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Eine zweite amerikanische Revolution?

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Eine zweite amerikanische Revolution will die politische Linke in den USA machen. Sie soll die erste, 1775 gegen die Krone Englands begonnene, bei weitem übertreffen und zum totalen Umsturz der Gesellschaft führen. Mag man darüber streiten, ob es dieser Zweiten amerikanischen Revolution bedarf, um im Fortschritt der Zeit bestehen zu können; oder wie groß deren Gefahren sind. Tatsache ist, daß unlängst eine ungeheure Explosion die USA erschüttert und gezeigt hat, wieviel politischer Zündstoff da und dort angehäuft ist. Das News Management hat für diesen Explosionsvorgang die Bezeichnung WATERGATE gewählt und die Aufmerksamkeit vor allem auf zwei Zündherde gelenkt.

Da ist erstens die in der Verfassung der USA begründete, im Laufe der Zeit ins unübersehbare angewachsene Macht und Vormacht der US-Präsidenten.

Seit Jahrzehnten sehen Staatsrechtler in ihr so etwas wie „a Potential matrix of dictatorship“ Dazu kam zweitens die wilde Enttäuschung der politischen Linken, die bei der letzten Präsidentenwahl damit rechnete, die Wiederwahl Nixons zu verhindern und ihren Mann in den Besitz dieser Machtfülle zu bringen. Bereits 1960 hatte man in denselben Kreisen gehofft, John F. Kennedy werde der „Hippie im Weißen Haus“ werden. — Die spätere Enttäuschung der Linksintellektuellen über das, was Kennedy wurde, war groß und Mitursache des während der sechziger Jahre um sich greifenden Guer rillakriegs in den USA.

Wenn jetzt, auf dem Höhepunkt der Anti-Nixonkampagne, behauptet wird, das Nixonregime sei quasi erstmals daran, die Demokratie in den USA zu ruinieren, dann ist das eine bewußt gebrauchte Lüge. Längst ist bekannt, daß der von gewissen Ideologen vertretene Amerikanis-mus, wonach die Demokratie in den USA geeignet ist, ein „besseres Menschentum“ zu erzeugen, eine gefährliche Utopie ist. Demokratie an sich und ohne ein bestimmtes Ethos erzeugt keinen „besseren“ Menschen. Im übrigen ist der Stil des Politischen in den USA seit jeher, sagen wir: originell. Schon der 7. Präsident, Andrew Jackson, erklärte um 1830: To the Victor belong the spoils. Was heißt, daß der jeweilige Sieger im Wahlkampf die Anhänger des Verlierers aus ihren Ämtern feuern kann, um seinen Parteigängern staatliche Pfründen zu verschaffen. Es geht das etwa so zu, wie jetzt in Österreich. Der im Sezessionskrieg durch seine Methoden berühmt gewordene General Ulysses S. Grant wurde später US-Präsident und Popanz eines der korruptesten Regime, das US-Historiker schamvoll als eine „tragic era“ bezeichnen. Je bedeutender die Persönlichkeit eines US-Präsidenten, desto größer die Zahl der unter ihm begangenen Rechtsbrüche. Die Statistik der Rechtssprechung des Bundesgerichtshofs der USA weist in dieser Hinsicht Rekorde aus, die mit den Namen der Präsidenten Abraham Lincoln, Woodrow Wilson und Franklin D. Roosevelt verbunden sind. Und da ist schließlich die „graue Zone“ in der Geschichte der USA: Phantastische Behauptungen, die nie bewiesen und nie vollends widerlegt wurden. Lincolns eigener Kriegsminister soll bei der Ermordung dieses Präsidenten eine fatale Rolle gespielt haben. Ein ähnliches Gerücht mußte sich Kennedys Vizepräsident Johnson gefallen lassen. Tatsache ist, daß in keinem europäischen Staat, das zaristische Rußland nicht ausgenommen, so häufig Morde an Staatsoberhäuptern und maßgebenden Politikern stattfanden wie in dem Land, wo der Cowboytyp, quick on the draw wie er sein soll, politisches Image ist. Die korrupte und terroristische Tätigkeit der Tam-many—Society in New York ist ebenso ein Begriff, wie aktuelle Bündnisse mafioser Terroristen mit anerkannten politischen Gruppen und Polizeifunktionären.

