6553432-1948_08_08.jpg
Digital In Arbeit

Wiedersehen mit der Heimat

Werbung
Werbung
Werbung

Ankara, 1. Februar 194,8

Em kleiner Wagen raste, so gut er es vermochte, dem Tullner Flugfeld zu. Daraus winkte jemand dem landenden Flugzeug. Es war meine Ankunft in Wien an einem Spätherbstabend. Kaum hatte der Stellvertretende des Bürgermeisters seine Begrüßungsrede und ich meine vor Erregung und Freude stammelnde . Erwiderung beendet, flog Judith an meine Brust. Wir hatten uns im Sommer am Bosporus nach langen Jahren wiedergesehen, nun kam ich zu ihrer Hochzeit nach Wien geflogen, zum erstenmal nach neun Jahren wieder in der Heimat! Als wir uns dann Wien näherten, hatte die Nacht ihren Mantel über die , blutenden Wunden der Stadt gelegt; Doch dann, am Morgen nach einem Abend im unverändert gebliebenen FreuhdeskrHff-kam'- es- gratr und unheimlich heran an mich: das Wiedersehen mit Platz und Dom von S. Stephan, dem 'khwe - verwundeten Juwel von Wien; Schmerzens- gang durch die Kärntnerstraße an der Albrechtsrampe vorüber zur Oper. Hoffnungslos blickt ihr mich an am heiteren Bummelweg von einst! Die Menschen aber, ordentlich und wohlerzogen, eilen, eiliger zwar, wie mir scheint als vordem, ihrer hart gewordenen Arbeit nach. Und als ich in meine alte Wirkungsstätte in der Akademie am Sdiillerplatz getreten war und dankbar meinen Getreuen die Hand drückte, die meine Schule seit 1945 neu belebt und weitergeführt haben, erlebte ich zum erstenmal das, was mich seither tröstend und erhebend nie mehr verließ: den Willen zum Lernen, zum Umlernen, wo es sein muß, den Willen zum Aufbau! Das Verständnis und den feinen Sinn des Österreichers für den Wiederaufbau seiner höchsten Güter; mangelhafte Ernährung und Beheizung und alle anderen noch mehr drückenden Sorgen im ganzen Lande kommen dieser Grundgesinnung nicht bei.

So sah ich zum erstenmal meine Schüler und dieses Bild verstärkte sich jeden Tag. Dasselbe Erlebnis in den städtischen und staatlichen Ämtern ,in den vielen Werkstätten und Fabriken, die ich gesehen, immer derselbe tröstliche Eindruck.

Die still feierliche Trauung im barocken Rahmen von St.- Anna, eine Vorstellung im Akademietheater, in der ich meine Tochter zum erstenmal auf der Bühne erlebte und meinen Eidam noch dazu, eine „Don-Giovanni“-Vorstellung der Staatsoper von klassischer Ausgeglichenheit in Spiel, Bild und musikalischer Leistung, das waren so einige Höhepunkte der Wiener Tage und .— ich muß gestehen — je sparsamer die kulinarischen Genüsse geworden waren, um so mehr mundete der viele Jahre hart entbehrte Wein, der herrliche, unvergleichliche Wein von Wien! Von all meinefn Eindrücken und Gedanken baulicher Art habe ich in Vorträgen und im Radio wiederholt Gelegenheit gehabt, zu reden. Nach vier Wochen reichster Erlebnisse nahm ich Abschied, begleitet von mehreren Freunden. Mit ihnen besuchte ich vorher noch Salzburg, die Stadt meiner besonderen Zu neigung. Wettbewerbserfolge beim Mirabell- platz und dem geplanten Kurhaus verbanden mich schon 1924, bald rief midi Landeshauptmann Rehrl für den Umbau des Festspielhauses; völlig im Banne dieser großen, echt österreichischen Idee und der Männer, die ihr Vorständen, wie Hofmannsthal und Max Reinhardt und später Toscanini, diente idi ihr mit allen meinen Kräften, bis man mich im März 1938 gewaltsam vom Eauplatz vertrieb. — Faistauer, Kolig und Andersen waren als Maler meine Mitarbeiter gewesen. Untet den zahlreidien Salzburger Bildhauern ragte A d 1 h a r t durch seine Leistungen besonders heraus. Es entstand 1932 aus der Felsenreitschule die Fauststadt, ein Jahr später konstruierten wir ein, bewegliches Dach über ihr, 1936 begann der. dritte Umbau riaeh einer Idęe meines unvergeßlichen Freundes und Förderers Landeshauptmann Rehrl. Toscanini hatte als Bedfffgtin'g weiterer Mitwirkung eine neue Bühne und vieles andere gefordert. So entstand der Toscanini-Hof mit der Orgel und der eingebauten neugestalteten Mönchsbergstiege, so konnte ich im Verein mit Ardiitekt Rehrl die Neugestaltung des Platzes um das Haus durchführen, der Fischbrunnen wurde versetzt, die Franziskanermauer erneuert und mit einem Renaissancereligf des heiligen Sebastian geschmückt. Das hat den neuen Machthabern nicht gepaßt. Sie zerstörten den Platz und rissen die Mauern nieder. Auch die vortrefflichen Reliefs von Adlhart mußten verschwinden, dafür versahen die Berliner Dekorateure das kräftig geschmiedete F.in- gangsgitter mit Blechschnörkeln. Sie raubten dem Hausinnern den ihm eigenen Charakter und verwandelten es in ein Groß- etabüssement Unter den Linden in den Lieblingsfarben des „Führers“.

