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Eugenische Auslese im Kommen:. Damit die Reichen reich bleiben…

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1971 hat Dänemark sein Gesetz über den „Abortus provocatus” liberalisiert. An Stelle einer Indikationslösung trat eine „kommissionsgebundene” Fristenlösung. Zwei Jahre später wurden in einem neuen Gesetz die

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1971 hat Dänemark sein Gesetz über den „Abortus provocatus” liberalisiert. An Stelle einer Indikationslösung trat eine „kommissionsgebundene” Fristenlösung. Zwei Jahre später wurden in einem neuen Gesetz die

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Kommissionen abgeschafft. Seither gibt es die Fristenlösung ohne Einschränkung. Die Folgen beunruhigen heute selbst viele von denen, die noch vor kurzem für die Freigabe der Abtreibung eingetreten waren.

Die Zahl der legalen Abtreibungen stieg von 1969/70 bis 1971/72 um 54 Prozent. Nach 1971 wurde jede sechste Schwangerschaft abgebrochen. Als 1973 das neue Gesetz in Kraft trat, stieg die Zahl der Abtreibungen in einem einzigen Jahr um 50 Prozent.

Die Ärzte befürchteten, die Zunahme werde in den nächsten Jahren 100 Prozent ausmachen. Die Politiker, die das Gesetz beschlossen, hatten nur die vage Hoffnung als Antwort, daß sich die Zahlen nicht bewahrheiten würden. Die neuesten Statistiken der „Wochenschrift für Ärzte” beweisen, daß die Hoffnung trügerisch war. Die Zahl der Abtreibungen wächst weiter. Schon 1974 endete in Dänemark jede dritte Schwangerschaft statt mit der Geburt mit dem Tod des Fötus.

Nach einer Statistik, die das Kommunespital von Arhus erstellte, hatten mehr als die Hälfte der abtreibungssuchenden Frauen keine Kinder; bei 47 Prozent handelte es sich um die erste Schwangerschaft. Nur vier Prozent der Frauen hatten schon drei Kinder, als sie die Abtreibung wünschten. Weitaus der größte Teil der Frauen war zwischen 21 und 30 Jahre alt. Je zwei Prozent waren unter sechzehn und über vierzig.

Als die Abtreibung ein Jahr lang freigegeben war, wiesen erste Ärzte beunruhigt auf Fälle hin, in denen manche Frauen innerhalb von zwölf Monaten dreimal in die Abortusklini- ken gekommen waren. Die Arhus-Statistik belegt den Verdacht, daß hier die Abtreibung an Stelle der Prävention getreten sei. Während in den höchsten Sozialschichten acht von zehn Frauen stets Mittel zur Empfängnisregelung verwenden, ist es in den sozial schwächsten Kreisen nur jede Dritte.

Der dänische Arzt Vagn Sele wies kürzlich in einer Radiosendung darauf hin, daß seit Einführung der „freien Abtreibung” die Zahl der Frauen, dip einem Zwang unterliegen, nicht geringer geworden sei. Denn nun würden die Frauen und Mädchen, die trotz Schwierigkeiten ihr Kind bekommen möchten, in unzähligen Fällen von ihrer Umwelt gezwungen, von ihrem gesetzlich verbrieften „Recht auf Schwangerschaftsabbruch” auch Gebrauch zu machen: vom Partner, von den Eltern, von der Arbeitsstelle.

Im sozialen Musterland Dänemark ist die werdende Mutter Freiwild auf dem Arbeitsmarkt. Sie muß die Schwangerschaft im dritten Monat anmelden - und kann mit Geburt gekündigt werden. Das emanzipierte Land lehnt jede Schutzmaßnahme ab, die einseitig nur für Frauen Geltung hat, da nur so die Lohngleichheit erreicht werden könne (von der allerdings nichts zu merken ist). Neue Arbeit zu finden ist bei der hohen dänischen Arbeitslosenziffer nur äußerst schwer möglich. Die Fristenlösung weist den Ausweg…

Die Frau wird zur Abtreibung gedrängt. Von der eigenen Familie, vom eigenen Partner. Als die Abtreibung noch an einen Kommissionsentscheid gebunden war (der in den ersten zwölf Wochen der Schwangerschaft zu 90 Prozent positiv ausfiel), da gab es gar nicht selten Frauen, die - nachdem sie alle Stationen durchlaufen hatten - ohne Wissen der Familie an die Entscheidungsstelle schrieben, man möge ihr doch die Abtreibung verweigern. Das Gesetz von 1973 hat diese Chance zerstört.

Nicht nur diese Chance. Häufigster Ablehnungsgrund der Kommission war - außer einem zu späten Schwangerschaftsstadium - Ambivalenz der Frau. Die Kommission sah, daß der Abtreibungsentscheid Ausdruck der momentanen psychischen Verfassung, nicht echter Wunsch der Frau war. Sie entsprachen mit ihrem Nein in diesen Fällen nur dem, was die Frau wirklich wollte. Doch die Kommissionen gibt es nicht mehr.

Es gibt auch die ?entral organisierte Mtitterhilfe*nicht mehr, bei denen die Frtuen wußten, Wo sie Hilfe finden können. Statt dessen ist das kommunale Fürsorgeamt zuständig geworden. An Stelle der eigens ausgebildeten Spezialistinnen der Schwangerschaftsberatung sind allgemein geschulte Fürsorger getreten. Und viele Frauen, die früher zur Mutterhilfe gegangen sind (von den sozial Schwachen wollte früher die Mehrheit Unterstützung und nicht die Vermittlung der Abtreibung), scheuen heute den Weg zur Fürsorge und gehen in die Abo rtusabteilungen.

Der Staat beweist nicht, daß ihm Abtreibungen ungelegen kommen. Die Leiterin der Mütterhilfe meinte schon in der Diskussion um das Gesetz von 1973, daß die Verhinderung der sozialen Indikationen (etwa 25 Prozent) in der Macht der Politiker liege. Doch statt Verbesserungen für die Bedrängten zu beschließen, wurden die Bedingungen für erhöhte Kinderbeihilfe für alleinstehende Mütter erschwert. Erst im letzįgrv, Augenblick gelang es, die völlige,-Streichung zu verhindern.

So kann es nicht verwundern, daß Kenner der Lage davon sprechen, Dänemark gehe eiskalt den Weg der eu- genischen Auslese. Man habe gar kein Interesse an den Kindern der sozial Schwächsten im Sozialstaat. Schließlich hat das Land ja seinen führenden Platz in der Reichtumsstatistik zu verteidigen. Von Spitzenpolitikern kann man derart offene Worte nicht hören, schließlich wollen sie nicht dem Vergleich mit der nationalsozialistischen Rassenpolitik ausgesetzt werden. Die Bevölkerung ist weniger zimperlich, wenn es um „wertloses Leben” geht. Für die Erhaltung der Lebensstandards zahlt Dänemark einen hohen Preis. Andere Länder folgen.

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