Daß die politische Linke jetzt allen Unrat, der die Kanäle der Demokra-

tie in den USA verstopft, herausschert, um diesen Dreck Kichard Nixon an den Kopf zu werfen, sollte niemanden wundern, der Ziele und Methoden dieser Linken, sowie die Typen ihrer in- und ausländischen Förderer und Auftraggeber kennt. All diesen Schmutz aber als alleinige Relikte der Nixon-Verwaltung anzusehen, beweist jenen Mangel an Kri-

tikfähigkeit und eigener Meinung, der im Land der am höchsten entwickelten Massenmedien und eines Information-Boom entstanden ist.

CIA und FBI, beide das Böse an sich in der Propaganda der Linken, sind angesichts der sprunghaft steigenden Zahl verschiedenster Terrorakte vielfach machtlos geworden. Je mehr mit Mitteln der Massenbeeinflussung zumal junge Menschen in den USA dazu gebracht werden, die Formel: Der Ermordete, nicht der Mörder ist schuld, zu akzeptieren, de.sto mehr nehmen große Kreise der US-Bevölkerung eine ambivalente Einstellung zum Kampf der staatlichen Exekutive gegen Verbrecher ein. Dabei nimmt die sogenannte „bewaffnete Propaganda“ der Linken Ausmaße an, die einen nach Los Angeles heimkehrenden Vietnamveteranen derart schockierte, daß er erklärte: „In Los Angeles hat es mshr Brände gegeben als während der Tet-Offensive“. Wenn Nixon ein Vorwurf gemacht werden kann, dann wohl nur der, daß er — wie es einmal Winston Churchill tat — auch einen dreckigen Stecken in die Hand nimmt, um sich eines tollen Hundes zu erwehren. Damit ist seine fragwürdige Organisierung eines „White House Special Investigation Service“ gemeint. Wie notwendig derlei anderseits war, zeigt der Fall des Diebstahls der sogenannten Pentagon-Papiere“.

Daniel Ellsberg ist Bürger der USA, von Beruf Psychiater. Er war zu Zeiten Patient seines eigenen Fachs der Medizin. Die Massenmedien in den USA haben ihm das ehrende Image eines „letzten Helden der radikalen Antikriegsgegner“ verliehen. Ellsbergs Heldentum bestand in der Teilnahme am Diebstahl militärisch wichtiger Geheimdokumente und potentiellem Landesverrat. Aber Daniel Ellsberg war nur der „heilige Narr“ in einer Kampfgruppe, deren Auftrag es war, den Widerstand der USA gegen die kommunistische Aggression in Vietnam mit allen Mitteln zu brechen. Wie machtvoll diese Gruppe bereits ist, geht daraus hervor, daß sie die fraglichen Dokumente, die „Pentagon-Papiere“, durch eine undichte Stelle im Weißen Haus illegal zugespielt bekamen. Diese undichten Stellen au entdecken und die durch sie in den Staatsapparat einsickernden Feindverbände abzuwehren, das wurde jenes Kampfziel Nixons, dessetwegen er seine Mitarbeiter in den politischen Untergrund schlickte. UmUntergrund-kampfmethoden mit Formationen zu bekämpfen, die der Staat nicht rekrutieren kann und darf. Es ist ein Pharisäismus der Linken, ihren Kampf im Untergrund als ein Hel-

dentum zu reklamieren, den Staat aber durch gefügige Massenmedien anzuklagen, wenn er gewisse Untergrundkämpfer in ihre Rattenlöcher verfolgt und an undichten Stellen des Weißen Hauses Rattenfallen aufstellt.

Daniel Ellsberg wurde, nachdem er der Mittäterschaft beim Diebstahl von geheimen Staatspapieren angeklagt worden war, „unter dem Beifall der Nation freigesprochen“. Sein Anspruch auf „Schadenersatz“ ist auf bestem Wege. Beauftragte von Sicherheiteberatern des Weißen Hauses, die in dar Wohnung Ellsbergs Spuren dieser landesverräterischen Aktion gesucht hatten, wurden unter Anklage gestellt. Ihnen drohen langjährige Haftstrafen und jedenfalls Diffamierung rebus sie stantibus.

