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Mein Weg zu den Slowenen

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Als wir in den dreißiger Jahren von Althofen nach Klagenfurt übersiedelten und Östlich der Stadt auf dem Feld zwischen Pischelsdorfer und Völkermark-ter Straße bauten und wohnten, sprach fast noch das ganze Volk von Bauern, Arbeitern und Arbeitslosen um uns herum Slowenisch. Dort auf dem Gebiet der damals selbständigen Gemeinden St. Peter, St. Jakob an der Straße und Oberhaidach habe ich auch zuerst slowenischen Gesang gehört, und das führt mich im Geiste immer wieder dorthin zurück. Aber noch mehr! Dort auf der Heide habe ich zum erstenmal den Namen Cankar gehört.

Mein Bruder Josef hatte die Geschichte vom Knecht Jernej aus der Slowenischstunde nach Hause gebracht. Sie schlug auch mich in ihren Bann und hieß mich nach Cankars Schriften suchen.

Dann kam Benndorf und führte mich weiter. Er war mit slowenischen Gelehrten befreundet und riet mir nun, dem „heimatlichen Harme” nach Laibach zu entfliehen. Ich war sofort bereit, und er gab mir eine Empfehlung an den Bibliothekar Joza Glonar mit. So kam ich.

Klagenfurt war damals noch eine schöne Stadt—ich verweise nur auf den Kardinalsplatz einst und jetzt. Laibach war nicht nur größer, es war auch monumentaler. Der Genius loci hatte dort allenthalben Zeichen von historischer Bedeutung und Denkmäler aufgerichtet, die den Wanderer Schritt für Schritt ins Geheimnis zogen. Geistige Nationalität schien öffentlich in strenge Form verwandelt. Das allgemeine Gepräge war noch das einer altösterreichischen Stadt; es hielt sich innerhalb eines Zirkels, der auch Brünn, Graz, Agram, Görz umschloß, und es war mehrfach von Wien bestimmt.

Im 18. Jahrhundert war der italienische Einfluß größer. „Dann kamen die .Grazer*”, wie Ravnikar sagte. Im 20. Jahrhundert kam Plecnik. Er hat der Stadt wie kein anderer den Zirkel aufs Herz gesetzt — er war aber nicht allein. Die Konkurrenz war groß; eine ganze Schar von Architekten hat damals Bleibendes geschaffen. Dennoch war es Pleönik vergönnt, auf dem Bauplatz von Laibach lebenslänglich der Erste zu sein.

Als Glonar mich durch die Bibliothek führte, die Plecnik gebaut hatte, war mir gleich klar: ich hatte noch nie so ein Haus gesehen! Und die Tatsache, daß es neu war, hatte etwas Unglaubliches. Es schien mir auf eine zeitwidrige Weise brauchbar und schön zu sein.

Nun muß ich noch von einer anderen Gunst erzählen, die Glonar mir erwies. Er führte mich in ein Wirtshaus, das irgendwo zwischen Dom und „Peglezen” stand.und präsentierte mich dort einer Tischrunde, die ihn mit lautem Zuruf begrüßte. Die versammelten Männer hießen: Plecnik, Stele, Finzgar, Pirjevec, Ter-seglar, Novacan und Stritoff.

Da hörte ich erst Slowenisch mit dem ganzen Reichtum seiner Kraft; und aus Rücksicht auf den fremden Gast ein niegehörtes sorgfältig gesprochenes zierliches Deutsch. Bei solcher Einführung ist mir, mangels Weltkenntnis und im Vergleich mit Klagenfurt, Laibach dennoch nicht recht wirklich geworden, sondern vielmehr zum Phantom; zur „Weißen Stadt”, wie den Kindern bei Cankar, die sie von jenseits des Moores am östlichen Horizont erblik-ken.

Auch die Slowenen standen Hitler und seiner neuen Weltordnung im Wege; sie sollten nicht nur in Unterkärnten, sondern auch in Oberkrain und anderswo verschwinden. Wer sich den deutschen Zumutungen und Maßnahmen widersetzte, wurde verfolgt und arretiert; und so hat unter vielen auch der slowenische Germanist Pirjevec nach langem, schwerem Leiden in Dachau den Tod erlitten.

