der jetzigen Nachkriegsgeneration blieb es Vorbehalten, aus diesem geistigen Ghetto hinauszustreben, ohne Eigenart und Klangfarbe dadurch aufzugehen. Diese jungen Menschen suchen und finden den Anschluß an die Gegenwart in ihren vielen Erscheinungsformen. Doch vorab wollen Wir die Wachstumsbedingungen sehen, aus denen diese Dichtung geworden ist.

„Man sagt, daß es unser Kärnten nicht mehr gibt, daß es zerbrach Wir wollen sehen, ob es unser Kärnten wirklich nicht mehr gibt. Wir wollen den Wanderstab nehmen und unser Volk suchen gehen. Man muß ausdauernd suchen, man muß einen unbeugsamen Nacken haben und auf das weiche Stöhnen der Glocke im Turm lauschen, und wenn dabei auch das eigene schmerzerfüllte Herz zu weinen beginnt! Das wird unser Wachsen, unsere Armut, unser All tag sein ln der Umarmung der Liebe und des Erzitterns winden sich junge Triebe aus dem Setzling zarter Pflanzung.“

Diese Worte schrieb der Redakteur und Prosaist Florian Lipusch unter dem Pseudonym Boro Kostanek in der mit „Unser Morgengebet“ überschri ebenen Einleitung zur ersten Nummer der literarischen Zeitschrift „Mladje“ (Jungholz, 1960). Gewidmet ist diese Einleitung den „samorast- niki“ — denen, die aus eigener Kraft groß geworden sind.

Prezihov Voranc, der neben Ivan Cankar bedeutendste slowenische Prosaist unseres Jahrhunderts, schrieb eine Erzählung, „Samorastniki“, die von einem harten, auf sich selbst angewiesenen Geschlecht erzählt, das in den Kärntner Bergen lebt. Seither ist dieser Begriff bei den Slowenen Sinnbild geworden für den Autodidakten, dem die utra- quistische (zweisprachige) Schule der Zwischenkriegszeit nicht das nötige geistige Rüstzeug mitgeben konnte und der daher durch Selbststudium, Lektüre und Kulturarbeit auf dem Dorfe aus eigener Kraft wachsen mußte. Prezihov Voranc, selbst aus jenem Teil Kärntens stammend, der nach dem ersten Weltkrieg zu Jugoslawien kam, war in seiner Jugend auch auf die Lektüre von Büchern der Klagenfurter Hermagoras-Bruderschaft angewiesen, die jährlich an ihre Mitglieder eine beachtliche Buchgabe versandte. Diese Gesellschaft wurde urh die Mitte des vorigen Jahrhunderts, als Klagenfurt für längere Zeit der kulturelle Mittelpunkt der gesamtsloweniischen Bewegung war, gegründet. Im Jahre 1918 zählte die Hermagoras-Bruderschaft bereits 90.512 Mitglieder, das ist für ein Einmillionenvolk, wie es die Slowenen damals waren, eine ganz beachtliche kulturelle Leistung.

Diese ruhmreiche Tradition begann später zu verblassen. Die Entwicklung, die bereits einleitend aufgezeigt wurde, führte dazu, daß kulturelles Leben nur noch in dörflichen Vereinen, in Veranstaltungen, Theateraufführungen und Liedkonzerten blühte, während die Gefahr des Isolationismus infolge Mangels an produktiver Kulturtätigkeit immer größer wurde. Wenn es solche Versuche trotzdem gab, so waren sie meist zutiefst provinzialistisch.