In der Schlußphase der Präsidentenwahl 1972 begann der bereits hoffnungslos abgeschlagene Gegenkandidat Nixons, George McGovern, plötzlich von einer Affäre zu reden, die schon vor Monaten groß aufgemacht in gewissen Zeitungen der USA zu lesen gewesen war, ohne daß die Wahlkampagne davon besonders berührt worden wäre: Die Watergate-Affäre. Es handelt sich um folgendes. In der Nacht auf den 17. Juni 1972 hatten Männer, die von Gewährsleuten der Sicherheitsbeauftragten Nixons gedungen waren, einen Einbruch in das Hauptquartier der gegnerischen Demokratischen Partei versucht, um dieses zu „ver-wanzen“ und Pläne des Gegners abhören zu können. Das heißt, Wanzen, Abhörgeräte im Wahlkampf gegen die Demokratische Partei zu benutzen. Stellen wir hier nur kurz fest, daß derlei Eingriffe keine Erfindung Nixons sind und daß sie zu den Methoden des Kampfes im Untergrund gehören. Selbst die grimmigsten Gegner Nixons geben heute noch zu, daß es sich um eine „nebensächliche Operation“ gehandelt habe, die vor ihrer Ausführung selbstverständlich nicht die Billigung des Präsidenten besaß. Anders als im Falle Ellsberg zogen in diesem Fall die Richter über die gefaßten Täter her: Sie bekamen Kerkerstrafen bis zum Höchstausmaß von 35 bis 40 Jahren.. Dieses eventuell gleitende Limit roch, wie die nixonfeindliche Presse nicht unterdrücken konnte, nach „richterlicher Erpressung“: Der Richter Sirica zu den Verurteilten: „Für den Fall, daß Sie offen sprechen, müßte ich diesen Faktor bei der Festlegung der Strafe (zu Ihren Gunsten) in die Waagschale werfen“. Man hatte also die Köderfische zur Hand und hoffte, damit den großen Fisch, den Präsidenten, zu fangen. Und erst jetzt, Monate nach dem versuchten Einbruch im Watergate-Gebäude, fing die Produktion jenes Nixon-Images an, das die Watergate-Affäire zum Anlaß nimmt, um der Nation sowie dem im Mahlstrom der Massenmedien schwimmenden Senat klarzumachen: Richard Nixon ist für das Amt des Präsidenten der USA nicht geeignet. Er trete zurück oder lasse sich seine Amtsenthebung gefallen.

WATERGATE, also der versuchte Einbruch im Hauptquartier der politischen Gegner der Nixon-Partei, sowie verbrecherische Methoden beim Funds raising heißen die populär gewordenen Aufhänger, mit denen professionelle Meinungskneter im News Management versuchen, der Sache der Linken wieder mehr Rückhalt in der Öffentlichkeit und erneutes Selbstvertrauen im Kampf gegen Nixon zu geben. Wer erinnert sich nicht der enormen Aufmachung, mit der seinerzeit auch in der österreichischen Tagespublizistik die Anklage-erhebung gegen den Justizminister Nixons, John Mitchell, gebracht wurde. Ihm wurde zur Last gelegt, er hätte großzügige Spenden für Nixons Wahlkampffonds mit dem Versprechen honoriert, die US-Justiz würde den Spendern auf Gebieten der Straf Justiz entsprechend entgegenkommen. Mit einem Einspalter und in nicht mehr als fünf Zeilen brachten nachher Österreichs Zeitungen mit Massenauflage + Linkspresse, John Mitchell sei vom falschen Verdacht eines Amtsmiß-

brauchs als Justizminister freigesprochen worden. Als Pflaster für die arg enttäuschte Linke hing man dieser Kurznachricht den Satz an, Mitchell werde wegen des Einbruchs im Watergate-Gebäude erst richtig drankommen.

Wer weiß, daß nicht nur in der amerikanischen Demokratie das Geschäftsprinzip der Praterringelspdel-besitzer: Wer zahlt, der fährt, gilt, weiß vielleicht auch, daß in den USA für Politiker genauso geworben wird wie für Frühstückshaferflocken. Und das ist aufwendiger als Parteiarbeit. Die Technokraten in den Parteizentralen der österreichischen Parteien sind richtig stolz, daß auch sie jetzt derart fortschrittlich in ihren Werbemethoden sind. Nach den 1964 bei der Wahlwerbung anläßlich der Wahl des Bundespräsidenten in Österreich gesehenen Methoden versteht man, daß Adlai Stevenson, Idol der Intellektuellen in den USA der fünfziger Jahre, erklärte, es sei der Demokratie „höchst unwürdig“, zu meinen, man „könne Kandidaten für ein hohes Amt anpreisen wie Haferflocken“. Die Sammlung von Wahlspenden, die keinen bilanzmäßigen Gewinn bringen, ist ein Auftrag, vor dem Gott jeden bewahren soll, der, wie man einmal in Österreich sagte, ein „politischer Skrupelant“ ist. Jede ernst gemeinte Demokratiereform müßte bei dem Problem der Partei-flnanzierung anfangen. Nicht nur in den USA, wo die diesbezüglichen Verhältnisse noch ungleich mehr verrottet sind als in vielen anderen Staaten. Nixon und seine Freunde waren in dieser Hinsicht sicher keine „Skrupelanten“. Wenn sie aber jetzt in den Massenmedien als Gauner hingestellt werden, dann bedeutet das nicht mehr und nicht weniger, als daß mit dieser Beschimpfung sehr