Vieles, und viel des Schlimmsten, erfuhren wir erst nach dem Krieg. Sehend, was schwer zu sagen ist, und keiner Wahrheit verschlossen, konnte ich mich dennoch nicht entschließen, konsequent zu sein und marschierte, voll von Schmerz und Empörung, weiter mit der deutschen Wehrmacht durch eroberte Länder; und 1943 führte das Verhängnis mich an die Save zurück.

Ich war nach einer erlittenen Verwundung noch nicht wieder k. v. und befand mich nun vorübergehend auf Streckenwache in Zi-dani most. Aber nicht lange, dann stand ich abermals vorm Kriegsgericht, und nach der Verurteilung in Radovljica wurde ich k. v. geschrieben und nach Italien in Marsch gesetzt.

Jetzt war der Widerstand nicht mehr zu leugnen. Immer mehr Leute gingen in die Wälder. Laibach war von den Italienern besetzt und mit Stacheldraht eingezäunt. Dort herrschte Hungersnot; aber auch die Gestapo. Man sah immer öfter rote Plakate mit der Kundmachung:„Die nachstehend namentlich aufgeführten Personen sind als Geiseln erschossen worden!” Darunter: „Rösener, General der Waffen-SS und der Landesschützen”.

Eines Tages sah ich, umherstreifend, auf einem Schneefeld, was ich noch niemals sah: in Reihen hingestreckte Knabenleichen. Sie waren als Geiseln erschossen worden.

Als die Partisanen 1945 in Klagenfurt einmarschierten, war ich schon dort, und ich sah sie kommen; sah aber nicht die Frau in ihrer Mitte, die ich später geheiratet habe, eine geborene Markee aus Rüden. Manche Klagen-furter, die bei der SS gewesen waren und in betrunkenem Zustand zu exzedieren pflegten und sich dann straflos ihrer Taten rühmten, nannten sie „Titohure”. Ich habe jedem ins Gesicht geschlagen, der es nicht unterdrückte. Sie haben es gewöhnlich eingesteckt und die Polizei gerufen.

Ich bin erst nach dem Krieg' durch meine Frau näher mit Kärntner Slowenen bekannt geworden: mit Land und Leuten, mit dem Rosental und den Karawanken, mit slowenischem Katholizismus und Kommunismus, mit ihrer inneren Problematik; und immer wieder genoß ich ergreifenden slowenischen Gesang.

Ich hatte mit ehemaligen Partisanen wie Pruänik (genannt Gaäpar), Schlapper, Druskovic Freundschaft geschlossen, stand alten slowenischen Politikern wie Podgorc, Tischler und Petek aber nicht weniger aufmerksam gegenüber. 1950 habe ich für eine slowenische Zeitung verschiedene Artikel geschrieben, es waren meine ersten Zeitungsartikel.

Glonar hat einmal gesagt: „Die slowenische Literatur ist ein kleiner, aber sorgfältig gehegter Garten.” Ich habe diesen Garten, soweit er mir zugänglich war und als historisches Gebiet, abgemessen; habe aber nie Slowenisch gelernt, und so kenne ich seine Früchte nur in Ubersetzungen.

Als ich zwanzig Jahre später -nach 1960 — wieder nach Laibach kam, fand ich die Stadt durch neue Bauten vielfach verändert. Hochbauten überschritten und überragten den alten Umriß; die Kirchtürme und - wie Rosengärten lang und abendrot—die alten Ziegeldächer.

Immer wieder gehe ich — wie einst mit Glonar — der Arbeit Plecniks nach. Seine Werke führen durch die ganze Stadt, bis hinaus nach Zale. Das Formenspiel seiner Friedhofsbauten gibt das Gefühl von Jahrtausenden, von fernem Horizont und großer Vergangenheit. Es hat aber nichts Antiquiertes. Im Gegenteil: diese Säulen, Pyramiden und Rotunden sind wie die Frühlingsblume, die soeben erst aufgeblüht ist, da, neben uns, auf der nackten Erde.

Rührender war nur der Anblick von Cankars Geburtshaus in Vrhnika. Ein mächtiger Weinstock hält es mit seinen Armen umschlossen, so wie die ewige Liebe die leere Hülle des armen Lebens umarmt. In diesem Zeichen bleibt es in seiner Armseligkeit ein geistiger Zufluchtsort.

Leicht gekürzt aus der in Klagenfurt erscheinenden slowenischen Zeitschrift „Ce-loviki Zvon”.

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