Die Reaktion konnte nicht ausbleiben. In der erwähnten literarischen Revue „Mladje“ muß man den krampfhaften Versuch junger Kräfte sehen, die Barrieren der kulturellen und volklichen Ghettostellung zu durchbrechen, hinter die sich die Kärntner Slowenen — historisch bedingt — nur allzu gerne verschanzten. Das alles aber bedeutet nicht, daß die für diese Zeitschrift (von der bisher sechs Folgen erschie nen sind), arbeitenden jungen Leute, Lyriker, Prosaisten, bildende Künstler (unter den letzteren ist der bedeutendste Valentin Oman, der sich bereits einen über Österreichs Grenzen hinausgehenden Namen geschaffen hat), nicht dem heimatlichen Boden verbunden seien, sie suchen nur einen anderen, „re-aktionären“ Weg (im Sinne Hegels), diesen Fragen und Antworten Gestalt zu geben. Zum Problem der scharfen Reaktion auf provinzialistische literarische Bestrebungen tritt noch das Generationsproblem. Die ältere Generation fühlt sich vor den Kopf gestoßen, in diesem oder jenem Falle sicher berechtigt, da die Jungen nicht immer das richtige Wort finden, um auszugleichen. Gerade ein Kärntner Literaturstreit entwickelte sich um die Frage, ob die jungen Literaten dem einfachen Volke verständliche Dichtung schreiben sollten, oder ob nur künstlerisch- ästhetische Maßstäbe maßgebend sein dürften. Die Fronten beginnen sich heute allerdings zu lockern, einerseits, weil die Mitarbeiter bei der Zeitschrift „Mladje“ einsehen gelernt haben, daß sie in manchen ihrer Ausdrucksformen verstiegen waren, anderseits, weil auch die „Gegenseite“ das literarische Experiment als Faktor des Fortschritts teilweise anerkennt.

Nach der großen Weltkatastrophe begann 1945 auch bei den Kärntner Slowenen das Atemholen für einen neuen Anlauf. Ein literarisches Leben entfaltete sich vorerst allerdings nur in Wochen- und Monatsschriften, so vor allem in der katholischen Monatsschrift „Vera in dom“ (Glaube und Heim). Im bischöflichen Knabenseminar in Tanzenberg begannen die slowenischen Studenten mit der zeitweisen Veröffentlichung ihrer literarischen Versuche in der hekto- graphierten Schrift „Kres“ (Sonnwendfeuer), die Schüler der Klagenfurter Lehrerbildungsanstalt aber versuchten sich literarisch in ihrer „Setev“ (Saat). Aus den Mitarbeitern dieser nicht über bescheidene literarische Versuche hinausreichenden Schriften rekrutieren sich hauptsächlich die „Mladjevci“, die späteren Mitarbeiter bei „Mladje“.

Im Jahre 1952 hat die slowenische Kärntner Heimatdichterin Milka Hartmann im Hermagoras-Verlag ihre Gedichtsammlung „Moje grede“ (Meine Gartenbeete) herausgegeben. Es ist die Welt der bäuerlichen Bräuche, der Naturverbundenheit, der ländlichen Liebe und der starken Verwurzelung in einer von Gott gefügten Ordnung, die aus ihren Versen lebendig wird. Die Dichterin gehörte und gehört auch heute noch zu den treuesten Mitarbeiterinnen der katholischen slowenischen Wochen- und Monatsschriften.

Sein erstes Gedicht veröffentlichte der heute 38jährige Lehrer Valentin Polansek im Jahr 1949 in der Wochenschrift „Koroska Kronika“ (Kärntner Chronik). Sein Leben ist innig verwoben mit seinen ausdrucksstarken Gedichten, ein Leben, das aus sozialem Elend hineingestellt war in die harte Wirklichkeit nazistischen Terrors. Die Kräfte — das spürt man deutlich —, aus denen seine Verse gewonnen sind, schöpfte er aus heimatlicher Scholle, so im „Bild des Bauern“. Dieses Gedicht, das, wie auch alle anderen Beiträge, vom Autor dieser Zeilen übersetzt wurde, stammt aus der in der

Verlagsanstalt „Drau“ (Klagenfurt-Ferlach) 1963 erschienenen Gedichtsammlung „Grape in sonce“ (Gräben und Sonne). Im Gegensatz zu den volksliedhaften Gedichten Milka Hartmanns — einige von ihnen sind zu Liedern geworden (siehe Jahresbericht des Bundesgymnasiums für Slowenen, 1961 62, S. 39 ff.) — spürt man aus Polanseks Gedichten da und dort schon eine zeitbezogenere Problematik.

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