Dies alles zu besichtigen, führte uns Baron Pouthon durchs Haus. Im Felsenhof fielen die letzten Blätter von der von uns einst gepflanzten Linde. „Wenn sie wirklich gedeihen sollte“, so meinte danvtls Reinhardt, „wird auch das Festspielhaus weiter blühen und gedeihen!“

Der mächtige Löwe, von dem Bildhauer Reinhart, aus Kupferblech getrieben, durfte jetzt" endlich auf dem obersten Dachšims aufgestellt werden. Er mußte in der Werkstatt seine Zeit abwarten. Landeshauptmann Dr. Rehrl, dieser Vater und große Planer und Werktätige seines Landes, hatte ihn, das Salzburger Wappentier, einst bestellt, „mit besonders langer Zunge“ gegen das Tausendjährige Reich gerichtet. So ist dieses Wappentier heute mehr denn nur Symbol des Salzburger Landes geworden!

Nach einem Abschied von Baumeister Gstür, der alle Zeit mein braver Mitarbeiter gewesen, schieden wir nach kurzen Stunden. Auf dem ehemaligen Bahnhof von Wörgl tasteten wir uns in Finsternis und Regen zum dunklen Züglein nach Kitzbüchl durch. Unverändert sind dort die Leute geblieben, sie streiten sich wie eh und je. In den drei Tagen Rast auf meinem Berghaus malte ich die unvergleichlichen Ausblicke in die frisch verschneite Alpenwelt. Sie bilden an ,den Wänden meines Heims in Ankara eine Erinnerung an die Heimat. Wie unvergeßlich schön war die Fahrt durchs Inntal!

In J e n b a c h besuchte ich die großen, neu auflebenden Werke und bewunderte die straffe Werkführung in freundlichen Hallen und bei vorbildlichen sozialen Einrichtungen. Kein Wunder, den Arbeiter dort fröhlich und arbeitsam zu finden!

In Inn’sbruc k, der Stadt meiner Jugend, wurde ich ehrenvollst im Künstlerkreis empfangen und noch vor meinem Abschied nach kurzen drei Tagen von den Vertretern der Landes- und Kunstbehörden begrüßt. Ein zu kurz bemessener Abstecher nach meiner Heimatgemeinde Fulpmes vereinigte mich mit den alten, treuen Schmieden des Dorfes. Das Erlebnis von Innsbruck war dreifacher Art: 1 der tieftraurig stimmende Anblick der Kriegszerstörungen in der Altstadt und in Wilten; ebenso aber auch die während, des gewesenen Regimes entstandenen Neubauten, wie etwa der geschmacklose und rüde Klotz des neuen Landhauses neben dem alten, ehrwürdigen und so richtigem Tiroler Werk von Marrin Gumpp. Und so auch die erbarmungswürdigen öden und menschenfeindlichen Wohnblocks in Wilten und Pradl, welche zur ; Aufnahme der ausgesiedelten Südtiroler gebaut wurden, wahrlich auch sie ein Symbol für diese Art von Völkerbeglückurg!