bedeutende Persönlichkeiten der US-Geschichte posthum angeklagt werden Und daß man aufhören sollte, in dieser Richtung ein „besseres Menschentum“ zu suchen.

Denken Sie sich, es wäre zur Zeit der sogenannten Odaih-Affäre auch in Österreich schon üblich gewesen, Bandaufnahmen von Telephonaten prominenter Staatsmänner, Politiker und Pressemanager sowie Parteifunktionäre herzustellen. Was wäre da nicht alles im Strafprozeß gegen Franz Olah dem Gericht und der Öffentlichkeit bekannt geworden, das dank der technologischen Rückständigkeit unseres Landes und dem Fehlen diesbezüglicher Tonbänder für immer verborgen bleiben wird. Schon unser ehrwürdiges Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch will sich nicht auf „Gedanken und innere Vorhaben“ einlassen, die nicht ausgedrückt und vernommen werden. Hätte es aber schon vor 10 Jahren den Gebrauch von Tonbändern in Zentralstellen der Republik gegeben, wie wären dann wohl gewisse, gegen damalige Staatsmänner und Politiker erhobene Anschuldigungen so richtig zum Tragen gekommen. Aber wie gesagt: Keine Tonbänder in den damaligen Untersuchungen. Und berechtigte Skepsis bei österreichischen Gerichten betreffs Tonträger als Beweismittel. Anders im Falle Nixon.

Die Herausgabe der Tonbänder mit den Aufnahmen der zumal von Nixon geführten Telephonate wurde unter dem Druck der Massenmedien durchgesetzt.

Dieselben Linkskreise, die gegen das staatlicherseits erfolgte Abzapfen von Telephonleitungen nicht zu Unrecht ankämpfen, verlangen die volle Preisgabe des dem Präsidenten wie jedem Staatsbürger zustehende Telephongeheimnisses. Wenn zwei das gleiche tun, ist es in der öffentlichen Moral der USA von heute nicht immer dasselbe. Soferne man nur die „Information“ mehr auf seiner Seite hat.

Wild tobt in den USA der Kampf gegen „the inoffleial and semiofficial instrumentes of leadership“ des Präsidenten. Das Anwachsen des Stabs der „Berater“ im Weißen Haus ist seit US-Präsident Jackson (1830) Regelfall. Roosevelts „Brain trust“ inaugurierte jenen Mythos der „spe-

oial advisers“ wie Henry Kissinger einer war, ehe letzterer verfassungsmäßiger Leiter der Außenpolitik der USA wurde. Die Demokratisierung der Demokratie hat in den USA einen weiten Weg vor sich, und eine parlamentarische Demokratie ist vielfach wohl erst in Umrissen vorhanden. Solange die „inoffleial and semiofficial instruments“ des Präsidenten jenes Steuer bedienen, das vor fast 200 Jahren die Väter der Verfassung der Person des jeweiligen Präsidenten in die Hand gaben, wird es in der heutigen überorganisierten und überdifferenzierten Ordnung der Gesellschaft im Staat immer wieder WATERGATE-Affären geben. Wobei ein Diebstahl wie dieser zwar schmählich, aber lange nicht so gefährlich ist, wie jene vom Parlament nicht kontrollierten Tätigkeiten von „inoffleial and semiofficial“ Präsidenten-..Beratern“. Wenn es zum Beispiel um Krieg oder Frieden in Vietnam oder Nahost geht.

WATERGATE oder: Die Arroganz der Macht, von Lewis ehester (und anderen Autoren), Edition Praeger, München 1974, 376 Seiten.

KISSINGER, Zwischenbilanz einer Karriere, von Stephan Graubard, Hofmann und Campe, Hamburg 1974, 404 'Seiten.

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