Das zweite Erlebnis aber ließ das alte Tiroler Herz höher Schlagen: die Feststellung, daß die Männer und Frauen, denen die Tirolfr Denkmalpflege über die schweren Jahre anvertraut war und in deren werktätigen Händen sie auch heute liegt, Außerordentliches geleistet haben. Jeder an der Schönheit und Tiroler Wesen anteilnehmende Österreicher sollte das Buch lesen: „Tiroler Kunstschätze in Gefahr“, verfaßt von Oswald Trapp, dem I eiter des Tiroler Denkmalamtes. Bei einfachster und ungeschminkter Aufzählung der Schicksale Tiroler Kunstgutes mit oft dramatischen Steigerungen im Kampf um diese bildet das Buch ein Hoheslied auf Treue, Klugheit und Pflichterfüllung gegenüber den eingebrochenen, mit allen Machtmitteln ausgestattet gewesenen Räubern und Vernichtern! E i n Umstand scheint mir darin erwähnenswert: es ist die schützende Hand des Reichskonservators H i e ke, der, an höchster Stelle in Berlin wirkend, so vidi Unglück im letzten Augenblick oft abzuwenden verstand. Hiebei in Dankbarkeit auch eine persönliche Erinnerung: Über Antrag desselben Mannes, wurde ich während meiner Lehrtätigkeit an der Düsseldorfer Künstäkademie in den Jahren 1928

bis 1932 wiederholt mit schwierigen Aufgaben der Denkmalpflege betraut, von denen ich hier nur St. Georg in Köln und die Hedwigskirche in Berlin erwähne; alles in idealer Zusammenarbeit mit diesem Manne Geleistete, ist inzwischen in Schutt und Asche versunken, Das Andenken an das Wirken dieses Mannes lebt aber nun doppelt im Tiroler Herzen!

Die Tiroler Denkmalpfleger haben aber auch den werktätigen Sinn für die Heranziehung der heutigen Maler und Bildhauer — und dies war mein drittes und besonders beglückendes Erlebnis in Innsbruck: in Stift Wilten arbeitet FI i 1 d e J e s s e r an den zerstörten Stuckdecken und erweckt sie zu neuem Leben. In der Servitenkirche und in der nahen Pfarrkirche von Am ras wurde Hans Andre nach dem verständnisvollen Wiederaufbau mit den neuen großen Deckengemälden betraut, eine Leistung, in jeder Hinsicht denen der Barockmeister würdig; keine seelenlosen Kopien und doch völlige Einfühlung im Charakter, dabei lebendige Geschichte und Schisale in den Himmel übertragen erzählend! Derselbe Hans Andre meiselte aus Kalkstein fast gleichzeitig drei lebensgroße Standbilder von Tiroler Heiligen für die besher lerr gebliebenen Nischen an der Fassade der St.-Jakobs-Pfarrkirche. Dies unter lebhafter Förderung des feinsinnigen Probstes Dr. Weingartner Diese vorzüglichen Plastiken steilen alles in den Schatten, was Tiroler Bildhauer seit der Barockzeit geleistet haben.

Vortrefflich sind aber auch die vorbereitenden Planungsarbeiten von Tiroler Architekten im Sinne großzügiger Stadtplanung, besonders aus dem Umstand des zerstörten Bahnhofsviertels genährt.

Zwei Tage waren mir noch in Bozen bei alten Freunden geschenkt. Auch dort sinnvoller Wiederaufbau, die altvertrauten Gasthöfe erstrahlen schon im alten Glanze. Die Pfarrkirdie und die Franziskanerkirche erstehen allmählich wieder und auch da wie in Wien, Salzburg und Innsbruck unter Mitarbeit tüchtiger Architekten und darunter viele, so auch in Bozen, meiner .ehemaligen Schüler.

Längst sind diese, für midi so unvergeßlichen Wochen des Wiedersehens fnit der Heimat verklungen. In der Fremde aber leuchtet täglich stärker nur, und die endgültige Hęimkehr verheißend: der feste Glaube an die Auferstehung eines glücklicheren Österreichs!

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung